Juden, Muslime und ihr Alltag in London
Auch in der britischen Hauptstadt finden Pro-Palästina-Demonstrationen statt. Für viele beeinträchtige der Konflikt nicht das Alltagsleben zwischen Muslimen und Juden in Großbritannien. Allerdings steigen laut der jüdischen Community Security Trust die Zahlen von antisemitischen Beleidigungen.
Kensington High Street ist eine der feinen Einkaufsadressen der britischen Hauptstadt. Doch an diesem sonnigen Nachmittag gehört die Straße nicht Flaneuren, sondern tausenden von Frauen und Männern, die mit Plakaten und Sprechchören zur nahegelegenen israelischen Botschaft ziehen;
"Befreit Palästina" steht auch auf ihren Plakaten. Viele, aber nicht alle, haben erkennbar arabische Wurzeln. Organisiert wird die Kundgebung unter anderem von der Palestine Solidarity Campaign. Amina Salim, Sprecherin der Londoner Organisation, ist ganz bei der Sache:
"Es geht hier nicht um irgendein Thema: 'Muslime gegen Juden'. Es geht hier nicht um Religion. Das hier ist ein politisches Thema. Es geht um die zionistische Ideologie. Und um die Frage, dass fortdauernd palästinensisches Land besetzt ist und Palästinenser unterdrückt werden."
Sie habe im Übrigen nicht das Gefühl, dass der Konflikt das Alltagsleben zwischen Muslimen und Juden in Großbritannien beeinträchtige, sagt Salim.
Demonstration in London mit über 10.000 Menschen
An der Demonstration beteiligen sich am Ende über 10.000 Menschen, darunter ist auch eine christliche Initiative. Zu ihr gehört Caroline Evans. Mit Sonnenhut und grauem Pagenschnitt entspricht sie optisch dem Klischee der britischen Lady. Weil sie selbst schon einmal im Nahen Osten war, ist sie heute extra aus Gilford in der englischen Grafschaft Surrey angereist.
Sieht sie durch den Gaza-Konflikt auch die Spannungen zwischen den jüdischen und muslimischen Gemeinden in Großbritannien wachsen?
"Ab und zu gibt es so etwas. Manchmal sprechen hier jüdische Gruppen, davon, dies seien antisemitische Proteste. Das ist der große Kampf, den wir führen: zu sagen, es ist nicht antisemitisch, zu protestieren."
Und sie rechtfertige auf keinen Fall, Raketen auf Israel zu schießen, sagt Caroline Evans noch, bevor sie weiterzieht.
Die meisten einkaufenden Passanten hasten weiter, einige bleiben stehen und lassen sich Flugblätter zustecken. Wie der blonde Daniel, Mitte 20, lässig gekleidet. Er ist zufällig in den Protestzug geraten. Für ihn ist ganz klar, dass der Konflikt in Gaza auch die Stimmung zwischen den Religionsgruppen in London beeinträchtigt:
"Auf jeden Fall. Ich denke, es ist traurig, aber es ist so: Auch zwischen den meisten meiner Freunde steht irgendwie dieser Konflikt; Vielleicht empfinden sie keine Wut, aber Angst. Einige meiner Freunde denken sofort, wenn sie einen Muslim sehen, er sei ein Fanatiker, was natürlich verrückt ist."
Diffuse Vorurteile gegenüber muslimischen Gruppierungen
Dass in Großbritannien diffuse Vorurteile gegenüber muslimischen Gruppierungen generell stärker verbreitet sind als Antisemitismus, räumt auch Dave Rich ein. Er hat sein Büro einige Kilometer weiter nördlich, im Stadtteil Hendon und vertritt den jüdischen Community Security Trust. Der CST wird von den jüdischen Gemeinden in Großbritannien finanziert, organisiert dort Sicherheitsmaßnahmen und sammelt Informationen über Vorfälle mit antisemitischem Hintergrund.
"Seit Beginn dieser Krise Anfang Juli sehen wie eine Verdoppelung der Hass-Attacken, die uns von jüdischen Gemeindemitglieder gemeldet wurden. Das reicht von Beleidigungen, die aus Autos gerufen werden, bis zu einzelnen antisemitischen Äußerungen auf Anti-Israel-Demonstrationen. Wir hatten Fälle, in denen Gegenstände aus Autos auf jüdisch aussehende Menschen geworfen wurden."
Steigende Zahlen von antisemitischen Beleidigungen
100 solcher Vorfälle seien es bislang. In normalen Zeiten, sagt Rich, würden ihm 30 bis 35 Fälle mit antisemitischem Hintergrund pro Monat gemeldet. Er erkennt aber an, dass die Organisatoren der großen Pro-Palästina-Demonstrationen sich nicht antisemitisch äußern würden.
Immer, wenn die Spannungen zwischen Israel und Gaza hochkochten, so Rich würde die Zahl antisemitischer Beleidigungen hochschnellen.
"Wir beobachten in den letzten zehn, 15 Jahren viele solcher Spitzen. Aber danach geht die Zahl solcher Attacken nicht wieder auf das alte Niveau zurück. Auch in normalen Zeiten nehmen diese Vorfälle langsam zu, Jahr für Jahr."