Nadia Durrani & Brian Fagan: „Was im Bett geschah"
© Reclam Verlag
Kulturgeschichte des Bettes
06:43 Minuten
Brian Fagan, Nadia Durrani
Übersetzt von Holger Hanowell
Was im Bett geschah. Eine horizontale Geschichte der MenschheitReclam, Ditzingen 2022270 Seiten
24,00 Euro
Die Archäologen Nadia Durrani und Brian Fagan schreiben die Kulturgeschichte eines heiklen Möbelstücks. Das Bett wird dabei zur Zentralmetapher des menschlichen Lebenszyklus. Und es fungiert als Spiegel unserer Tabus und Überschreitungen.
Welches Möbelstück steht seit Jahrhunderten im Zentrum angestrengter Optimierungen? Und ist sogar Gegenstand kultureller Revolutionen? Die menschliche Bettstatt! Schnöder gesagt: die Matratze.
Sie ist, so viel kann man dem dinggeschichtlichen Buch der Archäologen Nadia Durrani und Brian Fagan entnehmen, seit Jahrtausenden ein Dauerbrenner. Seit dem großbürgerlichen neunzehnten und dem kleinbürgerlichen zwanzigsten Jahrhundert hat die Matratze sogar ganze ideologische Lager gebildet. Von den Futon-Hippies bis hin zu den Wasserbett-Snobs hat die Bettenindustrie besonders ab den Siebzigern aufwärts willige Kunden in allen Gehaltsklassen gefunden. Schlafen muss schließlich jeder.
Aber nicht jeder schläft gut. Da ist die richtige Matratze manchmal ein entscheidender Schritt zur Steigerung der Lebensqualität. Wo um uns herum die Dinge allgemein härter werden, muss die Matratze in ihrer Weichheit alles auffangen.
Auch unserem verformten Körper, der einer digitalisierten Lebensweise zum Opfer gefallen ist, muss sie Rekonvaleszenzraum sein. Man erkennt sofort: Der Kleiderschrank ist eine Frage der Mode. Das Bett eine Frage von Leben und Tod.
Zeugung, Geburt, Tod
Und genau darum geht es auch in Durranis und Fagans Buch. Denn tatsächlich lässt sich die Geschichte des Betts parzellieren in die Bereiche: Zeugung, Geburt und Tod. All das findet seit Menschen Gedenken in der Horizontalen statt.
Weshalb die „horizontale Geschichte der Menschheit“, wie das Buch im Untertitel heißt, auch eine Geschichte über menschliche Riten geworden ist. Und diese sind Ereignisse, die im Zentrum einer jeden Biografie stehen. Also stand lange auch das Bett – nicht nur bei Ludwig dem XIV, sondern auch in der armen Bauernstube – im Zentrum und nicht, wie Fagan und Durrani bemerken, in einem heute oft verwaisten Wurmfortsatz der Wohnung: ein oft muffiger, halbdunkler Raum, der dem Schlafen und dem Trocknen von Wäsche vorbehalten ist.
Gemeinsam mit den beiden Archäologen graben sich nun auch die Leser durch die Betten der Kulturgeschichte. Dabei besuchen Sie zusammen mit ihren Lesern immer wieder wichtige Fundgruben wie etwa die Grabkammern des Tutanchamun, ein Haus auf den Orkneyinseln in Schottland oder Pompeji mit seinem berühmten Bordell.
Frische Luft ist ungesund
Das fördert allerlei Anekdotisches zutage. So erfährt man, dass die Erfindung von Bettvorhängen auch der damaligen Erkenntnis geschuldet war, frische Luft sei ungesund. Oder dass das alte englische Schlaflied „Night night, sleep tight“ zurückgehen könnte auf das notorische Nachspannen der Bettgurte, die das Konglomerat an unterschiedlichsten Matratzen festzuhalten hatten.
Leider hat sich die eine oder andere Stilblüte in den Text geschlichen. Wenn vom Wasserbett die Rede ist und wir einiges über seinen Pionier, den Designstudenten Charles Hall von der San Francisco State University, erfahren, heißt es, der Markt sei schon bald von billigen Nachahmungen „geflutet“ worden.
Staunenswert, aber sprunghaft
Kulturgeschichtlich gibt es die ein oder andere staunenswerte These in dieser Bettgeschichte. So zum Beispiel wird erwähnt, die früheste Menschheit habe in Baumnestern genächtigt, aber erst das Bett am Feuerplatz, in das sich nun gerne immer dieselben Urfrauen und Urmänner kuschelten, habe die Idee der Paarbindung und damit später die der Ehe hervorgebracht.
Insgesamt ist diese Kulturgeschichte des Betts aber viel zu disparat, um einen tragenden Bogen zu schaffen. So springt man munter zwischen den Epochen (Steinzeitlager, griechische Gelage und moderne Bluetooth-Matratzen) und Themen (Traumdeutung, Masturbation und Barbiturate). Man erfährt dabei einiges, aber nichts richtig und möchte sich bald erschöpft ins Bett legen, in dem schon die passende Matratze für rückengeschwächte Rezensentinnen bereit liegt.