Nahles: SPD muss wieder "mehr eigenes Profil aufbauen"
Kurz vor Beginn des Bundeskongresses in Dresden hat die designierte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles von ihrer Partei Mut zur Veränderung gefordert: "Wenn man die SPD zu neuer Stärke führen will, dann kann sie nicht so bleiben wie sie ist, und das bezieht sich sowohl auf Inhalte, als auch auf bestimmte Organisationsformen".
Marietta Schwarz: Aufbruch und Neuanfang, das sind Begriffe, die im Zusammenhang mit der SPD seit der Bundestagswahl sehr oft gefallen sind. Heute kommt die Partei zu ihrem Bundesparteitag in Dresden zusammen. Dann soll unter anderem die neue Führungsspitze mit Sigmar Gabriel als Chef und Andrea Nahles als Generalsekretärin der Partei gewählt werden. Beide hatten sich bis vor Kurzem nicht besonders viel zu sagen; jetzt sollen sie an der Basis einen, was in den letzten Jahren unvereinbar schien. Eine Mammutaufgabe, ein Rettungsversuch für die Partei, die in den letzten Jahren so auf den Hund gekommen ist. Am Telefon bin ich jetzt mit der Protagonistin Andrea Nahles verbunden. Guten Morgen!
Andrea Nahles: Guten Morgen, Frau Schwarz!
Schwarz: Frau Nahles, die SPD stand schon einmal so schlecht da wie heute. Auf den Tag genau vor 50 Jahren zog sie sich mit dem Godesberger Programm, also einer inhaltlichen Neuausrichtung, aus der Krise. Jetzt versuchen sie es mit einem Personalwechsel. Was werden Sie und Sigmar Gabriel an der Spitze anders machen als Ihre Vorgänger?
Nahles: Zunächst würde ich sagen, dass wir wirklich ein gutes Programm haben und auch im Wahlkampf hatten. Daran hat es nicht gelegen. Es lag daran, dass wir an Glaubwürdigkeit und Vertrauen bei den Wählerinnen und Wählern eingebüßt hatten, und genau darum muss es Sigmar Gabriel und mir gehen, Vertrauen zurückzugewinnen, und das geht eben nur, indem wir uns auch öffnen, nach außen und auch gegenüber den eigenen Mitgliedern.
Schwarz: Ja. Die SPD ist ja in einem katastrophalen Zustand. Fast die Hälfte der Mitglieder ist älter als 60, fast die Hälfte der Mitglieder hat sie verloren und weit über 40 Prozent der Wähler. Dazu kommt, dass viele schlaue Köpfe ja auch die Partei verlassen haben, oder auf die hinteren Listenplätze verdrängt worden sind. Wie wollen Sie dieses Ausbluten stoppen?
Nahles: Wir sind immerhin noch eine der größten Volksparteien. Auch andere Parteien, ohne dass ich das schönreden will, haben Mitgliederprobleme. Wir sind eine Partei, die sich immer wieder aus dem Sumpf gezogen hat, wenn ich an die 147-jährige Geschichte der SPD denke. Trotzdem wird das richtig hart, wird das sehr viel Arbeit bedeuten, aber mein Eindruck, nachdem ich jetzt in den letzten zwei Wochen mit Sigmar Gabriel 6.000 Mitglieder der SPD gesprochen habe, mit denen diskutiert habe, da gibt es auch viel Hoffnung und da gibt es auch viel Wille, sich einzubringen. Die SPD ist lebendig und wir werden jetzt die Oppositionsarbeit gut machen.
Schwarz: Das klingt nach einer Absichtserklärung, aber nicht nach klaren Konzepten.
Nahles: Wir haben überhaupt keine Eile, jetzt uns hier drängeln zu lassen, sage ich Ihnen auch mal. Die Bundestagswahl ist vorbei und wir haben 23 Prozent bekommen und das für die nächsten vier Jahre, heißt Opposition. Wir können in dieser Zeit versuchen, Meinungsführerschaft wieder zurückzuerobern, Vertrauen zurückzugewinnen. Das bedeutet, dass wir mit gesellschaftlichen Gruppen – wir haben zum Beispiel sehr viel bei jungen Menschen verloren -, dass wir es schaffen müssen, auch in die Internet-Generation neue Fühler auszustrecken. Dass wir in der Regierungsverantwortung in den letzten elf Jahren sehr stark bezogen waren aufs Gesetze machen, auf die Regierungstätigkeit, hat natürlich auch die Partei verarmen lassen, und das wieder lebendiger zu gestalten als in den letzten Jahren, das ist unsere Aufgabe und das werden wir mit Elan angehen.
