Nahostexperte über Syrien-Krieg

"Die Europäer haben nichts unternommen"

Zivilisten fliehen nach einem Luftangriff auf die Stadt Saqba in der syrischen Rebellen-Enklave Ost-Ghuta.
Zivilisten fliehen nach einem Luftangriff auf die Stadt Saqba in der syrischen Rebellen-Enklave Ost-Ghuta. © afp / ABDULMONAM EASSA
Daniel Gerlach im Gespräch mit Anke Schaefer |
Der Nahostexperte Daniel Gerlach wirft Europa mangelnden Handlungswillen im Syrienkrieg vor. Sich jetzt angesichts der Offensive des Regimes in Ost-Ghuta schockiert zu zeigen, sei "einigermaßen wohlfeil".
Überraschend findet Daniel Gerlach, Chefredakteur der Zeitschrift "Zenith", die Bombardements der syrischen Region Ost-Ghuta keineswegs. Vielmehr seien sie das Ende einer jahrelangen Auseinandersetzung und systematischen Belagerung. Die über mehrere Jahre in Genf geführten Verhandlungen seien eine geschickte Methode des Assad-Regimes gewesen, Zeit zu gewinnen und diesen Kampf zu Ende zu führen. Alle, die mit am Verhandlungstisch saßen, hätten "dieses Theater mitgespielt":
"Ich finde es auch einigermaßen wohlfeil, wenn sich Regierungschefs aus Europa jetzt hinstellen und (...) das Regime eines Massakers bezichtigen und sich schockiert zeigen. Letztendlich wussten wir, dass es passieren würde, haben aber nichts unternommen."
Daniel Gerlach, Chefredakteur der Zeitschrift "Zenith"
Daniel Gerlach, Chefredakteur der Zeitschrift "Zenith"© Zenith

Der Antiterrorkampf gegen den IS dient als Vergleich

Den Initiatoren einer Feuerpause wünsche er natürlich "sehr viel Erfolg", so Gerlach. Allerdings würden weder das Regime noch seine Unterstützer wie Russland ihre Offensive stoppen - jetzt, da sie das Gebiet "sturmreif geschossen" hätten. Der Westen habe im Grunde auch "keine stichhaltigen Argumente", das glaubwürdig zu kritisieren. Gerlach verwies auf den Kampf gegen den so genannten Islamischen Staat in Mossul: "Der Antiterrorkampf, den auch der Westen im Irak geführt hat, dient dem syrischen Regime und Russland als wunderbarer Vergleich, um sich als letztendlich moralisch gleichwertig zu präsentieren."
Er kritisiere bei den Europäern eine "mangelnde Priorisierung des Syrien-Konflikts", so Gerlach: "Die Europäer haben sich als Beobachter verstanden und eben keine wirkliche Initiative unternommen, um einen politischen Vorstoß zu erzielen." Man müsse auch erkennen, dass die Amerikaner "weder willens noch in der Lage sind, sich damit zu beschäftigen". Es sei eine "Illusion" gewesen, ein amerikanisch-russisches Abkommen werde das Ganze schon richten: "Ich glaube nicht mal, dass die europäischen Regierurngschefs sich dem hingegeben haben. Stattdessen wird in Deutschland darüber diskutiert, wann man denn jetzt die syrischen Flüchtlinge wieder zurückschicken kann." (bth)
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