Nagel: Hirntod sicherstes Kriterium
Der Ärztliche Direktor des Essener Universitätsklinikums Eckhard Nagel hat dafür plädiert, den Hirntod als Kriterium für eine Organentnahme beizubehalten. Er sei dafür, "keine Diskussionen zu entfachen, die Unsicherheiten ergeben", sagte er mit Blick auf Vorstoß der Deutschen Transplantationsgesellschaft.
Gabi Wuttke: Ein fremdes Herz, um einen Menschen zu retten – eine heikle Angelegenheit, denn dem Leben des einen muss der Tod eines anderen vorausgegangen sein. Wann aber dürfen ihm Organe entnommen werden? Wenn das Hirn tot ist, so sagt es das Gesetz. Aber für die deutsche Transplantationsgesellschaft kann dem großen Bedarf an Organen mit dieser Regelung nicht nachgekommen werden. Deshalb fordert die DTG bereits, nach dem Herzstillstand eines Menschen Organe entnehmen zu können. Denn Schnelligkeit ist bei der Transplantation äußerst wichtig. Eine heikle Angelegenheit, zumal der Organspendenskandal immer weitere Kreise zieht. Professor Eckhard Nagel ist Mitglied des Deutschen Ethikrats und im Präsidiumsvorstand der EKD, er hat lange selbst ein Transplantationszentrum geleitet, jetzt ist er ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Essen. Einen schönen guten Morgen, Herr Nagel!
Eckhard Nagel: Guten Morgen, Frau Wuttke!
Wuttke: Mit welchem Maß wird in Deutschland der Tod gemessen?
Nagel: Also, es gibt zwei klare Todeskriterien, das eine ist der Herztod, das andere ist der Hirntod. Diese beiden naturwissenschaftlich begründeten, medizinisch auch angewandten Todesdefinitionen gibt es in Deutschland und die werden auch angewandt.
Wuttke: Vielleicht können Sie uns noch mal sagen, inwiefern es dazwischen einen Unterschied gibt und also zweierlei Maß?
Nagel: Ich weiß nicht, ob man mit zweierlei Maß sprechen kann. Das eine sind beides, in beiden Fällen, organische Veränderungen, die am Ende zum Gesamtausfall des Organismus führen. Wenn wir vom Tod sprechen, dann sprechen wir immer ja von unserem materiellen, unseren körperlichen Tod, also von dem, was man naturwissenschaftlich beobachten und messen kann. Und von Alters her war es immer für die Menschen offensichtlich, dass, wenn der Kreislauf aufhört, das Herz aufhört zu schlagen, dann wird der Körper steif. Und das war für die Menschen der Hinweis darauf, dass das körperliche Leben zu Ende ging beziehungsweise zu Ende war. In der modernen Intensivmedizin mit der Möglichkeit, den Kreislauf zum Beispiel durch ein Beatmungsgerät aufrechtzuerhalten, hat sich eine Problematik ergeben für die Medizin zu fragen: Wenn wir das können, wenn wir also künstlich einen Kreislauf aufrechterhalten, wann ist denn dann unter Umständen der Tod eingetreten? Und da ist vor ungefähr 50 Jahren der Hirntod, also das Versagen der gesamten Struktur des Gehirns, als ein solches Todeskriterium identifiziert worden.
Wuttke: Angesichts des großen Bedarfs von Organen in Deutschland, was halten Sie von dem Vorschlag, der eben jetzt durch die Deutsche Transplantationsgesellschaft laut geworden ist, aber natürlich auch schon länger diskutiert wird?
