Nahostexperte warnt vor Gefahren eines Zerfalls Syriens

Charles King Mallory IV im Gespräch mit Christopher Ricke |
Der Leiter des Berliner Aspen-Instituts rät angesichts der eskalierenden Kämpfe in Syrien, ein Eingreifen außerhalb des UN-Sicherheitsrats zu beraten. Charles King Mallory IV verweist dabei aber auch auf die ganz unterschiedlichen Unwägbarkeiten eines solchen Vorgehens.
Ricke: Es gibt die israelische Drohung. Sie passt zur Haltung der USA, notfalls auch außerhalb des UN-Sicherheitsrates zu handeln. Ich spreche jetzt mit Charles King Mallory, dem Leiter des Aspen-Instituts in Berlin. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Nahostproblematik. Guten Morgen, Herr Mallory!

Charles King Mallory IV: Guten Morgen, Herr Ricke!

Ricke: Handeln ohne Auftrag des UN-Sicherheitsrates - ist das gefährlich? Ist das mutig oder ist das vielleicht sogar nötig?

Mallory: Ja, wir haben im Fall vom Kosovo gesehen, dass es manchmal nötig ist, wenn es keine Übereinstimmung im Sicherheitsrat gibt und es eine humanitäre Krise gibt. Wir haben aber auch im Fall Irak gesehen, was für negative Konsequenzen das für die Legitimität der Intervention mit sich ziehen kann. In diesem Fall, glaube ich, haben wir China und Russland, die sich ganz konkret querstellen. Und es sieht so aus, als ob Aktion nur außerhalb des Sicherheitsrates die einzige Möglichkeit wird, etwas über die humanitäre Lage in Syrien zu unternehmen und möglicherweise Abwehrmaßnahmen zu unternehmen, wenn es doch noch zu Problemen mit den chemischen Waffen kommen sollte.

Ricke: Aber was heißt denn Handeln außerhalb des Sicherheitsrates? Ist das ein koordinierter Militärschlag des Westens, ist das die Bewaffnung der Aufständischen, ist das die Zerstörung der Infrastruktur?

Mallory: Na ja, ich glaube, man muss im Fall Syrien viel vorsichtiger sein als im Fall Libyens. Hier handelt es sich um mehrere Faktoren. Wir sind sehr, sehr nah an der Nordfront von Israel. Und es könnte sehr, sehr leicht zu einer Desintegration des Landes führen. Und man muss ganz genau die Konsequenzen einer solchen Desintegration durchdenken, bevor man mit militärischen Mitteln da eingreift.

Ricke: Desintegration, also ein Zerfall des Landes, der Fall ins Chaos. Und das genau ist ja auch die Sorge der Israelis, dass die modernen Waffen des Assad-Regimes, ballistische wie chemische, in die Hände von Islamisten fallen könnten, zum Beispiel in die Hände der Hisbollah oder von Al Qaida. Wie begründet ist aus Ihrer Sicht diese Furcht?

Mallory: Das ist, glaube ich, bestimmt eine Gefahr, und die Gefährlichkeit dieser Waffen wird unterschätzt, weil da eigentlich Waffen der sogenannten fünften Generation, die dem breiteren Publikum eigentlich bisher überhaupt nicht bekannt sind, dazu gehören. Aber ich halte es für viel wahrscheinlicher, dass die Alawiten sich zurückziehen in ihre Hochburgen im Nordwesten und so einen kleinen Alawitenstaat da bilden. Und die Chemiewaffen dazu benützen, um sozusagen ihre Überlebenschancen zu garantieren.

Ricke: Wir haben noch den Iran in dieser ganzen Gemengelage, in dieser Krisensituation. Welchen Blick haben Sie auf Teheran?

Mallory: Na ja. Diese ganze Syrien-Geschichte - im breiteren Sinne … ein Nebenschlachtfeld von einem unerklärten Krieg, der schon seit Monaten gegen den Iran läuft, hinter den Kulissen und im Dunkeln, sprich: Angriffe auf Nuklearphysiker, Gegenangriffe auf israelische Diplomaten und auf israelische Zivilisten. Iran hat bekanntlicherweise über Syrien eine Achse mit Hisbollah, und Hisbollah ist eine große Gefahr, was einen Gegenschlag betrifft, wenn etwas unternommen wird gegen Irans Nuklearprogramm. Und insofern ist die Schwächung Syriens und die Desintegration Syriens auch eine Art und Weise, Hisbollah auszuschalten in diesem größeren Gefüge.

Ricke: Das heißt, Israel hätte Interesse daran, dass Syrien zerfällt?

Mallory: Ein ehemaliger Chef des Mossads, Herr Hallise, hat in einem Artikel, diesen Winkel ziemlich deutlich betont. Es (…) hat ein Interesse, dass diese Achse Iran-Syrien-Hisbollah geschwächt wird, aber nicht bis zu dem Punkt, wo ein Vakuum in Syrien entsteht, eine Desintegration zustandekommt, die Kurden möglicherweise sich nach Irak anschließen möchten, die Drusen im Djébel druze was anderes unternehmen. Also, es ist sehr, sehr - man muss es sehr, sehr fein aussieben.

Ricke: Es ist ja auch der militärische Schritt der Israelis im Gespräch, sie haben ihn selber angekündigt, die Israelis, aber so ein militärischer Alleingang ist nicht vorstellbar, das geht nicht ohne ein Okay aus Washington. Wie können denn die USA aktuell nicht nur auf Syrien, sondern eben auch auf Israel Einfluss nehmen?

Mallory: Das ist die große Herausforderung der US-Politik im Moment. Und das ist der Grund, warum die Obama-Administration so kräftig an Sanktionen arbeitet. Weil die Befürchtung besteht, dass Israel möglicherweise sogar noch vor den Präsidentschaftswahlen sonst etwas unternimmt. Allerdings, muss man auch sagen, wird davon gesprochen, dass die Israelis befürchten, dass die Obama-Administration weitere Eingriffe nach den Präsidentschaftswahlen nicht unterstützen wird, da Obama nicht zur Wiederwahl steht und deswegen nicht, sage ich mal, ein bisschen mehr flexibel sein kann, was Iran angeht und die Unterstützung, die er von Israel braucht und die Unterstützung, die er Israel geben müsste.

Ricke: Beeinflusst zurzeit der Syrienkonflikt eher den US-Wahlkampf oder beeinflusst der US-Wahlkampf den Syrienkonflikt?

Mallory: Ich glaube, es geht in beide Richtungen. Der US-Wahlkampf beschränkt die Eingriffsmöglichkeiten von der Obama-Administration. Niemand will einen Zusammenfall von Syrien mitten in der Präsidentschaftskampagne. Und umgekehrt ist der Zerfall oder der angebliche Zerfall Syriens etwas, was natürlich dann auch Einfluss auf den Wahlkampf nehmen kann, indem es ein Thema im Wahlkampf wird. Romney hat schon angekündigt, dass er nicht damit einverstanden ist, dass die Obama-Administration so vorsichtig vorgeht.

Ricke: Charles King Mallory, der Leiter des Aspen-Institutes in Berlin. Vielen Dank, Herr Mallory!

Mallory: Gern geschehen!

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