Henning Hoff studierte Zeitgeschichte in Köln und London, arbeitete nach der Promotion als freier Korrespondent in der britischen Hauptstadt. Seit 2011 ist er Editor-at-Large bei der Zeitschrift "Internationale Politik" und betreut zudem deren neues englischsprachiges Pendant "Berlin Policy Journal". Er ist Mitgründer des Verlags WELTKIOSK.
Plädoyer für eine neue Außenpolitik
Die Flüchtlingsbewegung verlange nach einer neuen deutschen Außenpolitik, die an einem diplomatischen Großkonzept für Syrien und den Nahen Osten mitwirke, fordert der Berliner Journalist Henning Hoff.
Mit den Flüchtlingen, las man zuletzt immer wieder, sei die Außenpolitik in der Innenpolitik angekommen. Das stimmt. Doch scheint längst nicht begriffen worden zu sein, was diese Erkenntnis eigentlich bedeutet.
Ja, mittlerweile beschäftigt sich deutsche Politik mit dem syrischen Bürgerkrieg. Und so gelang Außenminister Frank-Walter Steinmeier als Gastgeber Freitagnacht bei den Syrienverhandlungen womöglich ein wichtiger Schritt zu einer Waffenruhe. Gut so.
Viel zu lange galt das fatale Diktum seines Vorgängers Guido Westerwelle: Einmischen berge doch nur die Gefahr, dass sich dieser Konflikt ausweite. Es war eine bequeme Logik, die selbst dann Wegschauen rechtfertigte, als längst offenkundig war, dass Europa und Deutschland sich besser engagiert hätten.
Oder nehmen wir das Interesse an Afghanistan, das fast völlig verschwunden ist. Da habe man sich wohl übernommen, räumte ein ranghoher Berater der Bundeskanzlerin schon 2010 achselzuckend ein.
Und noch ein Punkt. In der Flüchtlingspolitik wird aus innenpolitischem Kalkül über "Obergrenzen" gestritten. Mit außenpolitischem Blick würde man erkennen, dass Migration nicht Beschlüssen in München, Berlin oder Brüssel folgt: Zu groß sind die demografischen und wirtschaftlichen Probleme Nordafrikas und des Nahen wie Mittleren Ostens.
Im Nahen Osten ist schnell Gewaltiges zu leisten
Entsprechend muss auch Außenpolitik zwei, drei Nummern "größer" denken, also geopolitisch und realistisch, übrigens nicht zu verwechseln mit machtpolitisch. Das ist wichtig hinzufügen, um dem Einwand zu begegnen, Deutschland dürfe nach wie vor keine einflussreiche Außenpolitik machen – eingedenk seiner nationalsozialistischen Vergangenheit.
Tatsächlich ist schnell Gewaltiges zu leisten. Lange gab es nicht einmal ansatzweise eine deutsche oder europäische Nahostpolitik. Nun ist ein Großkonzept gefragt, um Bürgerkriege und Rivalitäten zu beenden, damit sich die Region politisch neu ordnen und wirtschaftlich regenerieren kann – diesmal aus eigenem Willen und mit eigener Anstrengung.
Ein solches Mammut-Projekt bringt derzeit niemand anderes voran als Europa – und Berlin kommt eine Schlüsselrolle zu. Es war richtig, einen "Marshall-Plan für den Nahen Osten" vorzuschlagen. Und es war zugleich bedenklich, dass die Initiative von Wolfgang Schäuble kam. Ausgerechnet der Finanzminister, ausgerechnet das älteste Kabinettsmitglied weist den Weg aus dem üblichen Klein-Klein der Außenpolitik.
Dabei haben deutsche Diplomaten jüngst durchaus gezeigt, dass sie imstande ist, internationale Kärrnerarbeit zu leisten, beispielsweise in der Ostukraine, die nach russischer Aggression weiterhin befriedet werden muss, oder in den langwierigen Verhandlungen über ein Atomabkommen mit dem Iran.
Große Lösung für Syrien muss gefunden werden
Die Flüchtlingsfrage zwingt nicht nur, an einer großen Lösung für Syrien und die Region insgesamt mitzuarbeiten. Sie konfrontiert die Europäer mit anderen, alten Themen, mit der sensiblen Südostflanke des atlantischen Bündnisses und mit der schwimmenden Südgrenze im Mittelmeer.
Sie fordert, neu Position zu beziehen zum NATO-Partner Türkei und zum EU-Mitglied Griechenland. Mit Ankara liegt Brüssel im Clinch über Demokratie, Minderheitenrechte und Transit für Islamisten, mit Griechenland über die schwelende Schuldenkrise. Nun verlangt der Migrationsdruck alte Konzepte mit neuen zu verbinden.
Beide Länder brauchen finanzielle Unterstützung, Griechenland gar eine Entschuldung, damit sie sich im Gegenzug als sichere Drittstaaten einrichten, wo Flüchtlinge abwarten, bis sie in ihre Heimat zurückkehren können. Auch Libanon und Jordanien, die viele Flüchtlinge beherbergen, benötigen Hilfe.
Eine neue Außenpolitik aber muss daheim beginnen. Sie setzt einen neuen Blick auf die Welt voraus - einen, der nicht von Ideologie, Ressentiment und Fremdenangst eingenebelt ist.