Nahles (SPD): Verbleiben Wulffs im Amt undenkbar
Die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles hält in der derzeitigen Situation ein weiteres Verbleiben Christian Wulffs im Amt des Bundespräsidenten für undenkbar. Für den Bundespräsidenten gebe es nun "nur einen ehrenvollen Schritt, den er noch machen kann".
André Hatting: Die Staatsanwaltschaft Hannover hatte lange gezögert, aber jetzt sieht auch sie einen Anfangsverdacht gegen den Bundespräsidenten, und der lautet: Vorteilsannahme im Amt – könnte man auch Korruption nennen. Die Reaktionen aus Berlin sind eindeutig, zumindest, was die Opposition betrifft: Rücktritt, mindestens aber Amt ruhen lassen! Am Telefon ist jetzt Andrea Nahles, die Generalsekretärin der SPD. Guten Morgen, Frau Nahles!
Andrea Nahles: Ja, guten Morgen!
Hatting: Sie haben gesagt, ich zitiere: "Die staatsanwaltliche Ermittlung ist mit dem Amt des Bundespräsidenten unvereinbar." Darf ich das übersetzen mit "Treten Sie zurück, Herr Bundespräsident"?
Nahles: Er sollte sich heute erklären. Es gibt nur einen ehrenvollen Schritt, den er noch machen kann, und im Übrigen ist einfach auch nicht denkbar, dass er seine Amtsgeschäfte ausführen kann. Ich glaube, das Amt hat er jetzt so weit beschädigt, dass es eine sehr zugespitzte Situation gibt. Und wir warten hier alle in Berlin eigentlich darauf, dass er sich heute dazu äußert.
Hatting: Aber noch gilt ja auch für Herrn Wulff die Unschuldsvermutung. Deswegen haben die Grünen-Fraktionsvorsitzenden Trittin und Künast nur gefordert: Mindestens Amt ruhen lassen. Könnte man das nicht auch erst mal abwarten?
Nahles: Ja, selbstverständlich gilt die Unschuldsvermutung. Darum geht es doch aber überhaupt nicht. Es geht darum, ob er über Monate – bei staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen kann man nicht davon ausgehen, das so was in drei Tagen erledigt ist –, während diese Ermittlungen laufen, immer neue Sachen möglicherweise zum Vorschein kommen, sein Amt ausüben kann. Es kann sein, dass am Ende Christian Wulff da unschuldig ist, das will ich gar nicht in Abrede stellen. Aber es ist doch so, dass er in der Zeit nicht mehr sein Amt ausüben kann. Und ich weiß nicht … Ehrlich gesagt, eine Situation, wo ein Staatsoberhaupt sein Amt ruhen lässt, das kann ich mir schlicht praktisch gar nicht vorstellen. Von daher bin ich der Überzeugung, dass es jetzt daran ist für Christian Wulff, den Weg frei zu machen. Und es ist auch eine Verantwortung, die er da hat, gegenüber dem deutschen Volk.
Hatting: Zunächst folgt jetzt erst einmal die Aufhebung der Immunität. Darüber entscheidet der Bundestag, es reicht dafür ein Viertel der Stimmen und die kommen mit Sicherheit auch von der SPD?
Nahles: Ja, das werden wir machen, ich bin auch daran interessiert, dass dieser Immunitätsausschuss möglichst zügig zusammentritt, dass jetzt keine lange Hängepartie wird. Insgesamt, glaube ich, verträgt einfach weder das Amt, noch das Ansehen Deutschlands jetzt eine Hängepartie. Der Einzige, der das wirklich in der Hand hat kurz zu machen und den Weg frei zu machen, ist Christian Wulff.
Hatting: Egal, ob er sich nun schuldig gemacht hat oder nicht: Juristisch gesehen – das habe ich heute früh gelernt – dürfte er in beiden Fällen im Amt bleiben. Was machen Sie denn dann?
Nahles: Ja, aber es ist doch nicht eine Frage des Dürfens, es ist doch eine Frage, wie geht man anständig mit so einer Situation um!
Hatting: Sie haben immer wieder angeboten, gemeinsam mit der Union einen Kandidaten zu suchen. An wen denken Sie da?
