Nahostkonflikt als Theaterstoff

Sinnloses Morden auf beiden Seiten

Ausschreitungen im Osten Jerusalems nach dem Tod eines palästinensischen Busfahrers
Ausschreitungen im Osten Jerusalems nach dem Tod eines palästinensischen Busfahrers © afp / Ahmad Gharabli
Von Dorothea Marcus |
Die israelische Regisseurin Dedi Baron inszeniert am Düsseldorfer Schauspielhaus "Mord" von Hanoch Levin. Anders als Wojtek Klemm, der die erste deutsche Aufführung auf die Bühne brachte, nimmt Baron den Stoff ernst und führt eine Spirale der Gewalt vor.
Hier rennen keine Menschen in Plüschhasenkostümen herum, wie eine Woche zuvor bei der umstrittenen, weil grotesk verfremdeten deutschen Erstaufführung des Stücks von Wojtek Klemm in Stuttgart. Die israelische Regisseurin Dedi Baron hat "Mord" ernst genommen. Das äußert sich zunächst einmal in einem detailgetreuen Naturalismus unter den Panorama-Videoleinwänden, die von oben sanft über ein arabisches Dorf mit Moscheen und verschachtelten Häuseransammlungen schweben.
Schreiend stürmen drei Soldaten in Tarnuniform herein, um ihr palästinensisches Opfer zu foltern und zu töten, schweißbefleckt, glänzend, rotgefleckt, schmerbäuchig, selbst die Gewehrmodelle sind die der israelischen Armee. Verroht sind sie bis zur Unerträglichkeit. Eine Blutspur zieht das getötete Opfer hinter sich her, als er erledigt ist. Auch mit seiner Wunde am Rücken hatte die Maskenbildnerin sicher lange zu tun.
Gebrochen wird diese zuweilen an pathetischen Kitsch schrammende Detailtreue dann aber doch durch die durchlässigen Schauspieler, vor allen Dingen Rainer Galke, der den Vater des Folteropfers spielt und das Rachebedürfnis ungeheuer sensibel mit dem Vaterschmerz grundiert. Und einer erschütternden Verwunderung darüber, wie so ein Foltermord an seinem schönen Kind überhaupt geschehen konnte. Dass nicht jeder ahnt, was dieser Schmerz mit einem Leben machen kann.
Frosch- und Vogelperspektive wechseln sich ab
Später wird er aus Rache ein unschuldiges israelisches Brautpaar ermorden, das sich gerade zum ersten Mal körperlich liebt, weil der Bräutigam vielleicht der Sohn eines der Soldaten ist. Vielleicht aber auch nicht – das Stück von Hanoch Levin klärt niemals auf, ob die Rache die vermeintlich Richtigen trifft. Es gibt keine Kausalzusammenhänge in der sich immer rasender und sinnloser drehenden Spirale der Gewalt.
Dies ist eins der Markenzeichen des wohl bekanntesten Dramatikers des israelischen Theaters. Hanoch Levin, 1943 geboren und 1999 an Krebs gestorben, hat rund 60 Stücke geschrieben, sie sind nur auf den ersten Blick Well-Made-Plays – ergänzt werden sie stets mit einer philosophischen Ebene, mit den Gesängen der Toten, mit den wehklagenden Subtexten der Lebenden. Schon sein erstes, 1967, stellte den Krieg in Frage – als in Israel längst noch alles im Freudentaumel wegen des Sechs-Tage-Kriegs war. Kein Wunder, dass seine Inszenierungen zuweilen wüst gestört wurden und Personenschutz brauchten.
In Düsseldorf zieht Regisseurin Dedi Baron durch die Videos des israelischen Künstlers Yoav Cohen noch eine weitere Ebene ein. Sie wechseln in langsamen, faszinierenden Kamerafahrten die Frosch- und die Vogelperspektive ab, spielen mit Nähe und Distanz: mal Satellitenfilme von Bombeneinschlägen auf anonyme Städte zeigt, mal kurvige, abstrahierte Körperlandschaften – oder auch Nahaufnahmen brennender Städte und einsamer Wüstenlandschaften. Wie schwer Schicksale und Tode berühren, ist eben vor allem eine Frage der Perspektive und der räumlichen Entfernung.
Judith-Figur wird Retterin des israelischen Volkes
Das gilt wohl für nichts so sehr wie für den Nahost-Konflikt, der im westlichen Bewusstsein fast schon zweitrangig anfühlt im Angesicht von Syrienkrieg und Gräueltaten von Islamischem Staat. Aber Dedi Baron verknüpft auf sehr interessante Weise beides. Die preisgekrönte und anerkannte israelische Theater-, Oper- und Filmregisseurin, die seit einiger Zeit auch immer wieder in Deutschland arbeitet, wurde 1954 in Tel Aviv geboren, wo sie Theaterregie studiert hat. Sie geht insofern klug um mit der Kontextverschiebung, als dass sie immer auch die westeuropäischen Perspektiven mitdenkt.
Im dritten Teil von Levins Stück lynchen israelische Siedler einen harmlosen palästinensischen Arbeiter, der nur mal eben ein wenig lüstern in fremde Fenster glotzte. Die Regisseurin stilisiert die israelische Anstifterin zur Judith-Figur im wohlsituierten Glitzer-Abendkleid, die dem Holofernes den Kopf abschlägt und so zynisch zur Retterin des israelischen Volkes gemacht wird: in Israel eine absolute und reine Heldin. Deutsche Zuschauer können in dem so detailgetreu gestalteten Gipskopf, den sie triumphierend schwenkt, nur noch die Bilder des Islamischen Staats sehen.
Schon interessant, wie sich die Ikonographien der Gewaltgeschichte ähneln.
Und auch wenn solche unhinterfragt realistische Requisiten auf deutschen Bühnen mittlerweile sehr seltsam anmuten, so ist "Mord" in Düsseldorf doch es letztlich ein kompakter, apokalyptischer, intensiver Abend geworden über die Frage, wo das alles noch enden soll.
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