Nachwuchspflege bei Minus 40 Grad

Von Jörg Taszman · 10.10.2005
Mit "Die Reise der Pinguine" gelangt ein opulenter Dokumentarfilm in die deutschen Kinos, der das Leben der Kaiserpinguine in der Antarktis und ihre Aufopferung für den Nachwuchs feiert. Der ehemalige Biologe Luc Jacquet landete mit seinem Dokumentarfilm die erfolgreichste französische Produktion aller Zeiten in den USA.
Luc Jacquet: " Man darf nicht vergessen, wir Menschen kommen in der Antarktis sehr viel früher an, als die Pinguine. Wir erreichen sie per Schiff, bevor das Meer zufriert. Die Pinguine tauchen erst dann auf, wenn das Meer zugefroren ist. Dann wartet man ein, zwei, drei Monate auf die Kaiserpinguine. Man stellt sich so viele Fragen: Wann kommen sie? Aus welcher Richtung? Wie groß sind sie eigentlich? Das ist schon sehr aufregend und die Spannung steigt. Und wenn sie dann endlich kommen, dann hörst du sie zunächst nur, das Geräusch ihrer Füße. Das ist unglaublich! Dieses Gefühl, dieser erste Eindruck ist unvergesslich. Die Landschaft, die unberührt war, in der es nichts gab, wird plötzlich ausgefüllt von etwas, das sich bewegt. "

Der Regisseur und Biologe Luc Jacquet beschreibt die ersten Momente einer fast archaischen Geschichte. Jahr für Jahr verlassen die Kaiserpinguine der Antarktis das ihnen so vertraute Meer und begeben sich für lange neun Monate auf das Packeis, nur um ihr Überleben zu sichern.

Luc Jacquet erzählt, wie Tausende von Pinguinen zunächst einen langen Marsch in das Innere der Antarktis starten, sich dort paaren und wie dann die Weibchen den Männchen die Eier übergeben. Danach werden die Weibchen weitere 200 Kilometer durchs Eis gehen, um Nahrung zu besorgen, während die männlichen Kaiserpinguine die Eier ausbrüten und vier Monate lang fasten. Kehren die Weibchen dann zurück, sind die Babypinguine gerade geschlüpft und es ist an der Zeit, dass die entkräfteten Männchen, wieder zum Meer marschieren, um sich zu regenerieren.

Auch wenn diese Geschichte unter Wissenschaftlern und Biologen durchaus bekannt ist, wollte Regisseur Luc Jacquet seine Faszination einem Publikum mitteilen, Partei ergreifen und von der Schönheit der Natur und der Pinguine erzählen. Zwischen dem Wissenschaftler und dem Filmemacher waren für Luc Jacquet die Grenzen fließend.

Luc Jacquet: " Als Wissenschaftler lernt man zwischen ganz unterschiedlichen optischen Geräten zu "jonglieren". Mal ist es ein Mikroskop, dann ein Fernglas oder ein Teleskop. Und wenn man von einem optischen Instrument zum anderen wechselt, betritt man ganz unterschiedliche Welten. Beobachtet man beispielsweise ein Insekt durch eine Lupe, dann sieht man den Mikrokosmos. Eines Tages sprang ich auf, weil ich ein riesengroßes Insekt entdeckte, dabei war es nur winzig klein. Kino ist genau das! Bei mir hat sich alles sehr natürlich entwickelt, obwohl ich Niemanden um Hilfe bat. Eines Tages bekam ich einen Anruf und wurde gefragt: Möchten Sie Pinguine filmen? Und ich sagte mir, warum nicht? Zwischen dem Kino und der Wissenschaft gibt es viele Gemeinsamkeiten. "

Nach einem ersten Film als Kameramann und vielen Arbeiten für das Fernsehen ist "Die Reise der Pinguine" das Leinwanddebüt des 36-jährigen Luc Jacquet. Und auf der Bildebene kann sein Film wirklich überzeugen. Auch die Geschichte, die Luc Jacquet erzählt, ist kraftvoll, tragisch und rührend.

Gewöhnungsbedürftig bleibt die Erzählperspektive. Der Autor und Regisseur wollte etwas Neues ausprobieren und wählte die Ich-Perspektive der Kaiserpinguine, für diese so einmalige Geschichte. Und so ist es durchaus irritierend, wenn eine männliche, eine weibliche und eine Kinderstimmer als Erzähler durch den Film führen.

Filmszene: "Seit jeher lebt unser Volk zwischen dem Ozean, der uns ernährt und dem Rendezvous, das jedes Jahr weit entfernt stattfindet. Es ist ein Rendezvous von Verliebten. Von nun an aufrecht, wandern wir wie Nomaden. "

In den USA ließ man sich auf dieses Wagnis der Ich- Erzählung nicht ein und entschied sich für den traditionell allwissenden neutralen Erzähler, dem Morgan Freeman seine sonore Stimme verlieh. Das ist eindeutig gegen die ursprüngliche Intention des Regisseurs, der über die Vorteile und Risiken seiner Entscheidung spricht.

Luc Jacquet: " Für mich ist das eine neue Form der Narration. Ich wollte etwas ausprobieren. Es war wie eine Recherche. Der Vorteil ist, man ist bei den Kaiserpinguinen, geht nicht auf Distanz zu ihnen. Das ist nicht so wie bei einem Erzähler, der alles weiß, so wie Gott, der auf die Welt herab schaut. So sind wir unter ihnen, leben mit ihnen und haben die gleichen Probleme wie die Pinguine. Das ist positiv. Man spart sich so auch viele Worte und Erklärungen. Wir sind in der Gegenwart, teilen unsere Gefühle und Empathie. Das Risiko besteht darin, schematisch zu werden oder in eine Karikatur zu verfallen. Das ist klar. "

Am Ende setzt sich beim Zuschauer trotz der Irritationen auf der Tonebene einfach diese wahnsinnige Geschichte durch von diesen heldenhaften Kaiserpinguinen, die der Natur trotzen. Kein anderes Lebewesen ist bei diesen Extrem-Temperaturen von über Minus 40 Grad Celsius noch lebensfähig.

Und wenn man dazu bedenkt, dass sich die Pinguine hoch diszipliniert für eine monogame Beziehung entscheiden, die genau ein Jahr dauern wird und in der Männchen und Weibchen wirklich gleichberechtigt sind, kann man verstehen, warum sich Feministinnen, Verfechter der Homo-Elternschaft oder Neubekehrte und andere radikale Religiöse so für diese einmalige Geschichte begeistern.

Luc Jacquet gehen diese Überinterpretationen allerdings viel zu weit. All diese Eiferer sollten mit den Pinguinen ein Jahr lang auf dem Packeis verbringen, sagte er im Interview mit der französischen Tageszeitung "Le Monde", dann würden Sie zu einer ganz anderen Auffassung gelangen. Wie dem auch sei: "Die Reise der Pinguine" ist großes Kino für alle Altersgruppen und weit davon entfernt nur die Kleinsten unter uns zu faszinieren.