Schwarz: Dieses "lebendiger gestalten", wie sieht das denn aus? Sind das dann doch Inhalte, oder ist es Image-Pflege, Image-Aufpolierung? Ist ja auch nicht unnotwendig.
Nahles: Wenn man die SPD zu neuer Stärke führen will, dann kann sie nicht so bleiben wie sie ist, und das bezieht sich sowohl auf Inhalte, als auch auf bestimmte Organisationsformen. Inhalte, haben wir ganz klar überall gehört, wenn wir unterwegs waren: wir wollen wieder, dass es mehr soziale Profilierung der SPD gibt, dass die SPD wieder stärker eine Partei der Kümmerer ist, die wirklich auch die Sorgen und Nöte der Menschen ernst nimmt. Wir haben hier wirklich einen Prozess von einem Jahr uns vorgenommen, wo wir uns auch inhaltlich neue Ausrichtung vornehmen.
Auf der anderen Seite geht es aber auch darum, dass wir wieder unsere Kommunikation verbessern. Wir sind da teilweise doch sehr oberlehrerhaft rübergekommen in den letzten Jahren, haben oft erklärt, was nicht geht, und viele Leute haben sich nicht mehr ernst genommen genug gefühlt. Da können wir vom Ortsverein bis auf die Bundesebene sehr viel tun, das wollen wir auch tun und da werden auch eine Menge Leute mitarbeiten.
Schwarz: Den Bundesparteitag heute eröffnet ja der scheidende Vorsitzende Franz Müntefering mit einer Rede. Der hat ja noch ein Hühnchen mit Ihnen zu rupfen. Sind Sie ein bisschen nervös?
Nahles: Nein. Ich denke, das hat er uns gestern auch so angekündigt, dass er hier eine im Ton moderate, aber auch ehrliche Rede aus seiner Sicht hält. Wir sind ihm zu Dank verpflichtet. Er war über viele Jahre die Stimme der SPD, er hat viele Wahlkämpfe auch erfolgreich bestritten, unter anderem auch als Generalsekretär der SPD, und ich denke, wir werden hier eine gute Verabschiedung haben, aber natürlich auch einen Generationswechsel auf diesem Parteitag.
Schwarz: Frau Nahles, kommen wir dann doch noch mal zu den handfesten Inhalten, Stichwort "Agenda 2010" und "Rente mit 67". Abschaffen, sagen Sie, sei unglaubwürdig. Also wie sollen diese Kurskorrekturen konkret aussehen?
Nahles: Wir werden uns hier – das ist jedenfalls die Linie, die im Leitantrag vorgegeben wird – nicht darauf jetzt kaprizieren, die Zahl 67 durch 65 einfach auszutauschen. Das ist auch nicht glaubwürdig, sondern wir müssen gucken: wie können Leute, die in der Arbeit kaputt sind, ohne massive Abschläge aus dem Erwerbsleben aussteigen? Die schaffen es oft heute schon nicht bis 63 oder 65, und für diese Gruppe müssen wir neue Antworten finden. Das wird aber nicht von heute auf morgen gehen, das werden wir im nächsten Jahr angehen. Wir werden ausdrücklich unsere Politik auf den Prüfstand stellen, aber keine Schnellschüsse machen.
Schwarz: Vielleicht muss man ja auch dieses Stichwort "Arbeit" noch ein bisschen weiter definieren, ein bisschen ausweiten. Wir haben ja auch einen demografischen Wandel. Es gibt einen Mangel an Arbeit. Gleichzeitig sollen die Leute länger und lebenslänger arbeiten. Vielleicht muss man da ja noch einen Schritt weitergehen und fragen, wie verteilen wir Arbeit in Zukunft gerecht?
Nahles: Das finde ich einen sehr richtigen Hinweis. Ich höre immer wieder, dass gerade junge Familien vor allem eines nicht haben: Zeit. Ich rede sogar davon, dass ich sage, sie sind die Generation ohne Zeit, gerade zwischen 30 und 50, Rushhour des Lebens. Vielleicht kann man tatsächlich mehr Lebensqualität und mehr Beschäftigung schaffen, wenn wir eine neue arbeitszeitpolitische Debatte anstoßen.
Schwarz: Frau Nahles, mit der SPD geht es seit Gerhard Schröder bergab. War seine Orientierung hin zur Mitte ein Fehler?
Nahles: Nein! Wir haben ja erfolgreich dreimal auch Regierungsbeteiligung erreichen können. Aber man darf Mitte eben nicht verwechseln, dass man sich irgendwie anpasst an irgendwelche Meinungen, sondern wir müssen stärker wieder dahin kommen, auch für Politik, die nicht im ersten Moment schon mehrheitsfähig ist, wirklich zu streiten. Am Ende von elf Jahren Regierungspolitik wirkten wir schon ein bisschen verbraucht, würde ich mal sagen, insbesondere weil wir doch zu stark auch nicht durchgedrungen sind mit unseren Überzeugungen, sondern oft eben die Kompromisse eingehen mussten. Viele unserer Anhänger haben uns das übel genommen und ich glaube, an der Stelle müssen wir wieder mehr eigenes Profil aufbauen.
