Nahost-Konflikt

Israels Politik verspielt die Zukunft

Israelische Fundamentalisten demonstrieren auf dem Tempelberg in Jerusalem
Israelische Fundamentalisten demonstrieren auf dem Tempelberg in Jerusalem © afp / Gali Tibbon
Von Tamar Amar-Dahl · 18.11.2014
Israel will seinen Siedlungsbau rund um Jerusalem fortsetzen - das sorgt für Ärger, Unverständnis und Diskussionen weltweit. Im Politischen Feuilleton analysiert Historikerin Tamar Amar-Dahl die derzeitige Lage in Israel.
In Jerusalem macht sich Ratlosigkeit breit. Eine dritte "Intifada" wird das Land kaum verkraften können. Doch gerade Israels Ignoranz, nicht wirklich auf palästinensische Anliegen eingehen zu wollen, trägt zur Eskalation bei. Das Dilemma dieser Tage ist, die Proteste arabischer Jugendlicher zu stoppen versuchen, ohne sie dadurch erst recht zu befeuern.
Israels Zukunft steht auf dem Spiel
Am Ende des Jahres 2014 steht Israels Zukunft wahrlich auf dem Spiel. Je mehr die Sicherheit bröckelt, umso weniger fähig oder willig zeigt sich die politische Elite, den Konflikt mit den palästinensischen Nachbarn zu lösen.
Sie verweigert die Antwort auf eine Kernfrage. Denn es findet sich niemand in Jerusalem, der sich das Nebeneinander eines israelischen und eines palästinensischen Staates oder alternativ einen gemeinsamen bi-nationalen Staat vorstellen kann, geschweige denn sich für eine Variante einsetzen mag.
Im Gegenteil: nicht Friedensvermittler, sondern radikale, religiös motivierte nationale Kräfte haben in Knesset und Regierung an Einfluss gewonnen. Neuerdings nehmen sie den Tempelberg, die heilige Stätte der Muslime, ins Visier. Auf dem Areal selbst - und nicht nur außerhalb an dessen Sockel, an der Klagemauer - sollen Juden beten dürfen.
Rechthaben und Provokation
Längst haben sie das Projekt vorbereitet, nach den zerstörten beiden Tempeln nunmehr in unseren Tagen den dritten jüdischen zu errichten. Sie setzten auf Rechthaben und Provokation der Muslime, sind weit entfernt von jenem alten Wunsch, alle Religionen mögen sich Jerusalem und die historischen Kultstätten fair teilen.
Derweil hat die israelische Gesellschaft andere Probleme. Sie kämpft ums nackte Überleben. 40 Prozent der Bürger gelten als arm. Und auch der Mittelstand wehrt sich gegen unerträglich hohe Lebenshaltungskosten. Wer es sich leisten kann, denkt daran auszuwandern, oder tut es auch. Berlin oder andere europäische Städte sind beliebtere Wohnorte als Jerusalem, Tel Aviv oder Haifa geworden.
Spannung über Israel und der Region
Die soziale, die gesellschaftliche Debatte wird seit dem Sommer intensiver. Nichts ist geklärt. Auch nach den Militäraktionen im Gazastreifen liegt unverändert Spannung über Israel und der Region. Derweil wird der Aufwand für die Sicherheit zu einer unerträglichen Last.
Es sind nicht mehr die bekannten Friedensaktivisten, es sind die Militärs und die Leute vom Inlandsgeheimdienst, welche die Politiker ausdrücklich davor warnen, an einem symbolträchtigen Ort wie dem Jerusalemer Tempelberg zu provozieren. Besser als andere weiß die Armee, dass die Besatzungsmacht im Westjordanland längst an ihre Grenze gekommen ist.
Kompromisse finden
Der Streit um den Jerusalemer Tempelberg ist einer unter vielen während des 100-jährigen Konfliktes um Palästina. Doch er ist äußerst heikel und gefährlich, gerade weil er an die jüdische Substanz geht. Egal ob sie nun radikal, gemäßigt oder linksliberal sind, die Zionisten werden sich jetzt fragen müssen, welchen Weg ihr Projekt Israel nehmen soll und ob sie dafür bereit sind, einen Konsens untereinander und Kompromisse mit den arabischen Nachbarn zu finden.
Der eine, der anspruchsvolle Weg würde bedeuten, das Heilige Land zwischen zwei Völkern zu teilen, der andere, der erst einmal einfacher wäre es, hieße, weiter eigene Grenzpflöcke einzuschlagen und die nächste palästinensische Intifada in Kauf zu nehmen. Das wäre wie "alles oder nichts". Doch damit würden ausgerechnet Zionisten Israels Zukunft endgültig aufs Spiel setzen.
Tamar Amar-Dahl ist israelisch-deutsche Historikerin und assoziierte Wissenschaftlerin an der Freien Universität Berlin - und Autorin der vielbeachteten Bücher: "Shimon Peres. Friedenspolitiker und Nationalist" und "Das zionistische Israel. Jüdischer Nationalismus und die Geschichte des Nahostkonflikts" (Ferdinand Schöningh Verlag).
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Die Autorin Tamar Amar-Dahl© Björn Duddeck
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