Nahost

"Mit Terroristen kann man keinen Dialog führen"

Panorama-Ansicht von Al Shejaeiya: Ein Haus auf einem Hügel brennt, von dort aus steigt eine dichte Wolke mit schwarzem Rauch über die Stadt auf.
Nach einer israelischen Militäroperation steigt Rauch über der Stadt Al Shejaeiya im Gazastreifen auf. © picture alliance / dpa / Mohammed Saber
Arye Sharuz Shalicar im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
Israels Armee verteidigt die Bodenoffensive in Gaza. Ihr Sprecher Arye Sharuz Shalicar erklärte im Deutschlandradio Kultur, die Armee habe mehrmals die Gegenseite um Deeskalation gebeten, doch: "Jedes Mal sind mehr Raketen geschmissen worden".
Liane von Billerbeck: Es sind poetische Namen wie "Kiefernduft" und "Sommerregen" und "Herbstwolken", und doch verbergen sich dahinter die Angriffe, die das israelisches Militär seit 2005 auf Gaza verübt hat. Seit neun Jahren quasi permanenter Krieg. Bodenoffensive würde das wahrscheinlich der Sprecher der israelischen Armee nennen, und das ist Arye Shalicar. Er ist Sohn iranischer Juden und in Deutschland geboren und im Berliner Bezirk Wedding aufgewachsen, hat dort Hiphop gespielt, ist nach Israel zum Studieren gegangen. Er hat ein Buch geschrieben, und nun ist er Sprecher der israelischen Armee. Jetzt ist Arye Shalicar in Israel am Handy. Schönen guten Morgen!
Arye Shalicar: Guten Morgen!
von Billerbeck: Eine Bodenoffensive gegen Gaza, und nicht die erste – ist das nicht eine Mission, die man nur verlieren kann?
Shalicar: Das ist eine gute Frage. Erst mal, es ist eine Bodenoffensive, die wir nicht gegen Gaza als Ort, sondern gegen eine Terrororganisation führen, die sich Hamas nennt. Und nicht nur Hamas, wir haben da auch andere Terrororganisationen, die der Hamas Unterstützung geben, wie zum Beispiel die palästinensische, islamische Dschihad-Organisation. Das sind Salafisten mit schwarzen Flaggen, und das sind genau diejenigen, die, wie Sie schon im Vorwort gesagt haben, uns eigentlich schon seit zehn Jahren terrorisieren mit Raketen aus der Luft und mittlerweile auch versuchen, über Tunnel nach Israel einzudringen, Dutzende solcher Tunnel, um hier halt ein Massaker in einem Kibbuz und an einem kleinen Ort, der an der Grenze zum Gazastreifen liegt, auszuführen.
von Billerbeck: Aber, Herr Shalicar, inzwischen sagen die Meldungen, dass 640 Menschen, vor allem Palästinenser, aber auch israelische Soldaten, bei diesen Angriffen getötet wurden. Es gibt über 4.000 Verletzte. Ist es das wirklich wert, die Zerstörung von Tunneln für Hunderte Menschenleben?
"Der Terror versteckt sich in der zivilen Bevölkerung"
Shalicar: Das ist eine Frage, die wir uns hier jeden Tag stellen, und eigentlich schon seit Jahren. Man hat als Rechtsstaat, Israel wie Deutschland oder Frankreich eigentlich nur zwei Wege. Entweder, man setzt sich hin und sagt, gut, der Terror hat gewonnen, und man lässt die Raketen auf sich einstürzen, und man sitzt still, weil man Angst hat, die Konfrontation einzugehen. Oder man sagt, gut, wir müssen gegen den Terror vorgehen. Und wir wissen, wie der Terror arbeitet, weil der Terror, der versteckt sich in der zivilen Bevölkerung, der Terror wird teilweise ausgeführt aus Wohnungen, wo Menschen wohnen, richtige Familien.
