Nádas zu übersetzen ist eine "große Herausforderung"
Formal, stilistisch, inhaltlich: Nádas erzählt nicht in klassischer Weise, sagt eine, die es wissen muss. Christina Viragh hat zuletzt "Parallelgeschichten", den 1728-Seiten-Roman des Ungarn, ins Deutsche übersetzt. Anfängliche Ängste, mit einem lebenden Autor könne es "etwas schwierig" werden, hätten sich aber zum Glück nicht bestätigt.
Susanne Burg: Alle zwei Jahre wird er vergeben und ist mit 15.000 Euro dotiert: der Europäische Übersetzerpreis. Verliehen wird er am 13. Mai in Offenburg, aber heute ist die Preisträgerin bekanntgegeben worden, die 59-jährige Übersetzerin und Schriftstellerin Christiana Viragh, geboren in Budapest und aufgewachsen in der Schweiz. Und mit ihr bin ich jetzt telefonisch verbunden. Wir erwischen sie in Leipzig, denn sie gehört auch zu den fünf Nominierten des Übersetzerpreises der Leipziger Buchmesse, der morgen vergeben wird. Guten Tag, Frau Viragh!
Christina Viragh: Hallo, guten Tag!
Burg: Glückwunsch erst mal zum Europäischen Übersetzerpreis, alles Gute auch für morgen …
Viragh: … vielen Dank …
Burg: Der Europäische Übersetzerpreis steht unter dem Motto, ich zitiere: "Wenn wir aufhören zu übersetzen, hören wir auf, uns zu verstehen. Und dann hören wir auf, miteinander zu leben." Wie sehr sehen Sie sich auch über den einzelnen Text hinaus, den Sie übersetzen, als Übersetzerin, fast als Vermittlerin zwischen Kulturen?
Viragh: Ja, ein bisschen natürlich schon, weil ich eine Sprache, eine Kultur vermittle, die nicht so im Mainstream ist, nämlich das Ungarische. Und ich glaube, ja, da kann man, wenn man aus dem Ungarischen übersetzt, einen kleinen Beitrag leisten zur Vermittlung der ungarischen Kultur.
Burg: Es heißt häufig vor allem bei Literaturübersetzern: Toller Beruf, aber leben kann man davon nicht. Wie sehr helfen denn Preise, das zu ändern?
Viragh: Ja, natürlich, also, die helfen sehr. Weil, wie Sie sagen, leben kann man natürlich von diesem Beruf nicht.
Burg: Sie werden gewürdigt für Ihre Übersetzung der Werke der ungarischen Schriftsteller Imre Kertész und Péter Nádas. Lassen Sie uns über Nádas reden: Es ist ein Riesenprojekt, das Sie da vollbracht haben, Sie haben die Parallelgeschichten übersetzt, 1724 Seiten. Vier Jahre haben Sie daran gesessen. Manchmal, so war zu lesen, wollten Sie das Buch aus dem Fenster werfen. Abgesehen davon, dass es so viele Seiten waren: Warum?
Viragh: Na ja, also, das war natürlich … Das habe ich ganz scherzhaft mal erwähnt. Natürlich nicht im Prinzip, ich habe dieses Projekt sehr gern verfolgt selbstverständlich.
Burg: Anders gefragt: Was macht Nádas Werk so schwer zu übersetzen?
Viragh: Nein, um noch das fertig zu sagen: Selbstverständlich gibt es Momente der Müdigkeit, da hat man eben genug. – Was macht diese Übersetzung spannend: Also, Nádas ist natürlich eine ganz große Herausforderung, weil er nicht in klassischer Weise erzählt. Also, formal, stilistisch, inhaltlich ist alles ein bisschen in seiner eigenen, spezifischen Manier geschrieben, und das ist natürlich eine große Herausforderung, das zu übertragen.
Burg: Wenn man noch lebende Schriftsteller übersetzt, kann es Vorteile haben, aber auch Herausforderungen mit sich bringen: Samuel Beckett beispielsweise wollte immer genau wissen, was Übersetzer da verzapft haben, und es wieder zurückübersetzt bekommen. Péter Nádas lebt in Westungarn und Sie waren in Kontakt mit ihm. Wie lief die Zusammenarbeit, wie sind Sie mit ihm vorgegangen?
Viragh: Also, mit Péter Nádas lief es wunderbar. Natürlich hatte auch ich ein bisschen Schiss am Anfang, weil, ich dachte eben, mit einem lebenden Autor ist es nicht ganz einfach, kann es wirklich schwierig werden. Mit ihm war es ganz, ganz schön. Er ist zu mir gekommen nach Rom, wo ich lebe, zweimal in zwei Jahren hintereinander, und wir haben über der Arbeit gesessen, haben diskutiert, aber immer in vollem Verständnis. Das war eine ganz große Hilfe, dass er zu mir gekommen ist.