Nahles: Ja, wir wollen erst mal abwarten, wie sich jetzt Christian Wulff verhält. Ich möchte nicht konkret den Namen nennen, aber für uns wäre auf jeden Fall eine Person denkbar, die vielleicht Parteimitglied ist, warum nicht, aber trotzdem überparteilich Anerkennung gefunden hat. Und das scheint mir das entscheidende Kriterium zu sein. Nachdem jetzt über Wochen das Amt in den Negativschlagzeilen war, können wir uns parteitaktische Manöver nicht erlauben. Die SPD hat schon vor Wochen die Hand ausgestreckt, hat gesagt, wir bieten gemeinsame Suche an. Und dabei bleiben wir, diesen Vorschlag erneuern wir heute und wir hoffen, dass darauf gegebenenfalls dann auch eingegangen wird.
Hatting: Wulff ist, ebenso wie Köhler es war, ein Kandidat der Union und vor allem der Bundeskanzlerin. Wie sehr treffen sie jetzt diese Vorgänge?
Nahles: Ja, sie hat ihn in drei Wahlgängen durchgesetzt, obwohl es einen sehr reputierlichen, überparteilichen Kandidaten mit Joachim Gauck gegeben hat. Es war von Anfang an auch die Verantwortung von Frau Merkel. Sie hat meiner Meinung nach jetzt auch in diesen Stunden die Verantwortung, mit Christian Wulff da zu reden. Im Übrigen kann ich mir schlechterdings nicht vorstellen, dass Frau Merkel jetzt noch mal einen parteipolitischen Kandidaten vorschlägt, sondern eben einen, der überparteilich Anerkennung findet. Und nur so könnte man aus dieser Sache auch vonseiten Frau Merkels möglichst sauber rauskommen.
Hatting: Finden Sie eigentlich, dass das Amt des Bundespräsidenten sich eignet für parteipolitisches Kalkül? Ich meine, Wulff und Köhler waren Kandidaten der Union, das hatte ich gesagt, Johannes Rau war vor allem einer der SPD. Gewählt werden sie nicht vom Volk, sondern von der Bundesversammlung. Finden Sie das in Ordnung, dass man das eben auch für politische Machtspiele nutzt?
Nahles: Ich habe es eigentlich bisher immer so gesehen, dass es Deutschland gelungen war, immer Kandidaten zu finden, die vielleicht eine parteipolitische Karriere sogar hinter sich hatten wie zum Beispiel Richard von Weizsäcker oder Johannes Rau, die aber qua Person so ausgestrahlt haben, auch so verbindlich waren und so für die ganze Republik gestanden haben, dass das keine Rolle gespielt hat mehr. Und von daher ist es doch eine Frage der Person und wie sie ihr Amtsverständnis auch hat. Wir werden ja nicht in Deutschland anerkannte Persönlichkeiten finden, die keine Geschichte haben. Und das wollen wir auch nicht, wir wollen ja da auch starke Menschen haben, die was zu sagen haben, etwas beizusteuern haben. Ich würde also da jetzt keine grundsätzliche Regel aufstellen, es darf in Zukunft halt niemand mehr sein, der eine parteipolitische Vergangenheit hat. Aber er sollte doch in der Lage sein, die Würde des Amtes auszufüllen, und das ist eben jetzt infrage gestellt. Gerade die bürgerlichen Parteien legen ja immer Wert auf Anständigkeit, und diese moralische Autorität muss man dem jetzigen Bundespräsidenten absprechen.
Hatting: Andrea Nahles, SPD-Generalsekretärin, war das. Vielen Dank für das Gespräch, Frau Nahles!
Nahles: Ja, danke, tschüss!
Hatting: Tschüss!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Sie können das vollständige Gespräch mindestens bis zum 17.6.2012 als MP3-Audio in unserem Audio-on-Demand-Player nachhören.