Nagel: Also, die Fragen der Organentnahme und der Todesdefinition liegen zwar in einem bestimmten Verhältnis zusammen, aber sie haben natürlich vom Grundsatz her miteinander gar nichts zu tun. Wichtig ist für die Transplantationsmedizin, dass Organe nur entnommen werden von einem Menschen, der verstorben ist. Außer bei der Lebendspende, wenn ich als Verwandter zum Beispiel meine Niere spende für meine Frau. Aber ansonsten ist es ganz wesentlich, dass wir uns auch in der ethischen Ausrichtung nicht an einem Menschen vergreifen, der unter Umständen mit diesem Organ noch leben könnte. Also, die Todesdefinition hat an dieser Stelle eine große Bedeutung. Aber wie wir den Tod feststellen, ist primär völlig unabhängig davon, er muss sicher festgestellt werden. Und insofern ist der Hirntod in Deutschland, aber auch weltweit die klare Definition gewesen, die die Grundlage dann auch für eine Organentnahme war. Der Hirntod kann eindeutig festgestellt werden von Neurologen, von Neurochirurgen, die sich in diesem Bereich besonders ausgebildet haben. Beim Herztod ist das etwas anders, weil der Herztod selber in der Medizin mittlerweile auch als rückgängig machbar angesehen wird. Wenn ich ein Herzversagen habe, dann kann zum Beispiel eine Wiederbelebungsmaßnahme durch eine Herzmassage – das kennen viele – dazu führen, dass der Kreislauf wieder aufgenommen wird. Das ist der Grund, warum in Deutschland eine Entnahme nach einem Herztod von Organen nicht erlaubt ist.
Wuttke: Wenn zum Beispiel Polen oder die Niederlande den Herzstillstand als Todesursache und dann die Möglichkeit der Entnahme von Organen in ihren Gesetzen festgeschrieben haben, haben sie dann keine guten Gründe?
Nagel: Nein, das ist etwas, was nicht in den Gesetzen festgeschrieben wird, sondern in allen Ländern ist es so, dass letztendlich den ärztlichen Institutionen, den wissenschaftlichen Gesellschaften übertragen wird, klare und eindeutige Definitionen für den Tod abzugeben. In Ländern wie zum Beispiel in den Niederlanden wissen wir, dass mit diesen Kriterien anders umgegangen wird als bei uns. In den Niederlanden ist zum Beispiel die Entnahme nach einem Herztod von Organen möglich, in den Niederlanden ist aber auch ein assistierter Suizid, also eine Tötung eines Menschen durch einen Arzt denkbar. Also, hier haben wir andere ethische Grundregeln und Grundprinzipien und das führt natürlich auch zu anderen Umgangsweisen mit dieser Frage.
Wuttke: Das heißt, für Sie ist es weiter das entscheidende Kriterium, dass ein Hirntod festgestellt wird?
Nagel: Ich glaube, für die Transplantationsmedizin ist es ganz wesentlich, dass wir eine Eindeutigkeit haben. Und diese Eindeutigkeit, die ist nur gegeben, wenn wir eine sichere Todesfeststellung haben. Die ist im Hinblick auf die Organentnahme nur mit dem Hirntod möglich, und deshalb plädiere ich sehr dafür, hier keine Diskussionen zu entfachen, die Unsicherheiten ergeben. Denn das, was wir sicherlich nicht brauchen, in keinem Bereich der Medizin, sind Unsicherheiten für die Patientinnen und Patienten oder für die Gesellschaft.
Wuttke: Der Vorstoß der Deutschen Transplantationsgesellschaft ist jetzt erst einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden, der entsprechende Brief soll schon vor 16 Monaten an das Bundesgesundheitsministerium geschickt worden sein. Da war der Organspendeskandal noch nicht publik. Sind Sie trotz alledem froh über Hellhörigkeit der Medien?