Burg: Können Sie denn auch ein Beispiel geben, wo es eine Hilfe war?
Viragh: Also, in diesem Text ist es hin und wieder schwierig, sich zurechtzufinden. Also, man weiß nicht, wer spricht wo, wann. Dazu hilft das Ungarische, weil das Ungarische das Subjekt nicht nennt. Also, man kann damit spielen, dass man das ein bisschen vertuscht, wer jetzt gerade am Sprechen ist, und Péter tut das absichtlich. Da musste ich manchmal auch nachfragen, also, was ist jetzt da gemeint, wie und wo? Außerdem habe ich auch fachliche Auskünfte gebraucht, er ist ja sehr belesen, beschlagen in vielen Gebieten, und da war ich natürlich sehr froh um Auskünfte.
Burg: Sie selber sind auch Schriftstellerin, haben fünf Romane veröffentlicht. Wenn man sich so lange mit dem Werk eines anderen Schriftstellers auseinandersetzt, besteht da nicht auch die Gefahr, dass der Stil übergeht in den eigenen?
Viragh: Ich glaube nicht. Ich werde das hin und wieder gefragt und frage es mich selbst natürlich auch, aber ich glaube nicht, weil man doch zwei ganz verschiedene Arbeiten macht. Übersetzung und Schreiben sind zwei ganz verschiedene Dinge. Ich glaube, es gehört dann zum Erlebnis, zum Quantum Erlebnis, das man hat bei so einer Übersetzungsarbeit, und das fließt dann indirekt auch ins Schreiben ein. Aber eben so, wie alle die Dinge, die im Leben, die man erlebt hat, die man durchlebt hat, intensiv durchlebt hat, muss man sagen.
Burg: Also hilft auch die Erfahrung als Schriftstellerin fürs Übersetzen?
Viragh: Ja, das würde ich meinen, schon. Und zwar auf der Ebene des Verständnisses der Mechanismen, der Schreibtechnik. Also, ich kann mich dank meiner Tätigkeit als Schriftstellerin gut einfühlen in das, was der Schriftsteller wollte. Jedenfalls hoffe ich es.
Burg: Wie ist es eigentlich, wenn man die ganze Zeit im Kämmerlein sitzt, plötzlich diese ganze Aufmerksamkeit zu haben? Morgen steht ja auch noch die Leipziger Buchmesse an. Ist das dann auch, weil man ja doch häufig im Schatten steht, so ein bisschen die Anerkennung, die dann auch ganz gut tut?
Viragh: Ja, natürlich. Ich freue mich sehr, hier zu sein und freue mich auch über diese Anerkennung, ganz klar, ja.
Burg: Heute ist bekannt geworden, dass Christina Viragh den Europäischen Übersetzerpreis der Stadt Offenburg bekommt. Vielen Dank, Frau Viragh, für das Gespräch.
Viragh: Ich danke Ihnen.
Burg: Eventuell kommt gleich morgen dann noch ein Preis dazu, nämlich der Übersetzerpreis der Leipziger Buchmesse!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Christina Viragh: Hallo, guten Tag!
Burg: Glückwunsch erst mal zum Europäischen Übersetzerpreis, alles Gute auch für morgen …
Viragh: … vielen Dank …
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Viragh: Ja, ein bisschen natürlich schon, weil ich eine Sprache, eine Kultur vermittle, die nicht so im Mainstream ist, nämlich das Ungarische. Und ich glaube, ja, da kann man, wenn man aus dem Ungarischen übersetzt, einen kleinen Beitrag leisten zur Vermittlung der ungarischen Kultur.
Burg: Es heißt häufig vor allem bei Literaturübersetzern: Toller Beruf, aber leben kann man davon nicht. Wie sehr helfen denn Preise, das zu ändern?
Viragh: Ja, natürlich, also, die helfen sehr. Weil, wie Sie sagen, leben kann man natürlich von diesem Beruf nicht.
Burg: Sie werden gewürdigt für Ihre Übersetzung der Werke der ungarischen Schriftsteller Imre Kertész und Péter Nádas. Lassen Sie uns über Nádas reden: Es ist ein Riesenprojekt, das Sie da vollbracht haben, Sie haben die Parallelgeschichten übersetzt, 1724 Seiten. Vier Jahre haben Sie daran gesessen. Manchmal, so war zu lesen, wollten Sie das Buch aus dem Fenster werfen. Abgesehen davon, dass es so viele Seiten waren: Warum?
Viragh: Na ja, also, das war natürlich … Das habe ich ganz scherzhaft mal erwähnt. Natürlich nicht im Prinzip, ich habe dieses Projekt sehr gern verfolgt selbstverständlich.