Und nicht nur, dass der von diesen Wohnungen aus ausgeführt wird, sondern dass die Hamas-Führung, und das kann man im Internet verfolgen, die eigene Bevölkerung auffordert, teilweise die eigene Bevölkerung sogar bedroht, dass die Bevölkerung als Schutzschilder dastehen, auf Dächern und in Straßen und in ein Feuergefecht, was zwischen Hamas und der israelischen Armee besteht, erwartet man von der Hamas, dass die Menschen dazwischen gehen. Und das Problem ist, das zivile Opfer ist eine Tragödie dieser Konfrontation, die wir selbst bedauern auf israelischer Seite. Niemand feiert das hier. Das Problem ist, dass Hamas darauf aus ist, dass so viele wie möglich Zivilisten in jeder Aktion sterben. Und das ist eines ihrer Ziele, um der Welt in dem Sinne ein Bild zu verkaufen von diesem Konflikt, was Israel eigentlich schuldig macht aufgrund der hohen Todeszahlen. Was sehr bedauerlich ist, aber die Schuld ist bei der Hamas.
Ärzte bergen Körper im östlichen Stadtteil von Gaza-Stadt
Ärzte bergen Körper im östlichen Stadtteil von Gaza-Stadt© AFP/Mahmud Hams
von Billerbeck: Der israelische Schriftsteller David Grossmann, der hat in einem Artikel in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" darüber geschrieben, dass er es so bedauert, dass sein und Ihr Land nur einmal mit Frieden versucht hat, aber schon zig mal mit Krieg. Wollen die Israelis den Frieden eigentlich noch?
Shalicar: Ich kenne David Grossmann persönlich, und wir sind oft im Gespräch, und die Israelis, und das weiß auch David Grossmann, wollen Frieden, und das schon seit der Gründung des Staates. Und man hat absolut auch kein Problem, irgendwie Frieden einzugehen, sei es mit Ägypten oder Jordanien oder mit jedem anderen Staat um uns herum, der mit uns Frieden schließen will. Aber mit Terroristen, sei es Hamas oder die ISIS oder Al-Qaida oder Hisbollah – mit denen kann man eigentlich gar keinen Dialog führen, weil das sind Menschen, die eine Art andere Sprache sprechen. Das sind Menschen, die eine andere Weltauffassung haben. Das sind Menschen, die nicht das Leben, sondern den Tod preisen.
"Mit moderaten Muslimen haben wir schon Frieden geschlossen"
Und wenn wir die weiße Flagge hissen, um ein Gespräch einzugehen, das haben wir in den letzten zwei Wochen dreimal gemacht, zu drei verschiedenen Zeiten haben wir gebeten, die Situation zu deeskalieren. Jedes Mal sind mehr Raketen geschmissen worden, jedes Mal wurde die schwarze Flagge gehisst der Islamisten. Und damit hat man ein Problem. Mit moderaten Muslimen im Nahen Osten haben wir schon Frieden geschlossen, wie gesagt, mit Ägypten und Jordanien. Aber ich als Vertreter der israelischen Armee stehe hinter nicht nur der Armee, sondern der Regierung Israels. Und wenn man gegen den Terror vorgehen muss, um seine Bevölkerung zu beschützen, dann muss man das tun. Man muss sich in Deutschland vorstellen, es würde ein Raketenhagel, das sind tödliche Raketen, auf Berlin, München, Köln oder Frankfurt geben. Was würde man von der deutschen Polizei beziehungsweise Armee beziehungsweise Politik erwarten?
von Billerbeck: Herr Shalicar, Sie sind, ich habe es gesagt, im Wedding in Berlin aufgewachsen und haben in Ihrer Kindheit auch viel Hass und Ablehnung erlebt. Was hat das mit Ihnen gemacht?
