"Nackt unter Wölfen"

Spannend, berührend, vereinfachend

Die Historikerin Annette Leo zu Besuch beim Deutschlandradio Kultur
Historikerin Annette Leo über eine widerspruchsvolle, vielschichtige und bedrohliche Geschichte © Deutschlandradio/Maurice Wojach
Annette Leo im Gespräch mit Marianne Allweiss und André Hatting |
Die ARD zeigt heute Abend die Neuverfilmung von "Nackt unter Wölfen" nach dem Roman von Bruno Apitz. Die Historikerin Annette Leo hat die neue Fassung wie auch die Defa-Verfilmung von 1962 analysiert – und bescheinigt beiden Stärken und Schwächen.
Als am 11. April 1945 rund 21.000 Häftlinge des KZ Buchenwald von der US-Armee befreit wurden, waren darunter auch rund 900 Kinder und Jugendliche. Sie verdankten ihr Leben vor allem der Mitmenschlichkeit der politischen Gefangenen, die im Lager die wichtigsten Häftlingsämter inne hatten. Es gab unter ihnen - ungeachtet von Herkunft, Partei und Nation - eine Art Grundethos, wenigstens die Kinder zu retten.
"Nackt unter Wölfen" - das wahrscheinlich meistverkaufte Buch der DDR
Bekanntestes Buchenwald-Kind war der dreijährige Stefan Jerzy Zweig. Ihn hat Bruno Apitz in seinem Roman "Nackt unter Wölfen" in den Mittelpunkt gestellt. Der Roman war das wahrscheinlich meistverkaufte Buch in der DDR und in seinem Erfolg vergleichbar mit dem Tagebuch der Anne Frank in Westdeutschland. In der Schule wurde "Nackt unter Wölfen" zur Pflichtlektüre.
Auch der Defa-Film von 1962 bewegte die DDR-Bürger. Dieser Film habe viele Stärken gehabt, aber auch einige Schwächen, sagt die Historikerin Annette Leo. Schwierig sei, dass er vor allem seine politische Botschaft betont und das kommunistische Heldentum in den Vordergrund gestellt habe.
Die Neuverfilmung tendiert zur Vereinfachung des historischen Kontextes
Das sei nun in der Neuverfilmung anders, so Leo. Dieser vereinfache die historischen Geschehnisse allerdings wiederum auf andere Weise – offenbar, um den Stoff handhabbar zu machen. Die Geschichte um den dreijährigen Stefan Jerzy Zweig sei widerspruchsvoll, vielschichtig und bedrohlich, und der Terror der Nazis sei in den letzten Kriegsmonaten und -wochen subtiler und noch brutaler gewesen. Das werde aber so nicht gezeigt.
An einigen Stellen habe sie als Historikerin "gezuckt", sagt Leo. "Im Blick ist ein jugendliches Publikum, denke ich mal, und da hat man sich wieder auf ein paar Vereinfachungen (...) geeinigt."
Bruno Apitz hat den Stoff romanhaft verdichtet
Die wahre Geschichte ist ohnehin noch ein wenig anders. Apitz habe den Stoff romanhaft verdichtet und zu einer berührenden und spannenden Geschichte gemacht, berichtet Leo. Stefan Jerzy Zweig hat es gegeben, doch seine Rettung zog sich länger hin als im Buch. Auch einen anderen den Roman prägenden Konflikt zwischen den kommunistischen Häftlingen gab es so nicht. Und letztlich wurde der kleine Junge von seinem Vater gerettet.
Das ganze Drama seines Überlebens spiegelt sich in dem Umstand, dass Stefan Jerzy Zweig Mitte 1944 auf eine Transportliste geriet. Ziel: Auschwitz. Ein Häftling sorgte dafür, dass der kleine Junge wieder von der Liste gestrichen wurde.
An seiner Stelle ging aber ein anderes Kind auf den Transport.
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