Nagel: Also, ich glaube, dass es ganz wesentlich ist, dass wir für einen Bereich wie die Transplantationsmedizin, wo man Vertrauen braucht, dass alles das, was passiert, auch wirklich publik wird. Denn nur dann kann am Ende Vertrauen irgendwo entstehen beziehungsweise auch erhalten bleiben. Dass man dann mit diesen schwerwiegenden Vorwürfen umzugehen hat, das ist die Tragik natürlich. Auch, ich sage jetzt mal, im übergeordneten Sinn des menschlichen Daseins. Das ist sehr bitter, das ist traurig und schmerzlich für andere Kollegen, die in diesem Bereich arbeiten, aber es ist notwendig, damit eben nicht hinter vorgehaltener Hand andere Dinge gemacht werden, als sie nach außen dargestellt sind.
Wuttke: Der Tod und die Organtransplantation in Deutschland, dazu im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur Professor Eckhard Nagel als Medizinermitglied des Deutschen Ethikrats. Herr Nagel, vielen Dank für die Erläuterung und einen guten Tag!
Nagel: Ihnen auch einen guten Tag, gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Eckhard Nagel: Guten Morgen, Frau Wuttke!
Wuttke: Mit welchem Maß wird in Deutschland der Tod gemessen?
Nagel: Also, es gibt zwei klare Todeskriterien, das eine ist der Herztod, das andere ist der Hirntod. Diese beiden naturwissenschaftlich begründeten, medizinisch auch angewandten Todesdefinitionen gibt es in Deutschland und die werden auch angewandt.
Wuttke: Vielleicht können Sie uns noch mal sagen, inwiefern es dazwischen einen Unterschied gibt und also zweierlei Maß?
Nagel: Ich weiß nicht, ob man mit zweierlei Maß sprechen kann. Das eine sind beides, in beiden Fällen, organische Veränderungen, die am Ende zum Gesamtausfall des Organismus führen. Wenn wir vom Tod sprechen, dann sprechen wir immer ja von unserem materiellen, unseren körperlichen Tod, also von dem, was man naturwissenschaftlich beobachten und messen kann. Und von Alters her war es immer für die Menschen offensichtlich, dass, wenn der Kreislauf aufhört, das Herz aufhört zu schlagen, dann wird der Körper steif. Und das war für die Menschen der Hinweis darauf, dass das körperliche Leben zu Ende ging beziehungsweise zu Ende war. In der modernen Intensivmedizin mit der Möglichkeit, den Kreislauf zum Beispiel durch ein Beatmungsgerät aufrechtzuerhalten, hat sich eine Problematik ergeben für die Medizin zu fragen: Wenn wir das können, wenn wir also künstlich einen Kreislauf aufrechterhalten, wann ist denn dann unter Umständen der Tod eingetreten? Und da ist vor ungefähr 50 Jahren der Hirntod, also das Versagen der gesamten Struktur des Gehirns, als ein solches Todeskriterium identifiziert worden.
Wuttke: Angesichts des großen Bedarfs von Organen in Deutschland, was halten Sie von dem Vorschlag, der eben jetzt durch die Deutsche Transplantationsgesellschaft laut geworden ist, aber natürlich auch schon länger diskutiert wird?
Nagel: Also, die Fragen der Organentnahme und der Todesdefinition liegen zwar in einem bestimmten Verhältnis zusammen, aber sie haben natürlich vom Grundsatz her miteinander gar nichts zu tun. Wichtig ist für die Transplantationsmedizin, dass Organe nur entnommen werden von einem Menschen, der verstorben ist. Außer bei der Lebendspende, wenn ich als Verwandter zum Beispiel meine Niere spende für meine Frau. Aber ansonsten ist es ganz wesentlich, dass wir uns auch in der ethischen Ausrichtung nicht an einem Menschen vergreifen, der unter Umständen mit diesem Organ noch leben könnte. Also, die Todesdefinition hat an dieser Stelle eine große Bedeutung. Aber wie wir den Tod feststellen, ist primär völlig unabhängig davon, er muss sicher festgestellt werden. Und insofern ist der Hirntod in Deutschland, aber auch weltweit die klare Definition gewesen, die die Grundlage dann auch für eine Organentnahme war. Der Hirntod kann eindeutig festgestellt werden von Neurologen, von Neurochirurgen, die sich in diesem Bereich besonders ausgebildet haben. Beim Herztod ist das etwas anders, weil der Herztod selber in der Medizin mittlerweile auch als rückgängig machbar angesehen wird. Wenn ich ein Herzversagen habe, dann kann zum Beispiel eine Wiederbelebungsmaßnahme durch eine Herzmassage – das kennen viele – dazu führen, dass der Kreislauf wieder aufgenommen wird. Das ist der Grund, warum in Deutschland eine Entnahme nach einem Herztod von Organen nicht erlaubt ist.