Schwarz: Andrea Nahles, designierte Generalsekretärin der SPD, vor dem heutigen Bundesparteitag in Dresden. Herzlichen Dank, Frau Nahles, für das Gespräch.
Nahles: Vielen Dank, Frau Schwarz.
Andrea Nahles: Guten Morgen, Frau Schwarz!
Schwarz: Frau Nahles, die SPD stand schon einmal so schlecht da wie heute. Auf den Tag genau vor 50 Jahren zog sie sich mit dem Godesberger Programm, also einer inhaltlichen Neuausrichtung, aus der Krise. Jetzt versuchen sie es mit einem Personalwechsel. Was werden Sie und Sigmar Gabriel an der Spitze anders machen als Ihre Vorgänger?
Nahles: Zunächst würde ich sagen, dass wir wirklich ein gutes Programm haben und auch im Wahlkampf hatten. Daran hat es nicht gelegen. Es lag daran, dass wir an Glaubwürdigkeit und Vertrauen bei den Wählerinnen und Wählern eingebüßt hatten, und genau darum muss es Sigmar Gabriel und mir gehen, Vertrauen zurückzugewinnen, und das geht eben nur, indem wir uns auch öffnen, nach außen und auch gegenüber den eigenen Mitgliedern.
Schwarz: Ja. Die SPD ist ja in einem katastrophalen Zustand. Fast die Hälfte der Mitglieder ist älter als 60, fast die Hälfte der Mitglieder hat sie verloren und weit über 40 Prozent der Wähler. Dazu kommt, dass viele schlaue Köpfe ja auch die Partei verlassen haben, oder auf die hinteren Listenplätze verdrängt worden sind. Wie wollen Sie dieses Ausbluten stoppen?
Nahles: Wir sind immerhin noch eine der größten Volksparteien. Auch andere Parteien, ohne dass ich das schönreden will, haben Mitgliederprobleme. Wir sind eine Partei, die sich immer wieder aus dem Sumpf gezogen hat, wenn ich an die 147-jährige Geschichte der SPD denke. Trotzdem wird das richtig hart, wird das sehr viel Arbeit bedeuten, aber mein Eindruck, nachdem ich jetzt in den letzten zwei Wochen mit Sigmar Gabriel 6.000 Mitglieder der SPD gesprochen habe, mit denen diskutiert habe, da gibt es auch viel Hoffnung und da gibt es auch viel Wille, sich einzubringen. Die SPD ist lebendig und wir werden jetzt die Oppositionsarbeit gut machen.
Schwarz: Das klingt nach einer Absichtserklärung, aber nicht nach klaren Konzepten.
Nahles: Wir haben überhaupt keine Eile, jetzt uns hier drängeln zu lassen, sage ich Ihnen auch mal. Die Bundestagswahl ist vorbei und wir haben 23 Prozent bekommen und das für die nächsten vier Jahre, heißt Opposition. Wir können in dieser Zeit versuchen, Meinungsführerschaft wieder zurückzuerobern, Vertrauen zurückzugewinnen. Das bedeutet, dass wir mit gesellschaftlichen Gruppen – wir haben zum Beispiel sehr viel bei jungen Menschen verloren -, dass wir es schaffen müssen, auch in die Internet-Generation neue Fühler auszustrecken. Dass wir in der Regierungsverantwortung in den letzten elf Jahren sehr stark bezogen waren aufs Gesetze machen, auf die Regierungstätigkeit, hat natürlich auch die Partei verarmen lassen, und das wieder lebendiger zu gestalten als in den letzten Jahren, das ist unsere Aufgabe und das werden wir mit Elan angehen.
Schwarz: Dieses "lebendiger gestalten", wie sieht das denn aus? Sind das dann doch Inhalte, oder ist es Image-Pflege, Image-Aufpolierung? Ist ja auch nicht unnotwendig.
Nahles: Wenn man die SPD zu neuer Stärke führen will, dann kann sie nicht so bleiben wie sie ist, und das bezieht sich sowohl auf Inhalte, als auch auf bestimmte Organisationsformen. Inhalte, haben wir ganz klar überall gehört, wenn wir unterwegs waren: wir wollen wieder, dass es mehr soziale Profilierung der SPD gibt, dass die SPD wieder stärker eine Partei der Kümmerer ist, die wirklich auch die Sorgen und Nöte der Menschen ernst nimmt. Wir haben hier wirklich einen Prozess von einem Jahr uns vorgenommen, wo wir uns auch inhaltlich neue Ausrichtung vornehmen.
