Nahost-Konflikt

"Israel unter Druck setzen"

Raketen werden in den Morgenhimmel geschossen.
Spirale der Gewalt: Die Hamas beschießt israelische Städte mit Raketen, Israel schlägt zurück © dpa / Mohammed Saber
Moshe Zimmermann im Gespräch mit Nana Brink |
Der israelische Historiker Moshe Zimmermann sieht das Verhältnis von Israelis und Palästinensern in einer Sackgasse. Für beide Seiten gebe es nur ein Mittel: Gewalt. Er fordert mehr Engagement von der internationalen Gemeinschaft.
Nana Brink: Steht eine israelische Bodenoffensive kurz bevor? Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hat sie zumindest nicht angekündigt, obwohl sein Außenminister Lieberman sie ja dringend fordert. Zumindest in der Nacht zu Sonntag sind israelische Elitetruppen an der Küste des Gaza-Streifens gelandet. Dort sollen sie versucht haben, die Abschussrampen zu zerstören, mit denen Raketen auf israelisches Gebiet abgefeuert werden.
Ist das also der Beginn einer Bodenoffensive oder nur ein weiterer Dreh in der scheinbar nicht aufzuhaltenden Gewaltspirale, der wir ja seit einer Woche zusehen? Hilflos zusehen, muss man vielleicht sagen. Auch die Außenminister Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens und der USA, die sich ja gerade in Wien treffen, um über das iranische Atomprogramm zu reden. Auch der UN-Sicherheitsrat hat für heute eine Sondersitzung anberaumt und wird wohl nicht mehr als Worte finden. Um deutliche Worte nie verlegen ist Moshe Zimmermann, Historiker von der Hebräischen Universität in Jerusalem. Schönen guten Morgen, Herr Zimmermann!
Moshe Zimmermann: Hallo, guten Morgen!
Brink: Wie geht es Ihnen gerade? Wie ist die Stimmung in Israel?
Erst das WM-Endspiel, dann die Raketen
Zimmermann: Also, alle haben hier Fußball geguckt, das ist eine klare Sache. Sogar die Hamas hat eine kurze Pause gemacht, um wahrscheinlich Fußball zu gucken. Die ersten Raketen flogen erst nach der regulären Spielzeit, hörten dann für etwa 30 Minuten auf. Also das ist eben absurd. Man schaut auf die Weltmeisterschaft, und dabei lebt man unter Beschuss von Raketen in Israel und im Gaza-Streifen.
Brink: Ist das eine Ablenkung, die Sie gebracht haben?
Zimmermann: Also, für normale Menschen ist das sicher eine Ablenkung. Das ist das, was man vier Jahre lang erwartet und sich erhofft, und die meisten Leute haben das auch so gesehen. Aber für andere ist es eben nur die Ablenkung von diesem Alltag, wo man nur Sirenen heulen hört und Explosionen über dem Kopf.
Keiner bemüht sich, die Friedensgespräche voranzubringen
Brink: Nun ist die Frage aller Fragen, die ja über dieser Sache steht: Gibt es ein Ende dieser Gewaltspirale?
Zimmermann: Es gibt immer ein Ende, und dann einen neuen Anfang. Also, vor dem Spiel ist nach dem Spiel, oder nach dem Spiel ist vor dem Spiel auch in dieser Hinsicht. Das große Problem hier ist, dass sowohl Israel als auch die Hamas sich nicht darum bemühen, Friedensgespräche voranzubringen.
Und wenn es keine Friedensgespräche gibt, gibt es eine Sackgasse, und in der Sackgasse gibt es nur Platz für Gewalt. So denken die Hamas-Leute und auf der anderen Seite auch die israelische Regierung. Und da ist es die Aufgabe von gescheiten Menschen, von Politikern, hier irgendwo einen Hebel zu setzen, um einen neuen Anfang zu ermöglichen, Anfang von Gesprächen, Verhandlungen. Programme, Pläne, statt Raketen zu schießen.
Moshe Zimmermann im Gespräch.
Moshe Zimmermann kritisiert die israelische Regierung.© dpa / Martin Schutt
Brink: Es erscheint ja alles so aussichtslos. Wo sind denn diese Menschen, von denen Sie gesprochen haben?
