"Schreiben kann man nicht lernen"
Heute feiert Nadine Gordimer ihren 90. Geburtstag. Ein Gespräch mit der südafrikanischen Schriftstellerin am einzigen Ort, wo sie schreiben kann: zu Hause.
Nadine Gordimer lebt in einem ruhigen Villenviertel Johannesburgs, einer grünen Oase im Herzen der hektischen Metropole. Sie ist eine zierliche, zerbrechlich wirkende alte Dame. Von ihrer Wortgewalt hat sie jedoch nichts verloren. Sie schreibt noch immer jeden Vormittag:
"Es war schon immer die Antriebsquelle in meinem Leben. Schreiben kann man nicht lernen. Man wird mit dieser Gabe geboren und verspürt den Drang, sie auch zu nutzen."
Diesen Drang verspürte die südafrikanische Schriftstellerin schon als Kind. Mit 15 wurde ihre erste Kurzgeschichte veröffentlicht. Sie wuchs in der kleinen Bergbaustadt Springs bei Johannesburg auf; ein zartes Mädchen, das überwiegend zuhause unterrichtet wurde. Weitgehend von der Außenwelt abgeschnitten, flüchtete sie sich in die Welt der Bücher:
"Seit ich sechs Jahre alt war, war ich eine begeisterte, ja unersättliche Leserin. In dem Ort, in dem ich aufwuchs, gab es eine Bibliothek. Sie bedeutete mir alles. Wäre ich allerdings ein schwarzes Kind gewesen, hätte ich dort nicht hinein gedurft und wäre vielleicht auch nie Schriftstellerin geworden."
Die Rassentrennung in Südafrika, die Auswirkungen der Apartheid auf den Einzelnen, das komplizierte Beziehungsgeflecht zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft sind die zentralen Themen in Nadine Gordimers Romanen, Essays und Erzählungen. In ihrem autobiographisch geprägten Debüt-Roman „Entzauberung“ entdeckt eine junge, weiße Südafrikanerin, in welchen Zuständen ihre schwarzen Landsleute leben müssen. Gordimer selbst hat wenig Verständnis für all jene, die sich nicht entschieden genug gegen diese Ungerechtigkeit engagiert haben:
"Meine Mutter gehörte dem Roten Kreuz an und half einigen Kliniken in den riesigen schwarzen Townships. Aber dabei blieb es. Es hatte keine spürbare Auswirkung auf unseren Alltag. Ich bin zwar froh, dass sie im Gegensatz zu vielen anderen wenigstens etwas tat, aber mir genügte es nicht, nur hin und wieder irgendwo etwas Wohltätiges zu tun. Für mich gehört es zusammen, was man denkt und wie man sein Leben führt."
Nadine Gordimers Werk und ihr politisches Engagement für den damals verbotenen ANC sind daher eng miteinander verwoben. Mehrere ihrer Bücher wurden vom rassistischen Regime zensiert; doch sie ließ sich nicht einschüchtern, sagte vor Gericht als Zeugin zu Gunsten mehrerer angeklagter Freiheitskämpfer aus und nutzte ihre internationale Prominenz, um politisch Einfluss zu nehmen:
"Natürlich habe ich politisch Stellung bezogen. Als Weiße in einem Land, in dem eine schreckliche Unterdrückung herrschte, ging das nicht anders. Da kann man unmöglich stumm bleiben. Heute bin ich sehr glücklich darüber, dass wir die Apartheid besiegt haben und ich meinen kleinen, im Vergleich zu anderen sehr kleinen, Teil dazu beitragen konnte. Im Rückblick war es jedoch leider naiv von uns anzunehmen, dass sich nach der Apartheid alle sofort wunderbar verstehen würden, dass es keine rassistischen Vorurteile und keine Unterdrückung mehr gäbe."
Die langfristigen Konsequenzen der Apartheid, die immensen Probleme der jungen Demokratie beschäftigten Nadine Gordimer in ihren neueren Werken. Schonungslos schreibt sie über die extrem hohe Gewaltkriminalität, die ausufernde Korruption und die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich. Im Mittelpunkt ihres jüngsten Romans "Keine Zeit wie diese" steht ein schwarz-weißes Paar, das früher für die Freiheit gekämpft hat und nun bitter enttäuscht ist. Ein Gefühl, dass Nadine Gordimer kennt:
"Die Leute, die momentan an der Macht sind, möchten tun und lassen, was sie wollen, ohne dafür kritisiert zu werden. Sie wollen sich nicht dafür rechtfertigen, dass heute noch immer abertausende Menschen in verheerenden Verhältnissen leben. Als Mitglied des ANC ist es wirklich desillusionierend zu sehen, wie die Regierungspartei vollkommen falsch handelt; insbesondere wenn Aspekte der Apartheid wiederholt werden."
Andere Südafrikaner, darunter auch Schriftstellerkollegen, haben ihre Heimat deshalb mittlerweile verlassen. Für Nadine Gordimer ist Auswanderung zwar ein literarischer Stoff, sie selbst ist jedoch immer geblieben; auch nach dem Tod ihres geliebten Mannes, nach einem Furchterregenden Raubüberfall in ihrem Haus und trotz der Enttäuschung über die Politik der ehemaligen Befreiungsbewegung:
"Ich gehöre hierher. Auch wenn einige meiner schwarzen Bekannten mich, als Weiße, dafür manchmal auslachen."
Nadine Gordimer interessiert es nicht besonders, was andere über sie denken. Streitbar wie eh und je, engagiert sich die 90-Jährige noch immer für soziale Gerechtigkeit, Meinungsfreiheit und gegen Rassismus. Sie bleibt ihren Überzeugungen treu und eine der einflussreichsten Stimmen in Südafrika.