Ari Shavit: My Promised Land. The Triumph and Tragedy of Israel.
Verlag Spiegel&Grau, New York 2013
464 Seiten, 15,95 Euro, auch als ebook erhältlich
Das Scheitern des israelischen Traums
Israel ist die einzige Demokratie im Nahen Osten, aber auch eine Besatzungsmacht. Der Journalist Ari Shavit von der liberalen Tageszeitung Haaretz hat ein Buch über den Triumph und die Tragödie seines Heimatlandes geschrieben.
Sieg und Tragödie – in diesen beiden Begriffen fasst der namhafte israelische Journalist Ari Shavit die Geschichte seines Landes zusammen. Seinem "verheißenen Land" singt der Autor ein Loblied und eine Wehklage zugleich. Zentrales Spannungsfeld bilden die historische Errungenschaft eines moralischen und militärisch starken Israels einerseits und dessen stetige Bedrohtheit andererseits.
Leitmotiv ist die Angst vor dem Scheitern des zionistischen Projekts. Schon der erste Satz des Buches offenbart sie.
"Solange ich mich erinnern kann, kenne ich Angst. Existentielle Angst."
Und er sucht Gründe für die verfahrene Lage:
"Erst vor ein paar Jahren dämmerte es mir plötzlich, dass meine existenzielle Angst mit Blick auf die Zukunft meines Landes und meine moralische Empörung über die Besatzungspolitik meines Landes nicht unverbunden sind. Einerseits ist Israel die einzige Nation des Westens, die ein anderes Volk besetzt hält. Andererseits ist Israel die einzige Nation des Westens, die in ihrer Existenz bedroht ist. Beides, Besatzung und Bedrohtheit, macht Israel einzigartig. Bedrohtheit und Besatzung sind die beiden tragenden Säulen unserer Lage geworden. Die meisten Beobachter leugnen diese Dualität. Nur ein dritter Ansatz, der sowohl Bedrohtheit als auch Besatzung einbezieht, kann sich als realistisch erweisen und Israels Geschichte richtig deuten."
Doch stimmt es, dass sich die Linkszionisten ausschließlich mit der Besatzungspolitik und deren moralischer Verwerflichkeit beschäftigen, dabei aber die außenpolitische Gefahr ignorieren? Und trifft es umgekehrt zu, dass die Rechtzionisten alleine auf Israels Bedrohtheit fixiert sind und gleichzeitig die mit der Siedlungspolitik einhergehende Militarisierung verdrängen?
Politik zwischen Besatzung und Bedrohtheit
Die Geschichte lehrt jedenfalls, dass beide politische Blöcke, die linkszionistische Avoda ebenso wie der rechtzionistische Likud, sowohl die Siedlungspolitik als auch die Sicherheitspolitik aus Überzeugung verfolgten. Ein dritter Erklärungsansatz findet sich nicht.
Der 1957 geborene Israeli steht vielmehr in linkszionistischer Tradition. Jener politischen Strömung, welche die zionistischen Ziele der "Judaisierung von Palästina" mit einem möglichen Frieden vereinbart sehen wollte. Jüdischer Nationalismus als Ansatz zur Normalisierung des jüdischen Lebens sollte auch Frieden mit den Nichtjuden bringen.
Dass das zionistische Projekt schließlich mit dem Schwert und auf Kosten der Palästinenser umgesetzt werden müsste, wollte der Linkszionismus nicht wahrnehmen. "Aufgeklärte Okkupation" war Ausdruck seiner Widersprüchlichkeit.
Ari Shavits Text offenbart das linkszionistische Dilemma: Ebenso wie der Rechtzionismus oder auch der religiöse Zionismus begreift der Linkszionismus das Konzept eines jüdischen Staats im Eretz Israel als alternativlos. Anders als seine politischen Gegner will er sich nicht mit dem Konfliktzustand abfinden. Er sucht den Frieden, obwohl er nicht wirklich daran glaubt.
"Der elementare Irrtum der israelischen Linken lag darin, dass sie nie zwischen dem Thema Besatzung und dem Thema Frieden unterschied. Im Hinblick auf die Besatzung lag die Linke völlig richtig. Sie verstand, dass die Besatzung eine moralische, demografische und politische Katastrophe ist. Aber was den Frieden angeht, war die Linke ziemlich naiv. Sie setzte auf einen Friedenspartner, den es im Grunde nicht gab. Sie unterstellte, weil Frieden benötigt werde, sei er auch möglich. Aber die Geschichte des Konflikts und die geostrategische Lage der Region legten nahe, dass Frieden eben nicht möglich war."
Die Geschichte des ewigen Konflikts
Und diese Geschichte eines Konfliktes erzählt er: Beginnend mit dem Gründungsjahr des Zionismus, der Unsicherheit der Vorstaatlichkeit und den Prägungen des Lebens in Palästina bis zur Gründung Israels, dann die Aufbaujahre und der Neuanfang für die jüdischen Einwanderer, die Sorge um die nationale Sicherheit und das israelische Atomprogramm sowie die Siedlungspolitik in den besetzten Palästinensergebieten.
Es folgt schließlich das Innerjüdische, die Spannungen zwischen den aschkenazischen und orientalischen Juden Israels, das angeblich freizügige Tel Aviver Leben mit Sex und Drugs. Im neuen Millennium geht es dann um den sozialen Protest von Occupy Rothschild, Israels angespanntes Verhältnis zu seiner arabischen Minderheit, den Zweiten Libanonkrieg und abschließend um Irans Atomprogramm.
Insgesamt belegen diese Abschnitte das Scheitern des zionistischen Traums von einem jüdischen und zugleich demokratischen Staat. Für die Einwohner Israels sind heute weder Frieden und Gerechtigkeit noch Sicherheit garantiert.
Kohärente Argumente oder überzeugende Analysen liefert Ari Shavit nicht. Er zitiert viel und gibt es unkommentiert wieder. Stattdessen bietet er ein vielstimmiges, atmosphärisch erzähltes Panorama der vielschichtigen Problematik eines Landes, das im Grunde nicht weiter weiß.
In Amerika ist das eher mittelmäßige Buch von der Kritik begeistert aufgenommen worden. Der erstaunliche Erfolg liegt vermutlich daran, dass es der zunehmenden Verzweiflung und Aussichtlosigkeit über Israels konfliktträchtige politische Ordnung Ausdruck verleiht, zugleich aber sich zum Zionismus, mithin zum jüdischen Staat bekennt:
"Wir mussten uns selbst retten, indem wir ein jüdisches nationales Zuhause errichteten (...) Und wenn ich auf den Stufen von Yad Vashem stehe, kann ich nicht anders als auf Israel stolz sein. Ich wurde als Israeli geboren, ich lebe als Israeli, und als Israeli werde ich auch sterben."