Den Akku mit Hoffnung aufladen
Seit Jahren suchen die jüdische und die palästinensische Gemeinde in Hannover den Dialog miteinander. Der neue Krieg in Nahost kann sie nicht davon abhalten. Eingeladen war diesmal der israelische Bestsellerautor Eshkol Nevo.
Bombardierung des Gaza-Streifens, Raketen auf Israel. Und dennoch: In Hannover kommen die jüdische und die palästinensische Gemeinde zusammen.
"Das muss ein Dialog auch aushalten solche Schwierigkeiten. Wir leben hier in Deutschland, und wenn wir es in Deutschland nicht schaffen, miteinander zu reden, wo denn sonst."
Sagt Michael Fürst, Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen. Gemeinsam mit dem Vorsitzenden der Palästinensischen Gemeinde, Yazid Shammout, hat er vor fünf Jahren einen Dialogprozess begonnen.
Das ist der erste Weg einer Annäherung: zuhören, den anderen reden lassen, und den anderen auch verstehen, auch wenn man nicht alles teilt, was er sagt.
Shammout: "Wir wollen nicht meinen, wir können den Nahost-Konflikt von Hannover aus lösen, aber es ist für uns wichtig, dass wir in Deutschland gerade in so einer gespannten Zeit zeigen, es gibt Menschen, die miteinander reden können. Deshalb kommt das zu einem Zeitpunkt, wo viele nur noch die Raketensprache verstehen, dass wir hier zeigen können: Es geht auch anders."
Für den israelischen Schriftsteller Eshkol Nevo ist die Lesung in Hannover etwas ganz Besonderes:
"Ich komme aus einem Kriegsgebiet. Ich komme quasi direkt aus dem Bunker, und hier zu sein auf einer Veranstaltung, die von der palästinensischen und der jüdischen Gemeinschaft zusammen organisiert wird, ist für meinen Körper wie eine Injektion voller Hoffnung, als ob ich meinen Akku hier mit Hoffnung aufladen kann. Ich habe mit Leuten in Israel über diese Veranstaltung gesprochen, und Sie können sich nicht vorstellen, wie bedeutungsvoll das für die Menschen ist, dass Palästinenser und Juden hier einen Dialog führen. Sie inspirieren nicht nur mich damit, sondern auch viele Menschen in meinem Land."
Eshkol Nevo hat sich in seinen Büchern auch mit der Vertreibung der Palästinenser auseinandergesetzt. Er beschreibt deren Leben unter israelischer Besatzung. Der Schriftsteller blickt auf das Schicksal der anderen:
"Ich glaube, Menschen machen oft den Fehler, Mut und Tapferkeit vor allem mit Soldaten zu verbinden, aber ich glaube, der wirkliche Mut liegt darin, die andere Seite zu verstehen, und dann einen Dialog zu führen, auch wenn der sehr schwierig ist. Und ich glaube, ihr seid hier wirklich mutige Menschen."
Diesen Mut vermisst Eshkol Nevo bei den Politikern in Israel. Deshalb bezieht er sich in seinem aktuellen Buch "Neuland" auch auf Theodor Herzl und dessen Vision für einen jüdischen Staat:
"Ich habe schon seit langem das Gefühl, dass meinem Land eine Vision fehlt. Für die Generation vor mir war die Antwort klar: Zionismus ist endlich ein sicherer Ort für Juden und das Ende der Vertreibung. Für meine Generation ist das viel komplizierter: Wir fordern mehr. Wir fragen uns: warum sollen wir an diesem unruhigen, traumatisierten Ort bleiben? Es ist klar, dass meine Zukunft in Israel liegt, aber die Frage ist: Warum?"
Sicherheit alleine reiche als Antwort nicht aus, sagt der israelische Schriftsteller, und wünscht sich einen Dialog, wie er im kleinen Rahmen in Hannover stattfindet. Doch die jüdisch-palästinensische Zusammenarbeit an der Leine ist bislang bundesweit einmalig, bedauert Yazid Shammout:
"Wir würden uns wünschen, dass es Schule machen würde. Aber dazu braucht es eine Gemeinde, die den Geist mitträgt und Leitfiguren, die einen gewissen Gegenwind aushalten können."
Wobei Yazid Shammout betont, dass der Gegenwind innerhalb der palästinensischen Community in Deutschland relativ gering sei. Selbst in so politisch-emotional aufgeladenen Zeiten wie momentan.