"Cool, endlich schreibt mal einer einen Thriller über uns"
Nach dem "Schwarm" geht es in "Breaking News" um die Untiefen der israelischen Geschichte und Politik. Ein ausgebrannter Kriegsreporter kommt einer möglichen Verschwörung gegen Ariel Scharon auf die Spur.
Joachim Scholl: Ein deutscher Kriegsreporter baut Mist in Afghanistan, Menschen sterben, er fällt in ein tiefes Loch, verliert seinen Job. Im Nahen Osten dann stößt er aber auf eine Story, die es in sich hat: eine Verschwörung, in deren Zentrum Ariel Scharon steht, der umstrittene, jüngst verstorbene Ministerpräsident Israels, der 2006 ins Koma fiel. Und das war kein Zufall, oder? – So ganz, ganz kurz lässt sich der Stoff von "Breaking News“ zusammenfassen, der neue Roman von Frank Schätzing. Heute erscheint das Buch. Guten Tag, Herr Schätzing.
Frank Schätzing: Guten Tag.
Scholl: In Ihrem Welt-Bestseller "Der Schwarm“ haben Sie halb Europa im Meer versenkt. In dem Roman "Limit“ fahren wir mit dem Fahrstuhl zum Mond, wo es dann auch gewaltig kracht. Jetzt nehmen Sie den Nahost-Konflikt in den Blick, und zwar ziemlich ab Tag eins auf über 950 Seiten. Eine Nummer kleiner geht bei Ihnen schlecht, in diesem Fall wahrscheinlich gar nicht?
Schätzing: Na ja, nach Tiefsee und Weltraum musste ich ja irgendwas Adäquates liefern, und es war auch klar, es musste was dazwischen sein, und na ja, das ist sicherlich eine der größten Problematiken, die wir auf dem Erdball haben. Also war der Nahe Osten fällig. Nein, ganz so einfach ist es nicht. Es ist tatsächlich so, dass ich mit Freunden bei einem Frühstück saß vor drei Jahren, nichts Böses ahnend: Wir redeten über den Nahost-Konflikt und warum es da unten so schwierig vorangeht.
Und ich hörte mich sagen: Der Letzte, dem ich zugetraut hätte, da eine Lösung zu finden, wäre Ariel Scharon gewesen, der ja in den letzten Jahren gerade auch als Premier diese bemerkenswerte 180-Grat-Kurve geflogen ist und dann ja Gaza entkoppelte und die Siedlungen auflöste. Dann hatte er nun mal diese Hirnblutung, und im selben Moment, wo ich so darüber nachdachte, schoss mir ein Gedanke durch den Kopf: Das war nicht einfach eine Hirnblutung, das war das Resultat eines Anschlags – vor dem Hintergrund meiner Kenntnis, dass das durchaus im Bereich des Vorstellbaren gelegen hätte -, und so hat sich das eigentlich aus einer richtigen klassischen Thriller-Idee heraus entwickelt.
"Erstmals habe ich das Ganze verstanden"
Scholl: Der Roman, der ist wie seine Vorgänger super rasant. Viel Action, die der Reporter Tom Hagen erlebt und selber auslöst. Dazwischen erzählen Sie von den 1930er-Jahren an die komplette Geschichte Israels, könnte man sagen, im 20. Jahrhundert, und zwar in der schönen epischen Form der Familiensaga. Wie sind Sie auf diese Struktur gekommen?
Schätzing: Eigentlich zufällig. Es sollte ursprünglich ein Medien-Thriller werden. Israel sollte so ein bisschen das Hintergrundrauschen liefern, Scharon sollte so das Zündholz sein, um die Szenerie zu beleuchten. Aber ich hatte das gar nicht so sehr jetzt in den Vordergrund stecken wollen. Dann war mir aber klar: ich muss mich intensiv mit der Region beschäftigen, um da jetzt keinen Mist zu schreiben, habe das getan und sehr schnell festgestellt, du kannst den Status quo nicht begreifen, wenn du nicht zurück in die Geschichte gehst. So wurde das im Prinzip ein Geschichtsstudium des Nahen Ostens und erstmals habe ich das ganze verstanden, war so fasziniert dann von der Region, dass ich gedacht habe, nein, das wird ein Nahost-Thriller.
