Nahost-Konflikt

Gedichte nach Gaza

Straßenszene im Gazastreifen
Gaza in Schutt und Asche - rechtfertigen will Ashkenazi das nicht, aber er wirbt für Verständnis. © afp / Roberto Schmidt
Von Yiftach Ashkenazi |
Europa hat ein viel zu holzschnittartiges Bild vom Gaza-Konflikt, kritisiert der jüdische Schriftsteller Yiftach Ashkenazi. Doch er will Israels Politik nicht rechtfertigen, stattdessen wirbt er für Verständnis. Und Verständnis entsteht über Sprache - in Form von Literatur. Das zeigt ein Buch, das während des letzten Gaza-Kriegs zum Bestseller wurde.
Wenn ich als israelischer Schriftsteller Deutschland besuche, verspüre ich in mir einen Drang, den ich früher nicht kannte, den ich aber auch bei anderen israelischen Autoren beobachte: den machtvollen Drang, die Handlungen Israels zu verteidigen und dem europäischen Publikum zu erklären. Ich spüre diese Pflicht, die stärker ist als ich selbst. Dabei gehöre ich zur israelischen Linken, ich kritisiere die israelische Regierung vielfach und möchte sie weder verteidigen noch vertreten. Doch das Bild, das viele Medien in Europa zeichnen, ist allzu simpel. Es kann nicht verständlich machen, wie schwierig und komplex die Situation in Israel tatsächlich ist.
Wettstreit, wer "am barbarischsten" ist
Nun las ich einen Artikel von Hamid Dabashi, Professor für Iranstudien und vergleichende Literaturwissenschaften in New York. Er fragt darin, Adorno zitierend, ob es nicht barbarisch sei, nach Gaza ein Gedicht zu schreiben. Er vergleicht Israels Handlungen in Gaza mit dem Holocaust und sofort war der Reflex wieder da: Ich wollte erklären, warum er falsch liegt. Was, nebenbei bemerkt, eine Leichtigkeit gewesen wäre. Alleine, wie einseitig er das Wort "barbarisch" verwendet. Ist es nicht ebenfalls barbarisch, wenn die Hamas auf die Zivilbevölkerung zielt? Und schon fänden wir uns im Wettstreit wieder, wer "am barbarischsten" sei.
Also widersetzte ich mich diesem Rechtfertigungsdrang. Der Grund ist ganz einfach: Ich bin nicht einverstanden mit der Gaza-Politik der israelischen Regierung, mit ihrer grundsätzlichen Haltung gegenüber Palästinensern. Ich glaube auch nicht, dass dieser Krieg gerechtfertigt war. Und ich fühle nichts als Scham und Bedauern, wenn ich an die vielen toten Zivilisten denke, die meine Armee in Gaza verursacht hat. Auch wenn solche Artikel meiner Meinung nach die Wirklichkeit sehr grob verzerren, so will ich doch nicht Teil dieses Spiels aus Beschuldigungen und Rechtfertigungen sein. Ich werde nicht rechtfertigen, was nicht richtig ist.
Ich las den Artikel erneut und stellte fest: Das Problem ist nicht, dass er die israelische Gaza-Offensive ablehnt, denn diese Kritik teile ich zu weiten Teilen. Das Problem ist seine Sprache, die den Konflikt eher schürt als zum Dialog ermutigt. Genau wie die Sprache der israelischen Rechten dient sie der Entmenschlichung der jeweils anderen Seite. Dabei ist Sprache die einzige Möglichkeit, die Geschichte der anderen Seite zu erfahren: durch Literatur.
Ein Buch, das in den Tagen des Krieges zum Bestseller wurde
Die Bücher palästinensischer Autoren, die ich gelesen habe, halfen mir, sie wahrhaftig zu verstehen – aus einer menschlichen Perspektive heraus, nicht durch historische oder soziologische Analysen. Ein weiteres Beispiel ist ein Roman der israelischen Schriftstellerin Dorit Rabinyan. Sie erzählt darin die Liebesgeschichte eines Palästinensers und einer Israelin, sie vermeidet die vorhersehbaren Klischees und verarbeitet das Thema wunderbar und einfühlsam. Dieses Buch wurde selbst in den Tagen des Krieges zum Bestseller. Ich möchte daran glauben, dass sich darin zeigt, dass die Menschen noch immer Hoffnung haben.
Ob es barbarisch sei, nach Gaza ein Gedicht zu schreiben? Ich denke, wir können und wir müssen Gedichte schreiben. Den wohl besten Beleg dafür hat der palästinensische Dichter Mahmud Darwisch formuliert. Eine seiner Zeilen lautet: "Wenn du dich für deine Kriege rüstest, denk an andere; vergiss nicht jene, die Frieden fordern."
Wenn das barbarisch sein sollte, dann ziehe ich es vor, barbarisch zu sein.
Yiftach Ashkenazi, Jahrgang 1980, studierte Geschichte und Cultural Studies. Sein erster Roman "Die Geschichte vom Tod meiner Stadt" (Luchterhand Literaturverlag) erzählt von seinem Geburtsort Karmiel im Norden Israels, den er nach dem Militärdienst wieder besuchte und nun mit anderen Augen sah. Weitere Veröffentlichungen: "Birkenau my love", "Persona non grata" sowie Kurzgeschichten und Gedichte. Zuletzt erschien sein Roman "Fulfillment" (2014), in dem er die Geschichte der israelischen Linken erzählt.
Der israelische Schriftsteller Yiftach Ashkenazi
Der israelische Schriftsteller Yiftach Ashkenazi© Luchterhand Literaturverlag
Mehr zum Thema