Zeit für Diplomatie
Die USA haben im Nahen Osten eine diplomatische Brache hinterlassen. Dies rächt sich durch Blutvergießen zwischen Israelis und Palästinensern. Die westlichen Vermittler dürfen die Region nicht sich selbst überlassen, meint Sebastian Engelbrecht.
Der Kampf um das Land zwischen Mittelmeer und Jordan ist in den vergangenen drei Jahren fast in Vergessenheit geraten. Die Kriege in Syrien und Libyen, die Umwälzungen in Ägypten und der aktuelle Siegeszug der "Isis"-Islamisten im Irak haben die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit okkupiert.
Im Schatten dieser Ereignisse hat sich im relativ ruhigen Israel, im relativ ruhigen Palästina neue Aggression aufgestaut. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu baut die israelischen Siedlungen im Westjordanland mit beispielloser Geschwindigkeit weiter und zeigt damit, dass seine Friedensrhetorik nichts als eine leere Luftblase ist. Netanjahu betreibt eine Politik der schleichenden Eroberung des Westjordanlands durch Wohnungsbau. Dass die palästinensische Führung ihre starre Haltung, vor allem in der Frage des Rückkehrrechts der Flüchtlinge, nicht ändert, trägt ebenso zur Verhärtung der Fronten bei.
Wachsender Hass zwischen Israelis und Palästinensern
US-Außenminister John Kerry, der die jüngste Runde der Friedensgespräche mit Euphorie und viel Energie begonnen hatte, wandte sich im April frustriert ab. Die USA haben damit eine diplomatische Brache im Nahen Osten hinterlassen. Dieser Fehler rächt sich jetzt durch Blutvergießen, wachsenden Hass zwischen Israelis und Palästinensern und zusätzliche Instabilität in der Region. Die Untätigkeit der USA auf dem diplomatischen Feld ist das falsche Signal. Sie erzeugt – vor allem bei den Palästinensern – das Gefühl, ohne Perspektive und vergessen zu sein.
Nach dem Mord an den drei jungen Israelis und dem mutmaßlichen Rache-Mord an einem ebenso unschuldigen palästinensischen Jungen erlebt der Nahe Osten die bittere Routine der Gewalt: Raketenbeschuss aus Gaza auf israelische Zivilisten, Luftangriffe auf den Gaza-Streifen, Massenverhaftungen von Palästinensern und Demolierungen von Häusern im Westjordanland, Ausschreitungen nach dem Freitagsgebet in Jerusalem.
Auf einer Facebook-Seite fordern 35.000 Israelis Rache für den Mord an den drei Landsleuten. "Hass auf Araber", heißt es da in einem Eintrag, sei "kein Rassismus, sondern ein Wert". Solche verbale Massengewalt lässt nur erahnen, welche Eruptionen im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern möglich sind.
Die psychologischen Mechanismen des Nahost-Konflikts
Weder die USA noch Europa können sich neben Syrien, dem Irak und Ägypten einen weiteren Brandherd leisten. Auch wenn die Aufgabe schier unlösbar erscheint, müssen die westlichen Vermittler, vor allem die USA, zeigen, dass sie die Region nicht sich selbst überlassen.
Der israelische Psychologe Carlo Strenger hat allen Beteiligten, auch den Friedens-Vermittlern, in diesen Tagen einen wichtigen Hinweis gegeben. Sie müssen bei künftigen Vermittlungsversuchen die psychologischen Mechanismen des Konflikts beachten.
Erstens: Es ist die Angst vor dem Verlust, Verlust des Landes und Verlust der Kontrolle, die Israel zum Siedlungsbau treibt. Zweitens: Es ist der Mangel an einer positiv formulierten Identität. Israel definiert sich seit Jahrzehnten über die Furcht vor dem Nachbarn und über die Notwendigkeit der bisherigen Opfer im Kampf gegen den Nachbarn. Und drittens: Viele Israelis sehen in den Siedlern die eigentlichen, die wahren Zionisten – nämlich die Eroberer von Land. Soweit die psychologischen Beobachtungen von Carlo Strenger. Ähnliche psychologische Kenntnisse wären auch im Blick auf die palästinensische Seite hilfreich.
Darum muss es in Zukunft gehen: Das Feld der Diplomatie muss im Nahen Osten dringend wieder bestellt werden. Wer vermeiden will, dass die grausame Routine der Gewalt immer wieder ausbricht, der muss mit neuen Methoden vermitteln. Zu diesen Methoden gehört nicht nur politische, sondern auch psychologische Kenntnis.