Mit Pussy Riot Theater spielen
Die russische Frauen-Punkband Pussy Riot wirbt um Spenden für ein Projekt mit dem britischen Theaterkollektiv Les Enfants Terrible. Das Publikum soll in die Inszenierung einbezogen werden. Band-Mitglied Nadja Tolokonnikowa erklärt, warum der Band diese Art des Theaters so wichtig ist.
"Help us show the story of Pussy Riot to the world", lautet ihre Aufforderung zum Spenden: Die Moskauer Punkband Pussy Riot hat zusammen mit dem Londoner Theaterkollektiv Les Enfants Terribles eine Kickstarter-Kampagne gestartet. Sie wollen ihre eigene Geschichte als Theaterstück inszenieren und so für die Zuschauer erfahrbar machen. Wenn die Finanzierung läuft wie erhofft, soll das im November in London Premiere feiern und sechs Wochen lang gezeigt werden.
Das Publikum soll alles miterleben
2012 wurden die drei Mitglieder der Band verhaftet, nachdem sie ein Anti-Putin-Punk-Gebet in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale performt hatten. Die immersive Theaterperformance will genau diese Geschehnisse detailgetreu nachzeichnen: von der verbotenen Performance über die Verhaftung bis in die Gefängniszellen hinein. Immersiv heißt: Das Publikum ist am Geschehen beteiligt.
Die Zuschauer sollten diese Erfahrungen mit durchleben und begreifen, was es bedeute, Widerstand zu zeigen im heutigen Russland, begründete Band-Mitglied Nadya Tolokonnikowa im Interview, warum Pussy Riot und Les Enfants Terribles auf dieses Stilmittel zurückgreifen wollen.
"Man muss die Leute dazu bewegen, sich emotional zu involvieren. Das hoffen wir mit dieser Form des immersiven Theaters zu erreichen."
Es gehe um Demokratie und die Verteidigung von Bürgerrechten:
"Die Freiheit und die Bürgerrechte bekommt man nicht für immer und ewig. Man kann sie auch verlieren und man kann auch historisch wieder ein paar Schritte zurück gehen."
Kritische Künstler hätten in Russland unter Wladimir Putin keine Möglichkeiten, auf offiziellen Wegen ihre Kritik auszuüben.
"Wenn man sich offen gegen Wladimir Putins Politik und seine Regierung äußert, ist es quasi unmöglich, dies innerhalb gewisser Institutionen oder offizieller Organisationen zu tun. Man wird so einfach zum Outcast. Man muss sich so ausdrücken, wie wir es tun, mit Kunst-Aktionen oder indem man völlig unabhängige oder alternative Organisationen gründet."
Das Interview im Wortlaut:
Deutschlandfunk Kultur: Wie entstand Idee, wie der Kontakt zu den Enfants Terribles?
Nadya Tolokonnikowa: Als wir aus dem Gefängnis kamen, wollten wir, dass man an unseren Erfahrungen Anteil nehmen kann. Wir wollten unsere Erfahrungen im Gefängnis, ... diese Momente in denen wir sehr verletzlich waren, auch in gewisser Weise schützen. Daher war es uns wichtig, die Grenze zwischen Schauspielerinnen und den Zuschauern zu durchbrechen. Mit diesen Formen des immersiven Theaters haben wir bereits in unseren Performances gearbeitet. Wir möchten, dass das Publikum partizipiert, am Geschehen des Stücks teil nimmt. Wir hoffen, dass dann bei den Zuschauern mehr Sympathie und Empathie entstehen für Gefangene und politische Gründe.
Deutschlandfunk Kultur: Immersion ist das Zauberwort der Stunde und auch Sie setzen auf ein politisch immersives Theaters – zum Beispiel mit Hilfe einer detailgentreu nachgebauten Gefängniszelle. Warum ist Ihnen diese ästhetische Technik wichtig?
Tolokonnikowa: Ich kann ihnen noch nicht zu viele Details über das Stück verraten, weil wir möchten, dass das Publikum überrascht wird. Ich kann jedoch soviel preisgeben, dass es für die Zuschauer nicht zwei Jahre dauern wird - wie für uns - sondern nur etwa eine Stunde. Wir möchten beispielsweise, dass man als Zuschauer teil nimmt an Gesprächen mit ultrakonservativen, russischen Geistlichen. Sie finden, Frauen hätten nur eine einzige Rolle auszufüllen: Kinder zu gebären. Eine andere Aufgabe gebe es für sie nicht im Leben: keine Karriere, keine Beschäftigung mit Kunst oder Politik.
Deutschlandfunk Kultur: Und dann wird man als Zuschauer mit den Folgen dieses autoritären Denkens konfrontiert. Man durchlebt zunächst die Verhaftung, dann folgen der Prozess, das Urteil und das Gefängnis. Sie erleben als Zuschauer diese schrecklichen Bedingungen des Arbeitslagers, die wir zwei Jahre lang durchlebten.