Wuttke: Wenn zum Beispiel Polen oder die Niederlande den Herzstillstand als Todesursache und dann die Möglichkeit der Entnahme von Organen in ihren Gesetzen festgeschrieben haben, haben sie dann keine guten Gründe?
Nagel: Nein, das ist etwas, was nicht in den Gesetzen festgeschrieben wird, sondern in allen Ländern ist es so, dass letztendlich den ärztlichen Institutionen, den wissenschaftlichen Gesellschaften übertragen wird, klare und eindeutige Definitionen für den Tod abzugeben. In Ländern wie zum Beispiel in den Niederlanden wissen wir, dass mit diesen Kriterien anders umgegangen wird als bei uns. In den Niederlanden ist zum Beispiel die Entnahme nach einem Herztod von Organen möglich, in den Niederlanden ist aber auch ein assistierter Suizid, also eine Tötung eines Menschen durch einen Arzt denkbar. Also, hier haben wir andere ethische Grundregeln und Grundprinzipien und das führt natürlich auch zu anderen Umgangsweisen mit dieser Frage.
Wuttke: Das heißt, für Sie ist es weiter das entscheidende Kriterium, dass ein Hirntod festgestellt wird?
Nagel: Ich glaube, für die Transplantationsmedizin ist es ganz wesentlich, dass wir eine Eindeutigkeit haben. Und diese Eindeutigkeit, die ist nur gegeben, wenn wir eine sichere Todesfeststellung haben. Die ist im Hinblick auf die Organentnahme nur mit dem Hirntod möglich, und deshalb plädiere ich sehr dafür, hier keine Diskussionen zu entfachen, die Unsicherheiten ergeben. Denn das, was wir sicherlich nicht brauchen, in keinem Bereich der Medizin, sind Unsicherheiten für die Patientinnen und Patienten oder für die Gesellschaft.
Wuttke: Der Vorstoß der Deutschen Transplantationsgesellschaft ist jetzt erst einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden, der entsprechende Brief soll schon vor 16 Monaten an das Bundesgesundheitsministerium geschickt worden sein. Da war der Organspendeskandal noch nicht publik. Sind Sie trotz alledem froh über Hellhörigkeit der Medien?
Nagel: Also, ich glaube, dass es ganz wesentlich ist, dass wir für einen Bereich wie die Transplantationsmedizin, wo man Vertrauen braucht, dass alles das, was passiert, auch wirklich publik wird. Denn nur dann kann am Ende Vertrauen irgendwo entstehen beziehungsweise auch erhalten bleiben. Dass man dann mit diesen schwerwiegenden Vorwürfen umzugehen hat, das ist die Tragik natürlich. Auch, ich sage jetzt mal, im übergeordneten Sinn des menschlichen Daseins. Das ist sehr bitter, das ist traurig und schmerzlich für andere Kollegen, die in diesem Bereich arbeiten, aber es ist notwendig, damit eben nicht hinter vorgehaltener Hand andere Dinge gemacht werden, als sie nach außen dargestellt sind.
Wuttke: Der Tod und die Organtransplantation in Deutschland, dazu im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur Professor Eckhard Nagel als Medizinermitglied des Deutschen Ethikrats. Herr Nagel, vielen Dank für die Erläuterung und einen guten Tag!
Nagel: Ihnen auch einen guten Tag, gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.