Shalicar: Ich bin als Jude in Berlin groß geworden, und sehr moderat, überhaupt keine jüdische Identität, hat mich alles nicht interessiert. Ich war ein kleiner Berliner Junge mit persischen Eltern, kann man sagen, habe zu Hause persisch gesprochen. Zu einem bestimmten Zeitpunkt in Berlin-Wedding hat man mich gefragt, welcher Religion ich angehöre oder welchem ethnischen Volk. Und dann wurde ich sehr oft angefeindet. Ich habe darüber ein Buch geschrieben, "Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude", das ist in Deutschland vor dreieinhalb Jahren, fast vier Jahren auf den Markt gekommen. Diese Anfeindungen haben mir eigentlich geholfen, meine Identität zu finden, aber …
Vier Menschen, darunter zwei Kinder, gehen mit gepackten Straßen auf einer Straße.
Tausende Menschen im Norden Gazas haben ihre Häuser verlassen.© THOMAS COEX / AFP
von Billerbeck: Haben sie Sie auch geprägt?
Shalicar: Diese Zeit in Berlin-Wedding hat mich sehr geprägt, und zwar Folgendes: Ich habe, und das beschreibe ich in meinem Buch, sowohl positive als auch negative Erlebnisse mit meinem Umfeld gemacht. Das heißt, nicht jeder Moslem, nicht jeder Araber, nicht jeder Türke war gegen mich, sondern im Gegenteil, ich hatte auch sehr viele Freunde, die mich unterstützt haben. Und das ist die Geschichte des Nahen Ostens. Es gibt hier im Nahen Osten um den jüdischen Staat herum, um Israel, sehr viele Muslime, sehr viele Araber, die auch mit uns reden wollen, mit uns arbeiten wollen, mit den Juden befreundet sein wollen, mit dem Staat Israel Business machen wollen und Frieden wollen – gibt es.
Aber genau wie im Wedding gibt es leider auch sehr viele, die eher in die dschihadistische, salafistische, islamistische Richtung gehen, wie Sie das auch in Deutschland kennen mit Menschen wie Pierre Vogel oder Deso Dogg – das sind Menschen, vor denen man eigentlich Angst haben muss, und nicht nur als Jude oder Israel, sondern als westliche, offene, demokratische Kultur.
von Billerbeck: Aber nimmt man sein Gegenüber nur als Jude oder als Araber wahr, und nicht mehr als Mensch?
Shalicar: Definitiv. Und da will ich sagen, dass ich sehr stolz bin, dass ich die israelische Armee vertrete. Weil es gibt keine andere Armee, die eigentlich nicht nur den Feind attackiert, sondern alles nur Menschliche tut, um die Zivilisten zu verschonen. Das hört sich jetzt komisch an aufgrund der hohen Zahlen, von denen man hört. 500, 600 Menschen. Man darf nicht vergessen, dass in diesen 600 Menschen, die gestorben sind, mindestens 200 Terroristen auch sind, die wir im Kampf getötet haben.
"Wir rufen bei Familien an, um zu warnen"
Aber es gibt auch sehr viele Zivilisten, auch Kinder, derer sind wir uns bewusst, aber wir rufen bei Familien an, um zu warnen, wenn wir in einer Gegend angreifen müssen, von wo Raketen auf uns geschossen werden. Wir haben sogar eine Technik entwickelt, die heißt "Knocking on the roof", das heißt, man lässt eine kleine Bombe auf einem Dach nieder, was nichts verursacht, absolut keine Verletzung, aber das ist eine Art, als wenn man an eine Tür klopft, um die Familien oder die Menschen, die dort in der Umgebung zu warnen, dass man hier angreifen muss, weil von hier aus werden Raketen geschmissen oder hier gibt es ein Riesen-Waffenarsenal. Oder von hier aus geht ein Tunnel.
Und das sind alles Sachen, die die israelische Armee macht, zumindest um Zivilisten zu warnen, um Zivilisten zu verschonen. Aber Hamas macht genau das Entgegengesetzte – man ruft die Menschen auf, als Schutzschilde eigentlich da zu bleiben, und man traut sich eigentlich nicht, wie feige Menschen, sich der israelischen Armee zu stellen und einen Kampf „Armee gegen Terrororganisation“ zu führen.
von Billerbeck: Die Position von Arye Shalicar. Er ist hörbar der Sprecher der israelischen Armee. Danke Ihnen!
Shalicar: Ich bedanke mich für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema