Angst in den Golfstaaten
Auch die Golfstaaten sehen ihre Monarchien durch die IS-Milizen bedroht. Christian Koch vom Gulf Research Center erwartet deshalb breite Unterstützung für die US-Politik.
André Hatting: Im Kampf gegen den Terror des Islamischen Staates im Irak greift der Westen zu ungewöhnlichen Mitteln. Deutschland schickt zum ersten Mal direkt Waffen an eine Konfliktpartei, nämlich die Kurden im Irak, und die USA geben offen zu, ohne eine möglichst breite Front ist der Krieg gegen den IS nicht zu gewinnen. Nächste Woche reist US-Außenminister John Kerry in die Region auf der Suche nach Verbündeten. Auch in den Golfstaaten? Deren Rolle ist zwielichtig, vor allem Katar und Kuweit wird vorgeworfen, die Terrormiliz finanziell zu unterstützen. Christian Koch vom Gulf Research Center reist viel in die Golfstaaten, verfolgt die dortige Diskussion sehr intensiv. Heute Morgen ist er bei uns im Studio – guten Morgen, Herr Koch!
Christian Koch: Guten Morgen!
Hatting: Also hierzulande schreckt vor allem die Brutalität des IS auf. Jetzt ist wieder berichtet worden, dass eine weitere Geisel möglicherweise enthauptet worden ist. Welche Reaktion erleben Sie darauf, wenn Sie mit den Menschen in den Golfstaaten sprechen?
Koch: Ich glaube, man ist genauso entsetzt über die Entwicklung, die jetzt stattgefunden hat in den letzten Monaten. ISIS stellt eine direkte Bedrohung für die Golfstaaten dar. Es ist eine direkte Bedrohung für Saudi-Arabien, für die Monarchien im Golf. Und man beobachtet natürlich die Entwicklung sehr gespannt, man ist besorgt. Man weiß, dass diese Terrormiliz auch die Golfstaaten selbst im Visier hat. Und man versucht natürlich jetzt alles, die weitere Entwicklung zu unterbinden und dem auch etwas entgegenzustellen.
"ISIS finanziert sich heute fast von sich selbst"
Hatting: Ist es so die späte Reue, die späte Einsicht, dass man vielleicht die hätte doch nicht unterstützen sollen mit so viel Geld?
Koch: Na gut, es ist immer eine Frage, was bedeutet genau Unterstützung in diesem Sinne. Also direkte Unterstützung der Golfstaaten, staatliche Unterstützung, gibt es bestimmt nicht. Natürlich kann man nicht unbedingt jetzt unterbinden, dass private Gelder auch an solche Milizen fließen. Aber im Endeffekt, ISIS finanziert sich heute fast von sich selbst und nicht unbedingt mehr von den Geldern aus den Golfstaaten.
Hatting: Das heißt, die offizielle Haltung der Golfstaaten zum IS oder zur ISIS, wie sie früher hießen, ist, wir lehnen das ab, wir müssen sie jetzt unbedingt bekämpfen?
Koch: Ja, sicher. Weil, es ist direkt eine Bedrohung für die Erhaltung der Monarchien selbst. Und deswegen versucht man natürlich auch, ISIS zu bekämpfen. Das Problem natürlich ist ein bisschen, dass hier auch natürlich Unterstützung stattgefunden hat durch Gruppen zum Beispiel in Syrien, woraus ISIS sich dann ja erst herausgebildet hat, um hier den Sturz von Präsident Assad zu ermöglichen. Das zeigt sich jetzt wieder aber als eine kurzsichtige Politik, die sich jetzt wieder rächt an den Golfstaaten.
Ähnlichkeiten zwischen Wahhabismus und ISIS
Hatting: In Saudi-Arabien wird ja der Wahhabismus staatlich gefördert, das ist eine sehr traditionalistische, man könnte auch sagen, fundamentalistische Lesart des Islam. Gibt es da Ähnlichkeiten zum Gedankengut des Islamischen Staates?
Koch: Sehr große Ähnlichkeiten, glaube ich. Und wiederum: Daher kommt genau diese Gefahr der ISIS, weil man mit seinem islamischen Gedankengut, wie es ISIS auch verbreitet, die Legitimität der saudischen Familie, der Al-Saud, deren Herrschaft ja auch auf diesem Wahhabismus eigentlich basiert, dass sie diese Legitimität direkt in Frage stellt. Und dass man eben sagt, auch die saudische Herrscherfamilie hat sich von diesem wahren Islam entfernt, und ist nur gezeichnet durch Korruption und Machterhalt. Und deswegen müssen sie beseitigt werden. Und damit stellt sich ISIS als Alternative dar.
Hatting: Welche Rolle spielt eigentlich der Machtkampf um Einfluss in der Region beim Umgang mit den Dschihadisten?
Koch: Genau jetzt, wie meinen Sie genau den Machtkampf? Machtkampf unter den Golfstaaten selbst?
Hatting: Genau.
"Das Rennpferd politischer Islam"
Koch: Gut, es ist eine unterschiedliche Auslegung auch. In Katar hat man ungefähr so ein bisschen auf das Rennpferd politischer Islam gesetzt nach dem arabischen Frühling. Das heißt, man hat sehr die Muslimbruderschaft und auch deren Gruppen unterstützt, die aber dann auch natürlich eine Basis haben für die Bedrohung der ISIS. Saudi-Arabien hat dieses stets direkt abgelehnt. Und deswegen hat man auch diesen Druck vonseiten Saudi-Arabiens, der Vereinigten Arabischen Emirate auf Katar erhöht, um diese Unterstützung für Gruppen, die sich auch mit der Muslimbruderschaft identifizieren, einzuschränken.
Hatting: Und bemerken Sie da tatsächlich eine Kehrtwende?
Koch: Noch nicht unbedingt. Man hat ja jetzt vor kurzem erst ein Außenministertreffen in Dschidda vor ein paar Tagen, wo diese Problematik auch wieder angesprochen worden ist. Aber es ist vorerst erst einmal einfach vertagt worden. Also das Problem ist noch nicht ganz gelöst. Katar wird auch weiterhin seine eigene Politik verfolgen, auch weil es sich so ein bisschen unter dieser Schirmherrschaft Saudi-Arabiens lösen will im Endeffekt.
"Richtige Ideen, aber falsche Politik"
Hatting: Wenn jetzt US-Außenminister John Kerry in die Region reist, nächste Woche soll das sein, will er ja eine möglichst breite Front gegen den Terror des Islamischen Staates haben. Wie viel ehrliche Unterstützung der Golfstaaten darf er da rechnen?
Koch: Also er hat die volle Unterstützung insbesondere von Saudi-Arabien und auch, würde ich sagen, von den Vereinigten Arabischen Emiraten. Der König Abdallah selbst hat erst letzte Woche, hat sich dafür ausgesprochen, dass eben der Islamische Staat eine Bedrohung auch für den Westen sei. Und deswegen erwarte ich hier eine große Unterstützung. Die Frage ist nur, was genau unternimmt man, um diesen Staat dann zu unterbinden? Weil in der Vergangenheit war es immer so, die USA haben wahrscheinlich die richtigen Ideen, wenn es zu der Region kommt, aber ihre Politik verfehlt oft das Ziel.
Hatting: Also richtige Ideen, falsche Umsetzung. Könnten die Golfstaaten dabei helfen, dass es zu einer richtigen Umsetzung kommt?
Koch: Sie können natürlich auch helfen. Sie versuchen ja auch schon einiges. Also die Finanzierung für bestimmte islamische Gruppen wird schon kräftig unterbunden. Man unternimmt – man hat auch jetzt die religiöse Gelehrschaft in Saudi-Arabien mit auf die Seite gebracht, um zu sagen, ISIS stellt die größte Gefahr dar. Das sind also Schritte. Aber selbst, alleine können die Golfstaaten das Blatt auch nicht wenden.
Hatting: Christian Koch vom Golf Research Center in Genf über die Haltung der Golfstaaten zur Terrorgruppe Islamischer Staat. Vielen Dank für den Besuch im Studio!
Koch: Ja, vielen Dank auch!
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