Zimmermann: Herr Steinmeier ist unterwegs nach Israel heute. Es gibt selbstverständlich auch in der Welt die Politiker, die Bescheid wissen, dass diese Spirale eigentlich irgendwo unterbrochen oder gebrochen werden muss, aber die Bemühungen sind nicht intensiv genug. Man reagiert nur, wenn es zu dieser Anwendung von Gewalt kommt, nicht in den Zeiten, wo die Gewalt mindestens relativ ruht. Man muss sich ständig darum bemühen und nicht aufgeben, auch wenn es zum Scheitern einer Phase der Friedensgespräche kommt wie im letzten April.
"Es gibt ein Blutvergießen": Die internationale Gemeinschaft muss sich stärker engagieren
Brink: Aber man zweifelt wirklich daran, dass das überhaupt noch möglich ist. Nehmen wir mal die USA. US-Außenminister Kerry hat ja seine Träume im April mit dem Scheitern der amerikanischen Vermittlung beerdigt. Er wird auch jetzt nicht mehr im Nahen Osten erwartet. Kann es wirklich jemand wie Frank-Walter Steinmeier richten oder etwas in Gang setzen?
Zimmermann: Also wir – das ist ja kein Kinderspiel, wo jemand beleidigt ist und sich zurücklehnt und sagt, okay, ich mache nicht mit. Es ist die Aufgabe von den Großstaaten, Großmächten, auch der UNO, sich etwas intensiver darum zu bemühen. Im Moment ist es ja so, die Palästinenser in Gaza verlieren Menschen. Es gibt ein Blutvergießen.
Auf der israelischen Seite gibt es selbstverständlich die Angst vor den Raketen, obwohl wir, sagen wir mal, technologisch besser geschützt sind gegen diese Raketen. In dieser Situation muss man doch etwas versuchen, um nicht nur diese kleine Spirale, zu dieser kleinen Spirale ein Ende zu bringen, sondern für den gesamten Konflikt eine Lösung zu finden.
Brink: Trotzdem noch mal die Frage: Wo ist der Hebel?
Zimmermann: Der Hebel ist vor allem bei der israelischen Regierung. Die israelische Regierung zieht es vor, Siedlungen zu bauen, den Traum von Großisrael zu verwirklichen, statt den Palästinensern die Möglichkeit zu geben, den Staat Palästina zu gründen. Wenn Israel offener ist gegenüber Abbas, hat Abbas auch mehr Chancen, im internen Kampf gegen die Hamas. Und drum herum müssen sich eben die internationalen Kräfte, die Großmächte, etwas mehr bemühen.
Ich kann nicht verstehen: Man hat die Ukraine, man hat den Irak, man hat andere Probleme in der Welt – aber es kann explosiv sein, man kann nie wissen, wann ein Konflikt in der Nähe von Europa sich nicht irgendwie ausbreitet auch in Richtung Europa oder auf eine Art, die also den Frieden der Welt gefährdet. Darum geht es.
Mehr Druck auf Israel ausüben
Brink: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, muss also die internationale Gemeinschaft vor allem auch Druck auf die israelische Regierung ausüben. Was ist mit der Hamas? Setzen Sie da Hoffnungen zum Beispiel in die Arabische Liga?
Zimmermann: Die Möglichkeit ist über Abbas, das heißt, über die Autonomiebehörde etwas mehr zu erreichen. Das heißt, die internationale Gemeinschaft soll sich darum bemühen, Netanjahu oder die israelische Regierung unter Druck zu setzen und Abbas und die sogenannten legitimen Palästinenser zu stärken. Auf diese Art und Weise verliert auch Hamas an Bedeutung im internen Kampf.
Klar, man soll sich hier keine Illusionen machen. Wir befinden uns in einer Region, die aufgewühlt ist. Irak, Syrien und weiter – das ist alles sehr unruhig, aber man muss hier gezielt etwas mehr unternehmen als die internationale Gemeinschaft es bisher getan hat.
Brink: Und das versucht Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier. Heute reist er zu Vermittlungen nach Israel. Schönen Dank, Moshe Zimmermann von der Universität in Jerusalem. Schönen Dank für das Gespräch!
Zimmermann: Ich bedanke mich!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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