Und um nun das Handeln der Figuren auf der Jetztzeit-Ebene wirklich plausibel und glaubhaft zu machen, bot es sich an, ihre Geschichte zu erzählen, die Geschichte ihrer Familie, und so ist diese Familie reingekommen. Und dann wurde mir sehr schnell klar: Anhand dieser Familie konnte ich im Grunde nicht nur die Entstehung des Staates Israel erzählen, sondern ich konnte auch jeden Typus des modernen Israeli, wie wir ihn heute kennen, in seiner Entwicklung darstellen: wie hat sich die Gesellschaft, diese ja sehr komplexe Gesellschaft unten im Nahen Osten, entwickelt. Dafür bot sich die Familie an.
"Das Komplizierteste, was ich jemals recherchiert habe"
Scholl: Die zwei Handlungsstränge, die laufen dann natürlich zusammen. Im historischen Teil spürt man aber auf jeder Seite die gewaltige Recherche, die dafür notwendig war. Zahllose Fakten, Daten mussten Sie verarbeiten. Wie haben Sie das recherchiert?
Schätzing: Ja! Die Recherche zum "Schwarm“ war dagegen echt ein Volkshochschulkurs. Das war schon was ganz anderes, diese Gemengelage im Nahen Osten. Das ist das Komplizierteste, was ich jemals recherchiert habe. Ich habe angefangen, natürlich erst mal alles gelesen, was mir in die Finger kam, vor allem halt von Historikern, um die Hintergründe endlich mal selbst ein bisschen zu verstehen. Dann plünderst du das Internet, das ist ganz klar, und dann kommt man aber schnell an den Punkt, wo man weiß, wenn du da jetzt nicht selbst hinfliegst und mit Menschen redest, und zwar sowohl in Israel als auch in der Westbank, dann kannst du das nicht glaubhaft schildern. Diese Reise nach Israel in die Region, die Wochen, die ich da war, die haben, muss ich sagen, zum Bereicherndsten überhaupt in meinem Leben gehört, und sicherlich haben sie den Grundstein für das Buch gelegt.
Scholl: Wenn man Geschichte erzählt mit realen Personen, dann müssen die Tatsachen stimmen. Wenn man diese Geschichte Israels erzählt, Herr Schätzing, die ja ein einziger Konflikt ist, wo über Recht und Unrecht bis heute gestritten wird, dann stellt sich einem Autor zwangsläufig die Frage, wie erzähle ich das. War das ein Problem für Sie?
Schätzing: Nein, komischerweise gar nicht. Wie Sie sagen: ich bin Thriller-Autor. Ich habe es gerne, dass es kracht und dass es vorangeht. Ich habe eben schon gesagt: das ist ein bisschen born identity in Israel. Und das gilt für den Jetztzeit-Strang. Dann ist mir aufgefallen, dass ich diesen historischen Strang völlig anders schrieb. Das passierte einfach. Das war viel literarischer, das war viel mehr im Stil eines epischen Familienromans. Mir ist aufgefallen, dass sich mein Schreibstil immer automatisch der Situation angleicht. Wie man das dann erzählt, ich denke da nicht großartig drüber nach, ich lass es einfach passieren.
"Natürlich konnte ich nicht in seinen Kopf kriechen"
Scholl: "Breaking News“ – über den neuen Roman von Frank Schätzing sind wir hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch. – Herr Schätzing, wie war das mit Ariel Scharon jetzt als Romanfigur? Mit Ihrem Reporter Tom Hagen, da konnten Sie ja machen was Sie wollten als Romancier. Mit Scharon ging das nicht ohne weiteres, oder doch?
Schätzing: Mit Scharon zu machen was man will, geht natürlich nicht, denn er ist eine historische Figur. Ich habe mich extrem intensiv mit ihm beschäftigt: mit seiner Kindheit, ich habe mit Leuten gesprochen, die ihn persönlich kannten, und ich weiß wirklich eine Menge über ihn. Natürlich konnte ich nicht in seinen Kopf kriechen. Seine letztendlichen Entscheidungen – ich kann nur mutmaßen aus dem, was mir vorliegt, warum er getan hat, was er getan hat. Aber aus all dem ergab sich, ich kann schon durchaus sagen, eine authentische Biografie, in der es eben ein kleines fiktives Element gibt. Das ist aber nicht, dass ich behaupten würde, er hätte was anderes getan oder gesagt, als er dann letzten Endes getan hat, sondern es geht nur darum, dass er etwas erleidet, das möglicherweise in der Form nicht stattgefunden hat, vielleicht aber doch.