Links bei dradio.de:
Staatsanwaltschaft beantragt Aufhebung von Wulffs Immunität -
Anfangsverdacht wegen Vorteilsannahme und -gewährung
Staatsrechtler: Wulffs Rücktritt ist unvermeidlich
Für Christoph Degenhart hat der Bundespräsident kein Standing mehr
Oppermann: Wulff ist nicht mehr tragbar als Bundespräsident - SPD-Politiker spricht sich für einen überparteilichen Kandidaten aus
Lötzsch: Richard von Weizsäcker ist "der Maßstab für einen Bundespräsidenten" - Die Vorsitzende der Partei Die Linke über eine mögliche Wulff-Nachfolge
Goppel: Die jetzige Situation beschädigt das Amt des Bundespräsidenten - CSU-Politiker warnt aber vor einseitiger Schuldzuweisung im Fall Wulff
Andrea Nahles: Ja, guten Morgen!
Hatting: Sie haben gesagt, ich zitiere: "Die staatsanwaltliche Ermittlung ist mit dem Amt des Bundespräsidenten unvereinbar." Darf ich das übersetzen mit "Treten Sie zurück, Herr Bundespräsident"?
Nahles: Er sollte sich heute erklären. Es gibt nur einen ehrenvollen Schritt, den er noch machen kann, und im Übrigen ist einfach auch nicht denkbar, dass er seine Amtsgeschäfte ausführen kann. Ich glaube, das Amt hat er jetzt so weit beschädigt, dass es eine sehr zugespitzte Situation gibt. Und wir warten hier alle in Berlin eigentlich darauf, dass er sich heute dazu äußert.
Hatting: Aber noch gilt ja auch für Herrn Wulff die Unschuldsvermutung. Deswegen haben die Grünen-Fraktionsvorsitzenden Trittin und Künast nur gefordert: Mindestens Amt ruhen lassen. Könnte man das nicht auch erst mal abwarten?
Nahles: Ja, selbstverständlich gilt die Unschuldsvermutung. Darum geht es doch aber überhaupt nicht. Es geht darum, ob er über Monate – bei staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen kann man nicht davon ausgehen, das so was in drei Tagen erledigt ist –, während diese Ermittlungen laufen, immer neue Sachen möglicherweise zum Vorschein kommen, sein Amt ausüben kann. Es kann sein, dass am Ende Christian Wulff da unschuldig ist, das will ich gar nicht in Abrede stellen. Aber es ist doch so, dass er in der Zeit nicht mehr sein Amt ausüben kann. Und ich weiß nicht … Ehrlich gesagt, eine Situation, wo ein Staatsoberhaupt sein Amt ruhen lässt, das kann ich mir schlicht praktisch gar nicht vorstellen. Von daher bin ich der Überzeugung, dass es jetzt daran ist für Christian Wulff, den Weg frei zu machen. Und es ist auch eine Verantwortung, die er da hat, gegenüber dem deutschen Volk.
Hatting: Zunächst folgt jetzt erst einmal die Aufhebung der Immunität. Darüber entscheidet der Bundestag, es reicht dafür ein Viertel der Stimmen und die kommen mit Sicherheit auch von der SPD?
Nahles: Ja, das werden wir machen, ich bin auch daran interessiert, dass dieser Immunitätsausschuss möglichst zügig zusammentritt, dass jetzt keine lange Hängepartie wird. Insgesamt, glaube ich, verträgt einfach weder das Amt, noch das Ansehen Deutschlands jetzt eine Hängepartie. Der Einzige, der das wirklich in der Hand hat kurz zu machen und den Weg frei zu machen, ist Christian Wulff.
Hatting: Egal, ob er sich nun schuldig gemacht hat oder nicht: Juristisch gesehen – das habe ich heute früh gelernt – dürfte er in beiden Fällen im Amt bleiben. Was machen Sie denn dann?
Nahles: Ja, aber es ist doch nicht eine Frage des Dürfens, es ist doch eine Frage, wie geht man anständig mit so einer Situation um!
Hatting: Sie haben immer wieder angeboten, gemeinsam mit der Union einen Kandidaten zu suchen. An wen denken Sie da?
Nahles: Ja, wir wollen erst mal abwarten, wie sich jetzt Christian Wulff verhält. Ich möchte nicht konkret den Namen nennen, aber für uns wäre auf jeden Fall eine Person denkbar, die vielleicht Parteimitglied ist, warum nicht, aber trotzdem überparteilich Anerkennung gefunden hat. Und das scheint mir das entscheidende Kriterium zu sein. Nachdem jetzt über Wochen das Amt in den Negativschlagzeilen war, können wir uns parteitaktische Manöver nicht erlauben. Die SPD hat schon vor Wochen die Hand ausgestreckt, hat gesagt, wir bieten gemeinsame Suche an. Und dabei bleiben wir, diesen Vorschlag erneuern wir heute und wir hoffen, dass darauf gegebenenfalls dann auch eingegangen wird.
