Von Dänemark nach Ungarn in nur 20 Stunden
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Länder wie Schweden und Österreich setzen wieder vermehrt auf Nachtzüge. Eine umweltfreundliche Reisealternative in Zeiten von "Flugscham" - aber auch praktikabel? Unterwegs mit einer jungen Familie von Kopenhagen nach Budapest.
Christian Jensen steht in schwarzer Unterhose im Gang des Liegewagens. Neben ihm seine zwei Kinder in Windeln. Es ist heiß im Abteil, die Klimaanlage kaputt – und das Fenster lässt sich nicht öffnen. Doch Hilfe naht. Der ungarische Zugbegleiter ist da, entriegelt das Fenster. Jensen zieht Shorts und Hemd wieder an.
"Das ist das erste Mal, dass wir den Nachtzug ausprobieren und überhaupt mit dem Zug verreisen. Wir kommen aus Kopenhagen und haben uns überlegt, dieses Jahr einen Urlaub zu machen, ohne zu fliegen. Alle sprechen darüber, wie schlecht fliegen für das Klima ist. Deshalb wäre es besser, wenn wir den Zug nehmen."
Der Zug fährt von Berlin über Frankfurt an der Oder nach Polen und dann weiter über Tschechien nach Budapest. In Niederschlesien geht über den weiten grünen Feldern langsam die Sonne unter, beim Zwischenhalt in Breslau ist es bereits dunkel.
Der Zug ist bei Weitem nicht ausgebucht. Im Liegewagen bleibt gut ein Drittel der Plätze frei. Das schlechte Gewissen, statt des Billigfliegers nach Budapest lieber den Zug zu nehmen, schlägt sich nicht in konkreten Zahlen nieder.
Dänische Bahn verkauft keine Tickets nach Ungarn
Auch Familie Jensen aus Dänemark hat lange überlegt, ob das eine gute Idee ist: 20 Stunden mit Kindern im Zug. Am Ende haben sie die Fahrt in drei Etappen unterteilt. Der Abschnitt von Berlin nach Budapest ist mit Abstand der längste. "Die Kids machen bis jetzt aber gut mit", sagt Jensen mit Blick auf seinen Sohn Luis.
"Und als wir hier reinkamen, war unser erster Gedanken: Ist es das? Und er, Luis, hat gesagt: Oh, das ist fantastisch, so gemütlich!"
Die Familie reist 2. Klasse. Zwei Liegen oben und zwei unten sind bezogen mit dem blauen Stoff, den man aus deutschen Regionalbahnen kennt. Für die Nacht bekommt jeder Reisende weißes Bettzeug. Das "kleine Frühstück" am Morgen besteht aus einem Kaffee oder Tee und Keksen.
Das Abenteuer Zugreisen wegen Flugscham – es begann schon bei der Buchung:
"Als wir bei der Dänischen Staatsbahn nachgefragt haben, haben die uns gesagt: Wir verkaufen keine Tickets nach Ungarn. Da müssen sie sich alleine drum kümmern."
Ehepaar: "Wir mögen es, langsam zu reisen"
Auf den Tickets prangt das Logo der Österreichischen Bundesbahn. Betrieben wird der Nachtzug nach Budapest allerdings von der Ungarischen Staatsbahn. Deshalb ist es oft kompliziert, ein Ticket zu kaufen. Das berichten auch andere Reisende: So zum Beispiel Anno und Kolet, die aus den Niederlanden nach Budapest reisen.
Das Ehepaar hat den Zug gewählt, weil Anno beruflich so viel fliegt und deshalb im Urlaub lieber darauf verzichten möchte. Gerade hat er sich ein Bier kommen lassen - es gibt österreichisches Stiegl aus der Dose.
"Wir mögen es, langsam zu reisen mit dem Zug. Du fährst von Land zu Land und spürst die Entfernung, weil du die Landschaft vorbeiziehen siehst. Und du siehst die Unterschiede zwischen den Landschaften. Dadurch bekommst du wirklich das Gefühl, weit zu fahren. Zweitens ist es wegen des Klimaproblems. Es ist eher vertretbar, mit dem Zug zu reisen als mit dem Flugzeug."
Zug ist deutlich teurer als Flug
Im vergangenen Jahr waren Anno und Kolet mit dem Zug in Paris. Keine vier Stunden von Amsterdam. Bei größeren Entfernungen jedoch ist das Flugzeug meistens die erste Wahl, sagt Kolet.
"Aber… Wenn wir das Flugzeug genommen haben, haben wir die CO2-Kompensation bezahlt. Also, wir sind uns des Problems bewusst. Diesmal ist es das erste Mal, dass wir ganz bewusst den Zug anstatt das Flugzeug gewählt haben."
So eine Reise mit Kindern zu unternehmen, können Anno und Kolet sich nicht vorstellen.
Familie Jensen dagegen probiert genau das ein paar Abteile weiter hinten aus. Und das, obwohl es viel länger dauert und auch noch deutlich teurer ist. Mehr als 1.000 Euro kostet die vierköpfige Familie die Fahrt von Kopenhagen nach Budapest und zurück, so Jensen. Mit dem Flieger wäre es weniger als die Hälfte gewesen. Ein bisschen, sagt Jensen, fühlen wir uns als Pioniere:
"Viele unserer Freunde und unsere Familie waren sehr interessiert. Sie wollen hören, wie es uns ergangen ist, wenn wir nach Hause kommen. Und sich inspirieren lassen. Deshalb denke ich, es ist wichtig, es einfach auszuprobieren."
Am nächsten Morgen, kurz vor Budapest, geht Christian Jensen durch den Gang des Nachtzugs. Er wirkt müde. Der rumpelnde Zug habe ihn wach gehalten, sagt er. Aber seine Kinder, Frieda und Luis, hätten super geschlafen. Für ihn sei das das Wichtigste.
Als der Zug in Budapest in den Bahnhof rollt, spielen sie im Gang: mit weißen Zügen im Spielzeugformat.