Scholl: Sie betonen ja immer – und das war bei den früheren Romanen auch so -, ich will doch gar nicht die Welt retten, ich will keine Botschaft verkünden, sondern nur eine spannende Geschichte erzählen. Ich glaube, das können Sie mit diesem Roman jetzt knicken, Herr Schätzing, weil das Buch doch tiefer reicht. Ich habe das an einer Stelle besonders gedacht, zu der man Ihnen auch richtig gratulieren muss, wenn Sie das Massaker in den Flüchtlingslagern Sabra und Schatila beschreiben.
"Der Anspruch, einen sehr guten Unterhaltungsroman zu schreiben"
Schätzing: Das ist mir selbst auch nahe gegangen, ja.
Scholl: Ich wette, dass Hunderttausende von Lesern, jüngere ganz bestimmt, zum ersten Mal überhaupt darüber lesen. Da übernimmt man als Autor doch auch Verantwortung. Sehen Sie das so?
Schätzing: Ja, absolut! Beides geht übrigens zusammen. Der Anspruch, einfach einen sehr, sehr guten Unterhaltungsroman zu schreiben, das habe ich auch diesmal so gehalten. Wissen Sie, wenn Sie sich gerade bei so einem Thema dann plötzlich bemüssigt fühlen, Botschaften los zu werden, dann wird das krampfig. Mein Ansinnen ist schon immer, tatsächlich auch etwas zu schreiben, was in gehobenem Sinne gut unterhält. Aber natürlich: gerade hier wuchsen eben auch Aspekte und Punkte und historische Komponenten rein, die mich beim Schreiben zum Teil richtig gebeutelt haben. Diese Saba- und Schatila-Szene habe ich eine Weile vor mir hergeschoben, weil ich einfach wusste, die wird mir sehr nahe gehen, und ich habe gerade bei solchen Szenen, aber eben auch grundsätzlich in der Schilderung sehr darauf geachtet, dass es so authentisch wie möglich ist, einfach weil mir klar war, das lesen viele Leute und viele Leute beziehen ihr Bild, ihr Wirklichkeitsbild aus diesen Schilderungen, also führe sie nicht auf die falsche Fährte, verarsche dich nicht und verarsche die anderen nicht.
Scholl: Hat eigentlich irgendjemand in Israel oder wo Sie recherchiert haben gesagt, Mensch, was hast denn du als Deutscher hier verloren?
Schätzing: Nein, nie! Das ist eine der interessanten Erfahrungen der Reise überhaupt. Ich bin durchweg sehr gut aufgenommen worden. Wir haben ja vorher so ein paar Kontakte hergestellt bereits, zu einem Filmregisseur, zu einem Historiker, zu anderen Leuten in Israel, denen ich dann meine Idee erzählt habe, weil ich auch so ein bisschen von denen Input haben wollte und die alle gesagt haben, na das ist ja cool, endlich schreibt mal einer einen Thriller über uns, ihr verfallt sonst immer so in bleischwere Betroffenheit, die ganze Welt. Sobald irgendwo die Sprache auf Israel kommt, entgleisen sofort die Gesichtszüge, alle gucken betroffen drein. Wir haben doch hier eine Region, die alles hergibt für James Bond. Warum macht das nicht endlich mal einer! Das gefiel denen schon mal sehr gut.
Das deutsche Thema spielte nie eine Rolle, was aber auch was damit zu tun hat, dass ich nie mit einem deutschen Ansatz an die Sache herangegangen bin. Ich habe mich nie als Deutscher empfunden, während ich das geschrieben habe - ich habe keine sonderlich deutsche Perspektive -, sondern als Bürger dieser Welt, der einfach wissen will, warum es woanders kracht. Das haben meine Partner auch gespürt, dass das mein Anliegen war und dass ich ihre Geschichte erzählen will.