Hatting: Wulff ist, ebenso wie Köhler es war, ein Kandidat der Union und vor allem der Bundeskanzlerin. Wie sehr treffen sie jetzt diese Vorgänge?
Nahles: Ja, sie hat ihn in drei Wahlgängen durchgesetzt, obwohl es einen sehr reputierlichen, überparteilichen Kandidaten mit Joachim Gauck gegeben hat. Es war von Anfang an auch die Verantwortung von Frau Merkel. Sie hat meiner Meinung nach jetzt auch in diesen Stunden die Verantwortung, mit Christian Wulff da zu reden. Im Übrigen kann ich mir schlechterdings nicht vorstellen, dass Frau Merkel jetzt noch mal einen parteipolitischen Kandidaten vorschlägt, sondern eben einen, der überparteilich Anerkennung findet. Und nur so könnte man aus dieser Sache auch vonseiten Frau Merkels möglichst sauber rauskommen.
Hatting: Finden Sie eigentlich, dass das Amt des Bundespräsidenten sich eignet für parteipolitisches Kalkül? Ich meine, Wulff und Köhler waren Kandidaten der Union, das hatte ich gesagt, Johannes Rau war vor allem einer der SPD. Gewählt werden sie nicht vom Volk, sondern von der Bundesversammlung. Finden Sie das in Ordnung, dass man das eben auch für politische Machtspiele nutzt?
Nahles: Ich habe es eigentlich bisher immer so gesehen, dass es Deutschland gelungen war, immer Kandidaten zu finden, die vielleicht eine parteipolitische Karriere sogar hinter sich hatten wie zum Beispiel Richard von Weizsäcker oder Johannes Rau, die aber qua Person so ausgestrahlt haben, auch so verbindlich waren und so für die ganze Republik gestanden haben, dass das keine Rolle gespielt hat mehr. Und von daher ist es doch eine Frage der Person und wie sie ihr Amtsverständnis auch hat. Wir werden ja nicht in Deutschland anerkannte Persönlichkeiten finden, die keine Geschichte haben. Und das wollen wir auch nicht, wir wollen ja da auch starke Menschen haben, die was zu sagen haben, etwas beizusteuern haben. Ich würde also da jetzt keine grundsätzliche Regel aufstellen, es darf in Zukunft halt niemand mehr sein, der eine parteipolitische Vergangenheit hat. Aber er sollte doch in der Lage sein, die Würde des Amtes auszufüllen, und das ist eben jetzt infrage gestellt. Gerade die bürgerlichen Parteien legen ja immer Wert auf Anständigkeit, und diese moralische Autorität muss man dem jetzigen Bundespräsidenten absprechen.
Hatting: Andrea Nahles, SPD-Generalsekretärin, war das. Vielen Dank für das Gespräch, Frau Nahles!
Nahles: Ja, danke, tschüss!
Hatting: Tschüss!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Sie können das vollständige Gespräch mindestens bis zum 17.6.2012 als MP3-Audio in unserem Audio-on-Demand-Player nachhören.
Links bei dradio.de:
Staatsanwaltschaft beantragt Aufhebung von Wulffs Immunität -
Anfangsverdacht wegen Vorteilsannahme und -gewährung
Staatsrechtler: Wulffs Rücktritt ist unvermeidlich
Für Christoph Degenhart hat der Bundespräsident kein Standing mehr
Oppermann: Wulff ist nicht mehr tragbar als Bundespräsident - SPD-Politiker spricht sich für einen überparteilichen Kandidaten aus
Lötzsch: Richard von Weizsäcker ist "der Maßstab für einen Bundespräsidenten" - Die Vorsitzende der Partei Die Linke über eine mögliche Wulff-Nachfolge
Goppel: Die jetzige Situation beschädigt das Amt des Bundespräsidenten - CSU-Politiker warnt aber vor einseitiger Schuldzuweisung im Fall Wulff