Burg: Anders gefragt: Was macht Nádas Werk so schwer zu übersetzen?
Viragh: Nein, um noch das fertig zu sagen: Selbstverständlich gibt es Momente der Müdigkeit, da hat man eben genug. – Was macht diese Übersetzung spannend: Also, Nádas ist natürlich eine ganz große Herausforderung, weil er nicht in klassischer Weise erzählt. Also, formal, stilistisch, inhaltlich ist alles ein bisschen in seiner eigenen, spezifischen Manier geschrieben, und das ist natürlich eine große Herausforderung, das zu übertragen.
Burg: Wenn man noch lebende Schriftsteller übersetzt, kann es Vorteile haben, aber auch Herausforderungen mit sich bringen: Samuel Beckett beispielsweise wollte immer genau wissen, was Übersetzer da verzapft haben, und es wieder zurückübersetzt bekommen. Péter Nádas lebt in Westungarn und Sie waren in Kontakt mit ihm. Wie lief die Zusammenarbeit, wie sind Sie mit ihm vorgegangen?
Viragh: Also, mit Péter Nádas lief es wunderbar. Natürlich hatte auch ich ein bisschen Schiss am Anfang, weil, ich dachte eben, mit einem lebenden Autor ist es nicht ganz einfach, kann es wirklich schwierig werden. Mit ihm war es ganz, ganz schön. Er ist zu mir gekommen nach Rom, wo ich lebe, zweimal in zwei Jahren hintereinander, und wir haben über der Arbeit gesessen, haben diskutiert, aber immer in vollem Verständnis. Das war eine ganz große Hilfe, dass er zu mir gekommen ist.
Burg: Können Sie denn auch ein Beispiel geben, wo es eine Hilfe war?
Viragh: Also, in diesem Text ist es hin und wieder schwierig, sich zurechtzufinden. Also, man weiß nicht, wer spricht wo, wann. Dazu hilft das Ungarische, weil das Ungarische das Subjekt nicht nennt. Also, man kann damit spielen, dass man das ein bisschen vertuscht, wer jetzt gerade am Sprechen ist, und Péter tut das absichtlich. Da musste ich manchmal auch nachfragen, also, was ist jetzt da gemeint, wie und wo? Außerdem habe ich auch fachliche Auskünfte gebraucht, er ist ja sehr belesen, beschlagen in vielen Gebieten, und da war ich natürlich sehr froh um Auskünfte.
Burg: Sie selber sind auch Schriftstellerin, haben fünf Romane veröffentlicht. Wenn man sich so lange mit dem Werk eines anderen Schriftstellers auseinandersetzt, besteht da nicht auch die Gefahr, dass der Stil übergeht in den eigenen?
Viragh: Ich glaube nicht. Ich werde das hin und wieder gefragt und frage es mich selbst natürlich auch, aber ich glaube nicht, weil man doch zwei ganz verschiedene Arbeiten macht. Übersetzung und Schreiben sind zwei ganz verschiedene Dinge. Ich glaube, es gehört dann zum Erlebnis, zum Quantum Erlebnis, das man hat bei so einer Übersetzungsarbeit, und das fließt dann indirekt auch ins Schreiben ein. Aber eben so, wie alle die Dinge, die im Leben, die man erlebt hat, die man durchlebt hat, intensiv durchlebt hat, muss man sagen.
Burg: Also hilft auch die Erfahrung als Schriftstellerin fürs Übersetzen?
Viragh: Ja, das würde ich meinen, schon. Und zwar auf der Ebene des Verständnisses der Mechanismen, der Schreibtechnik. Also, ich kann mich dank meiner Tätigkeit als Schriftstellerin gut einfühlen in das, was der Schriftsteller wollte. Jedenfalls hoffe ich es.
Burg: Wie ist es eigentlich, wenn man die ganze Zeit im Kämmerlein sitzt, plötzlich diese ganze Aufmerksamkeit zu haben? Morgen steht ja auch noch die Leipziger Buchmesse an. Ist das dann auch, weil man ja doch häufig im Schatten steht, so ein bisschen die Anerkennung, die dann auch ganz gut tut?
Viragh: Ja, natürlich. Ich freue mich sehr, hier zu sein und freue mich auch über diese Anerkennung, ganz klar, ja.
Burg: Heute ist bekannt geworden, dass Christina Viragh den Europäischen Übersetzerpreis der Stadt Offenburg bekommt. Vielen Dank, Frau Viragh, für das Gespräch.
Viragh: Ich danke Ihnen.
Burg: Eventuell kommt gleich morgen dann noch ein Preis dazu, nämlich der Übersetzerpreis der Leipziger Buchmesse!
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