Wenn der Doktorvater über deine Karriere entscheidet
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Wenige Stellen, befristete Verträge, Publikationsdruck: Der wissenschaftliche Nachwuchs befindet sich in einem eisernen Konkurrenzkampf. Hinzu kommen erhebliche Abhängigkeitsverhältnisse. Wie lässt sich der Wissenschaftsbetrieb reformieren?
Eine Vorgesetzte, die ihrem Doktoranden vorwirft, sie hintergangen zu haben – und meint, sie wäre froh, wenn er endlich weg wäre. Eine andere, die der schwangeren Promovierenden erklärt, bis zur Entbindung habe sie jetzt das Doppelte zu leisten, denn schließlich falle sie dann ja aus. Oder ein Vorgesetzter, der damit droht, den Vertrag mit einer Frist von einem Monat zu kündigen.
All das sind Fälle von Mobbing, wie sie Nachwuchswissenschaftler an mehreren Max-Planck-Instituten erlebt haben – aber nicht nur dort.
"Kann der Prof sich alles erlauben?"
Auch an anderen Instutionen, seien es Forschungseinrichtungen oder Universitäten, stehen Promovierende unter Druck.
So heißt es etwa in einem Doktorandenforum: "Ich bekomme das Gefühl, dass sich Profs, wie mein Chef, alles erlauben dürfen. Ich habe sogar schriftliche Beweise für das Mobbing durch den Vorgesetzten, aber was bringt mir das? Hat ein Prof denn auch mal was zu befürchten, oder kann der sich einfach alles erlauben?"
Die Antworten auf diesen Post sind wenig ermutigend. Mehrere Promovierende berichten von ähnlichen Fällen, in denen sie sich meist nicht erfolgreich zur Wehr setzen konnten.
Eine Pyramide der Macht
Wenig überraschend für Jana Lasser, Promovierendensprecherin der Max-Planck-Gesellschaft:
"Es überrascht mich nicht, wenn ich mir das System angucke, wie das gestrickt ist. Dass man eben mehr oder weniger so eine Pyramide der Macht hat, an deren Spitze eine Person steht, die mehr oder weniger uneingeschränkt schalten und walten kann. Es gibt relativ wenig Checks und Balances.
Nachwuchswissenschaftler stehen in hohen Abhängigkeitsverhältnissen. Es gibt kaum Konsequenzen oder funktionierende Mechanismen, um mit Fehlverhalten umzugehen und das abzustrafen - und das ist in fast allen Branchen, wo solche Strukturen existieren. Man kann auch die Kreativbranche angucken, wie im Film, da ist das ähnlich und es treten auch ähnliche Fälle auf."
Mehr Promotionen, aber weniger Stellen
Es betrifft alle Branchen, in denen die Konkurrenz groß ist.
Was die Wissenschaft angeht, so wurden laut Statistischem Bundesamt 1993 noch 21000 Promotionen abgeschlossen. 2010 waren es bereits 26000. Tendenz weiter steigend. Gleichzeitig gibt es immer weniger unbefristete Stellen. Im Zuge der Exzellenzinitiative ist der wissenschaftliche Arbeitsmarkt extrem flexibilisiert worden. 90 Prozent aller Stellen sind heute befristet, die Hälfte von ihnen auf gerade einmal 12 Monate.
Angesichts dieser Umstände ist es wenig verwunderlich, dass die Antworten in dem Forum auf die Frage des Doktoranden, wie er mit dem Mobbingproblem umgehen könne, lauten:
"Augen zu und durch. Keine Konfrontation - sonst kannst Du Deine Diss vergessen!"
Wenn der Job an der Doktormutter hängt
Hinzu kommt, dass Promovierende oft in mehrfacher Hinsicht von ihrem Doktorvater oder ihrer Doktormutter abhängig sind: Häufig sind sie der einzige Betreuer, der gleichzeitig über die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses und über Publikationen entscheiden.
"Diese Abhängigkeitsstrukturen muss man ernst nehmen", erklärt Martin Stratmann, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft. "Man muss Rahmenbedingungen schaffen, die einen Druck von Doktoranden in erträglichen Grenzen halten."
