Der Judenhass der Facebook-Kämpfer
Angesichts der Kämpfe im Gazastreifen schlagen sich Muslime hierzulande radikal und wortmächtig auf die Seite der Palästinenser. Doch die Ideologie der Hamas hinterfragen sie nicht, kritisiert der Autor Eren Güvercin.
Es ist immer dasselbe: wer als Muslim andere Muslime kritisiert, wird schnell als "Verräter" beschimpft und als "unsolidarisch" hingestellt. Besonders ein Reizthema wie der Konflikt um Palästina löst reflexartig scharfe Vorwürfe aus, sobald eine abweichende Meinung geäußert wird.
Sich heftig, radikal und wortmächtig auf die Seite der Palästinenser zu schlagen, scheint für nicht wenige, die Tausende Kilometer vom Nahen Osten entfernt leben, eine Art politischer und religiöser Ersatz geworden zu sein.
Es macht schon nachdenklich, wie sehr sich gerade junge muslimische Europäer an krisenhaften Momenten emotional aufladen und rationalen Argumenten nicht mehr zugänglich sind, jede Distanz verlieren – wohlbemerkt ohne objektiv persönlich betroffen zu sein.
Nicht einmal ansatzweise lassen sie sich darauf ein, gleichzeitig das brutale Vorgehen Israels wie das nihilistische Treiben der Hamas abzulehnen oder solidarisch mit allen zivilen Opfer von Waffengewalt zu sein.
Wirklich erschrecken lässt, was in den sozialen Medien zu lesen, was teilweise auf Demonstrationen zu hören ist, was also in unmittelbarer Nachbarschaft gedacht und gesagt wird.
Da mischen sich Hitler-Bilder mit Kommentaren voll ekelhaftem Antisemitismus, Wut und Hass mit hehren Worten, die Terror fast schon heilig sprechen.
Vom Kleinbürger zum verblendeten Aktivisten
Ich frage mich, wie steht es um die Moral von Muslimen, die mitten in einem sicheren kleinbürgerlichen Leben immer mal wieder zu ideologisch-verblendeten Aktivisten mutieren, so als würden sie sich an einem brutalen Computerspiel abreagieren. Und ich frage mich, was sie da so vehement abreagieren – angesichts von Szenen auf You-Tube, die andere Menschen eher betroffen und nachdenklich machen.
Ein Grund dafür ist, dass der organisierte Islam das Problem ignoriert, dass auswärtige Konflikte - ob in Palästina, Syrien oder der Türkei - zu Spannungen auch unter Muslimen in Deutschland führen. Vor allem fühlen sich Funktionäre großer Verbände nicht verantwortlich dafür einzuschreiten, wo sich unter dem Deckmantel der Religion Aggression und Ideologie ausleben.
Außer trockenen Pressemitteilungen fällt ihnen nicht viel ein. Obschon sie sich als Gralshüter des Islam in Deutschland und Europa aufführen, haben sie das Problem mit ideologisierten Gruppen weder politisch noch theologisch durchdrungen. Wie alle Muslime beklagen sie zu Recht die israelische Besatzung in Palästina und den illegalen Ausbau der Siedlungen auf der Westbank, und sie empören sich, wann immer Zivilisten durch Militärs getötet, ihre Häuser zerstört werden.
Keine Auseinandersetzung mit der Hamas
Doch vor einer kritischen Auseinandersetzung mit der Ideologie der Hamas und ähnlichen Gruppen schrecken sie zurück, deren Strategie zu hinterfragen sind sie nicht bereit.
Was rechtfertigt beispielsweise selbstmörderische Aktionen, die auf das Elend der eigenen Leute noch eins drauf setzten, Aktionen, die in den langen 20 Jahren nichts im Nahen Osten verbessert haben? Wie kann man als Muslim sich dazu neutral verhalten?
Was soll aus jungen Muslimen werden, wenn die alten sich scheuen, das eigene Denken auf den Prüfstand zu stellen, wenn sie nicht ehrlich überzeugt sind, dass Religion Frieden stiften soll, wenn sie sich nicht mutig dagegen wehren, dass der Islam politisch missbraucht wird?
Viel zu lange schon verfährt jeder auf seine Weise nach der Methode: entweder Du denkst wie ich und bist Teil der eigenen Parteiung, oder Du gehörst nicht mehr dazu. So glaubt man, auf schwankendem Boden sicheren Stand zu bekommen. Was daran "islamisch" sein soll, ist mir ein Rätsel.
Eren Güvercin, freier Journalist und Autor. Im April 2012 erschien bei Herder sein Buch "Neo-Moslems - Porträt einer deutschen Generation".