Tolokonnikowa: So müssen Gefangene 16 Stunden am Tag unter fürchterlichen Bedingungen arbeiten. Wir möchten so auf das harte Schicksal der Gefangenen hinweisen. Wir haben ja im Jahr 2014 eine Hilfsorganisation für Häftlinge gegründet und eine Organisation die sich mit Recht und Strafverfolgung auseinander setzt. Aber all das reicht nicht aus. Man muss die Leute dazu bewegen, sich emotional zu involvieren. Das hoffen wir mit dieser Form des immersiven Theaters zu erreichen.
Keine offene Kritik möglich
Deutschlandfunk Kultur: Warum soll das Publikum diese harte Geschichte durchleben müssen? Warum ist das wichtig?
Tolokonnikowa: Es ist essentiell, bei Leuten ein Bewusstsein für humane Gefängnisbedingungen zu wecken. Das ist ein wichtiges Thema. Ich weiß in Deutschland ist man da schon sehr weit. Ich habe einige deutsche Gefängnisse besucht. Aber in meinem Land oder in den USA herrschen schreckliche Gefängnisbedingungen. Das ist unsere erste Motivation, die zweite ist breiter angelegt. Wir möchten, dass Menschen aktiv werden, etwas tun. Die Freiheit und die Bürgerrechte bekommt man nicht für immer und ewig. Man kann sie auch verlieren und man kann auch historisch wieder ein paar Schritte zurück gehen. Wir erleben gerade ultrarechte Bewegungen und Nationalismus in vielen Ländern. Bürger, die in diesen Ländern leben, hätten sich vor wenigen Jahren nie träumen lassen, dass so eine Entwicklung überhaupt möglich sei. Wie müssen dagegen kämpfen mit mehr linkem Aktivismus. Darin besteht unsere Message für alle, die sich unser Stück anschauen wollen.
Deutschlandfunk Kultur: Wie erleben Sie die Situation? Wo steht die künstlerische Opposition in Russland heute? Hat sich die Lage weiter verschärft?
Tolokonnikowa: Wenn man sich offen gegen Wladimir Putins Politik und seine Regierung äußert, ist es quasi unmöglich, dies innerhalb gewisser Institutionen oder offizieller Organisationen zu tun. Man wird so einfach zum Outcast. Man muss sich so ausdrücken, wie wir es tun, mit Kunst-Aktionen oder indem man völlig unabhängige oder alternative Organisationen gründet. Man kann also keiner Form des Establishments angehören, wenn man in Russland ein politischer Künstler sein will. Aber das ist vielleicht nichts Schlimmes. Man sieht so viel genauer und schärfer auf die Geschichte.
Deutschlandfunk Kultur: Wer sind die Les Enfants Terrible?
Tolokonnikowa: Sie machen schon eine Weile immersives Theater. Ich sah mir eine ihrer Theaterperformances an. Es basierte auf "Alice im Wunderland" und es gefiel mir sehr. Ich mochte besonders das Set-Design und wie sie die Figuren entwickeln. Meine Frage war dann, was wäre, wenn wir diese emotionale Kraft der Immersion im Theater mit einem politischen Anliegen verbinden würden? Darin besteht unser Experiment. Darauf setzen wir jetzt Geld bei Kickstarter und hoffen, dass ganz normale Menschen uns unterstützen. Das ist dann die Macht des Volkes.
Bereits mehr als 300 Unterstützer
Deutschlandfunk Kultur: Wer wird mitspielen? Werden Sie selbst auch Teil dieser Aufführung sein?
Tolokonnikowa: Ich nehme am Stück teil, in dem ich meine Geschichte erzähle. Man erfährt so mehr Hintergründe im Bezug auf die aktuelle, politische Lage in Russland. Ich werde wohl einige Male auch selber spielen, aber nicht die ganze Zeit lang. Ich habe ja bereits genug Zeit im Gefängnis verbracht. Es werden britische Schauspielerinnen sein, die in diesem Stück spielen aber auch Freiwillige, die uns einfach nur helfen möchten.
Deutschlandfunk Kultur: Sie peilen eine ganze Menge Geld mit ihrer Crowd-Funding-Aktion an – Wird das so eine richtige "High-Tech-Produktion – Oder was genau soll mit dem Geld realisiert werden?
Tolokonnikowa: Ich bin dafür, dass man den Gerichtsaal oder die Kirche nachbildet auch die Gefängniszellen oder die Arbeitsplätze im Knast. Dafür brauchen wir all dieses Geld, dass wir jetzt sammeln.
Deutschlandfunk Kultur: Den Unterstützern Ihrer Kampagne winken hübsche Prämien. Wie bedanken Sie sich bei den Spendern?
Tolokonnikowa: Ich würde sagen, für einen Künstler ist es ist die schönste Auszeichnung, wenn man in seiner politischen Arbeit unterstützt wird. Der Geldbetrag an sich ist zweitrangig. Für mich zählt, dass jemand mir seine Zeit schenkt und dass es ihm wichtig ist, an etwas zu glauben. Das ist für mich eine große Ehre. Und selbst wenn wir nicht die gesamte Summe zusammen bekommen sollten - was jedoch unwahrscheinlich ist - immerhin haben wir bereits die Hälfte, so zählt für mich, dass wir bereits über 300 Unterstützer gewinnen konnten. Das ist viel wichtiger als alles Geld auf dieser Erde. Also Danke an Euch Alle.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.