Deshalb werden die meisten Doktoranden an den Max-Planck-Instituten inzwischen nicht mehr von einem einzigen Wissenschaftler betreut, sondern von einem Promotionskomitee. So wie es an vielen Universitäten bereits Graduiertenprogramme gibt, die eine ähnliche Funktion erfüllen. Dazu Jana Lasser:
"Wir haben in der Vergangenheit schon die Erfahrung gemacht: Wenn so ein Komitee existiert und stark besetzt ist, haben wir gesehen, dann ist es durchaus in der Lage, Konflikte abzumildern oder zu entschärfen, bevor sie eskalieren."
Den Mittelbau abschaffen?
Abhängigkeiten zu reduzieren, darum geht es auch der Philosophie-Professorin Kristina Musholt von der Universität Leipzig. Gemeinsam mit anderen Forschern der Jungen Akademie setzt sie sich dafür ein, die Strukturen an den Universitäten grundlegend umzukrempeln.
Ihre Idee: Lehrstühle auflösen, den Mittelbau abschaffen. Statt dessen: Departments mit mehreren unabhängigen Professuren einrichten.
"Wenn es unabhängige Professuren gäbe, könnte sich sowohl die Forschung als auch die Lehre diverser aufstellen. Es gäbe eben nicht mehr dieses Abhängigkeitsverhältnis, in dem der Professor gegenüber seinen Mitarbeitern weisungsbefugt ist, sondern man hätte eben wirklich unabhängige und freie Forscherinnen und Forscher."
Und im Idealfall Promovierende, die an einem Department angestellt sind und nicht bei einem einzigen Professor – und die schon recht bald, nämlich nach ihrer Promotion, die Chance hätten, auf eine potenziell unbefristete Stelle zu kommen – statt weitere Jahre in prekären befristeten Arbeitsverhältnissen zu stecken und auf eine der raren Professuren zu hoffen. Denn der Druck, der offenbar auf den Promovierenden lastet, ist systembedingt, erklärt Kristina Musholt:
"Es gibt generell eine stärkere Ausrichtung auf dieses Wettbewerbsprinzip und es gibt eine Tendenz hin zur Ökonomisierung. Das führt dazu, dass auch relativ früh schon in der Promotion viel mehr Augenmerk darauf gelegt wird, zählbare, beziehungsweise verwertbare Ergebnisse zu produzieren, sprich Artikel zu publizieren und bei der Einwerbung von Drittmitteln beteiligt zu sein. Dieser Druck ist höher bei allen Beteiligten im System."
Eine Kanzlei für Mobbingfälle
An der Max-Planck-Gesellschaft hat Martin Stratmann infolge der Mobbing-Vorfälle vor einem guten halben Jahr eine unabhängige Kanzlei einrichten lassen, an die Promovierende sich wenden können. Nur sind dort bis jetzt kaum Beschwerden eingegangen. Weil es keine weiteren Vorfälle gibt? Oder aus Angst, nicht geschützt genug zu sein? Dazu Martin Stratmann:
"Wenn ich eine Kanzlei einrichte, die nicht meiner Governance untersteht, wenn die Kanzlei angewiesen ist, nur im Sinne des Doktoranden zu agieren, also mit anderen Worten, nur die Informationen weiterzuleiten, die der Doktorand oder wer immer es ist, weiterleiten möchte, dann ist das, denke ich, das, was man tun kann. Und das ist wahrscheinlich mehr, als in den meisten anderen Organisationen angeboten wird. Wenn diese Wege nicht genutzt werden, dann tut es mir Leid, dann kann ich auch nicht reagieren."
Und Jana Lasser: "Wir müssen zum einen die Nachwuchswissenschaftler so weit absichern, dass sie auch was sagen – und zwar früh genug, bevor Situationen komplett eskalieren. Auf der anderen Seite müssen wir die Organisation sensibilisieren, um auch hinzuschauen, was passiert, und die Betreuungsleistung von den Direktoren und Gruppenleitern auch irgendwie zu beobachten."
Es braucht mehr berufliche Sicherheit
An der Max-Planck-Gesellschaft läuft derzeit eine umfassende Studie, die erfragt, wie es den einzelnen Mitarbeitern geht und wo Handlungsbedarf besteht.
Doch anscheinend braucht es eine Veränderung des gesamten wissenschaftlichen Systems: mehr unbefristete Stellen, die weniger hierarchisch angeordnet sind. Und eine Verständigung des Wissenschaftssystems auf einen verbindlichen Forschungscodex: raus aus dem Publikationswahnsinn, wieder hin zu fundiert erworbenen Erkenntnissen – und die brauchen eben ihre Zeit.