Scholl: Sie haben großen Zeitungen und Magazinen schon vorab Interviews gegeben, Herr Schätzing. Ich fand es bemerkenswert, dass die Kollegen Sie flugs zum Nahost-Experten promoviert haben …
Schätzing: Das geht ganz schnell.
Scholl: … so mit Fragen zu Martin Schulz und der Zwei-Staaten-Lösung und und und. Wie fühlt man sich denn in der Rolle des literarischen Nahost-Beauftragten?
Schätzing: Wohl bis unwohl. Immer dann wohl, wenn Sie was gefragt werden, wovon Sie was verstehen. Aber in Zukunft werde ich wahrscheinlich zu jedem Schuf, der in Syrien fällt, auch gefragt werden, und dann muss ich immer sagen, Leute, davon verstehe ich nichts.
Scholl: Auf jeden Fall ist "Breaking News“ wieder großes Action-Kino à la Schätzing, born identity Nahost haben Sie selbst gesagt. Unter 100 Millionen Dollar wird der Roman wohl wieder nicht zu verfilmen sein.
Schätzing: Ja! Die Kulissen sind aber diesmal da.
Scholl: Hat Roland Emmerich schon angerufen?
Schätzing: Nein, der noch nicht. Aber es liegt irgendwas vor und das ist wohl auch ganz hochkarätig.
Scholl: Den "Schwarm“ hat sich Hollywood ja schon gesichert, wie man hört. 2015 soll der Film kommen?
Schätzing: Wer sagt das denn jetzt?
Scholl: Stand irgendwo in einer Meldung, die ich gelesen habe, wo ich dachte, oh super, ich möchte das sehen, wie der Flugzeugträger versinkt.
Schätzing: Ich auch! Das möchte ich seit sieben Jahren sehen.
Scholl: Da ist noch nichts richtig ausgemacht?
"Wir sind in die Hollywood-Depression gerutscht"
Schätzing: Das ist so ein bisschen mein täglich grüßendes Murmeltier, dieses Thema. Tatsächlich sind wir damals in die Hollywood-Depression gerutscht. Man hat ja gesehen, Hollywood hat in den letzten Jahren nur noch in Amerika vorverkaufte Stoffe verfilmt, wo man wusste, da kann nichts schiefgehen, weil die alle Pleite waren. Darum hat es nicht geklappt. Wir haben jetzt eine andere Situation. Das Geld kommt jetzt aus anderen Teilen der Welt, da sitzen die großen Finanziers. Hollywood spielt nicht mehr so eine Riesenrolle und wir unternehmen einen neuen Anlauf. Schauen wir mal!
Scholl: Jedenfalls spielen Sie als Schriftsteller seit dem "Schwarm“ in der Liga der international Thriller master like John le Carré oder Frederick Forsyth. Das haben Sie bislang als einziger Deutscher geschafft. "Breaking News“ wird diesen Status unterfüttern, kann man wohl jetzt schon sagen. Sind Sie da nicht auch ein bisschen stolz drauf?
Schätzing: Doch, absolut!
Scholl: Und was wünschen Sie sich für "Breaking News“?
Schätzing: Erst mal natürlich würde ich mich freuen, wenn es viele, viele Leute lesen. Natürlich würde es mich auch freuen, wenn es vielen Leuten gefällt. Und da haben Sie jetzt eben recht gehabt mit dem, was Sie sagten. Ungeachtet dessen, dass ich die Leute gut unterhalten will, aber mich hat das Thema sehr bewegt und ich habe erstmals verstanden, was da unten vorgeht, und ich würde mir wünschen, wenn das Buch ein bisschen zum Verständnis der Region und der Menschen in dieser Region beiträgt und dass man nicht immer so in Stereotypen denkt und der ist schuld oder der ist schuld, sondern dass man es etwas differenzierter betrachtet. Dann wäre da schon viel gewonnen.
Scholl: "Breaking News“ – so heißt der neue Roman von Frank Schätzing. Ab heute ist er im Handel, erschienen im Kiepenheuer & Witsch-Verlag, mit satten 965 Seiten zum Preis von 26,99 Euro. Schönen Dank, Herr Schätzing, dass Sie bei uns waren.
Schätzing: Sehr gerne.
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