Auf der anderen Seite geht es aber auch darum, dass wir wieder unsere Kommunikation verbessern. Wir sind da teilweise doch sehr oberlehrerhaft rübergekommen in den letzten Jahren, haben oft erklärt, was nicht geht, und viele Leute haben sich nicht mehr ernst genommen genug gefühlt. Da können wir vom Ortsverein bis auf die Bundesebene sehr viel tun, das wollen wir auch tun und da werden auch eine Menge Leute mitarbeiten.
Schwarz: Den Bundesparteitag heute eröffnet ja der scheidende Vorsitzende Franz Müntefering mit einer Rede. Der hat ja noch ein Hühnchen mit Ihnen zu rupfen. Sind Sie ein bisschen nervös?
Nahles: Nein. Ich denke, das hat er uns gestern auch so angekündigt, dass er hier eine im Ton moderate, aber auch ehrliche Rede aus seiner Sicht hält. Wir sind ihm zu Dank verpflichtet. Er war über viele Jahre die Stimme der SPD, er hat viele Wahlkämpfe auch erfolgreich bestritten, unter anderem auch als Generalsekretär der SPD, und ich denke, wir werden hier eine gute Verabschiedung haben, aber natürlich auch einen Generationswechsel auf diesem Parteitag.
Schwarz: Frau Nahles, kommen wir dann doch noch mal zu den handfesten Inhalten, Stichwort "Agenda 2010" und "Rente mit 67". Abschaffen, sagen Sie, sei unglaubwürdig. Also wie sollen diese Kurskorrekturen konkret aussehen?
Nahles: Wir werden uns hier – das ist jedenfalls die Linie, die im Leitantrag vorgegeben wird – nicht darauf jetzt kaprizieren, die Zahl 67 durch 65 einfach auszutauschen. Das ist auch nicht glaubwürdig, sondern wir müssen gucken: wie können Leute, die in der Arbeit kaputt sind, ohne massive Abschläge aus dem Erwerbsleben aussteigen? Die schaffen es oft heute schon nicht bis 63 oder 65, und für diese Gruppe müssen wir neue Antworten finden. Das wird aber nicht von heute auf morgen gehen, das werden wir im nächsten Jahr angehen. Wir werden ausdrücklich unsere Politik auf den Prüfstand stellen, aber keine Schnellschüsse machen.
Schwarz: Vielleicht muss man ja auch dieses Stichwort "Arbeit" noch ein bisschen weiter definieren, ein bisschen ausweiten. Wir haben ja auch einen demografischen Wandel. Es gibt einen Mangel an Arbeit. Gleichzeitig sollen die Leute länger und lebenslänger arbeiten. Vielleicht muss man da ja noch einen Schritt weitergehen und fragen, wie verteilen wir Arbeit in Zukunft gerecht?
Nahles: Das finde ich einen sehr richtigen Hinweis. Ich höre immer wieder, dass gerade junge Familien vor allem eines nicht haben: Zeit. Ich rede sogar davon, dass ich sage, sie sind die Generation ohne Zeit, gerade zwischen 30 und 50, Rushhour des Lebens. Vielleicht kann man tatsächlich mehr Lebensqualität und mehr Beschäftigung schaffen, wenn wir eine neue arbeitszeitpolitische Debatte anstoßen.
Schwarz: Frau Nahles, mit der SPD geht es seit Gerhard Schröder bergab. War seine Orientierung hin zur Mitte ein Fehler?
Nahles: Nein! Wir haben ja erfolgreich dreimal auch Regierungsbeteiligung erreichen können. Aber man darf Mitte eben nicht verwechseln, dass man sich irgendwie anpasst an irgendwelche Meinungen, sondern wir müssen stärker wieder dahin kommen, auch für Politik, die nicht im ersten Moment schon mehrheitsfähig ist, wirklich zu streiten. Am Ende von elf Jahren Regierungspolitik wirkten wir schon ein bisschen verbraucht, würde ich mal sagen, insbesondere weil wir doch zu stark auch nicht durchgedrungen sind mit unseren Überzeugungen, sondern oft eben die Kompromisse eingehen mussten. Viele unserer Anhänger haben uns das übel genommen und ich glaube, an der Stelle müssen wir wieder mehr eigenes Profil aufbauen.
Schwarz: Andrea Nahles, designierte Generalsekretärin der SPD, vor dem heutigen Bundesparteitag in Dresden. Herzlichen Dank, Frau Nahles, für das Gespräch.
Nahles: Vielen Dank, Frau Schwarz.