Nahost-Krieg

Deutschland ist als Vermittler in der Pflicht

Ein rotes Plüschtier liegt auf Trümmern.
Wie kann der Wiederaufbau im Gazastreifen und Frieden in der Region gelingen? Darüber sollte sich auch Deutschland Gedanken machen, findet der Politologe Asiem El Difraoui. © picture alliance / Anadolu / Abed Rahim Khatib
Ein Kommentar von Asiem El Difraoui |
Wie kann der Nahe Osten Krieg und Gewalt beenden? Der Politologe Asiem El Difraoui sieht Deutschland in der Pflicht, an tragfähigen Konzepten für Israel und Palästina mitzuwirken: Vor allem weil es große Mitschuld trage.
Ich war in Israel/Palästina in hoffnungsvollen Momenten, mit israelischen Freunden in palästinensischen Jazz-Clubs in Ramallah. Aber auch in sehr traurigen, als jüdische Siedlerkinder im Freien, bewacht von schwerbewaffneten Soldaten, mit Holzgewehren spielen. Sie treffen auf palästinensische Kinder, zielen auf diese, schreien: "Tod den Arabern, wir bringen euch alle um!" Die palästinensischen Kinder nehmen Steine in die Hand und rufen: "Tötet die Juden! Treibt sie ins Meer!"

Deutschland hat es sich zu lange bequem gemacht

Irgendwann wollte ich mich mit dem Konflikt nicht mehr beschäftigen - zu betrüblich, unlösbar. Ich habe es mir bequem gemacht. Dann der barbarische Weckruf der Hamas, der Mord an über 1.400 Menschen und die israelische Reaktion - noch mehr Menschen sterben. Viele haben eine historische Mitschuld an dem Dauerkonflikt, die Osmanen, die Briten mit ihren falschen Versprechen, und arabische Länder, von denen nur wenige einen wenn auch kalten Frieden schlossen.
Deutschland trägt eine besonders große, vielleicht sogar die größte Mitschuld. Ohne die Verfolgung und Vertreibung der Juden und den Mord an sechs Millionen  durch Nazideutschland wäre die Situation im Nahen Osten heute eine andere.
Gerade Deutschland sollte deshalb den schlimmen Weckruf hören. Auch unser Land hat es sich zu lange bequem gemacht.
Das Existenzrecht Israels als unsere Staatsräson, ein unbedingter Kampf gegen Antisemitismus und unser uneingeschränktes Schuldeingeständnis - all das ist natürlich völlig richtig, genau wie die humanitäre Hilfe für die Palästinenser. Aber es reicht nicht.

Den Oslo-Prozess wiederaufnehmen

US-Außenminister Antony Blinken betonte in Israel, dass es nur politische Lösungen gibt und der 1993 begonnene Oslo-Prozess mit der Zweistaatenlösung wieder aufgenommen werden muss. Mehrmals war Frieden zum Greifen nah und ist immer wieder an Terror und Mord durch beide Seiten gescheitert.
Jetzt muss die Wegekarte weiter- und umgezeichnet werden, mit deutscher Hilfe. Dazu muss eine weitere Zeitenwende stattfinden, keine militärische, sondern eine geopolitische - mit mutigen, überraschenden, unbequemen und am besten ineinandergreifenden Initiativen, für die man im Zweifelsfall auch bereit sein muss, Kritik einzustecken.

Es braucht einen deutschen Israel-Sonderbeauftragten

Deutschland könnte sofort einen Sonderbeauftragten für Israel und Palästina einsetzen und UNO-Resolutionen formulieren. Etwa um eine Waffenruhe bei gleichzeitig verhandelter Entwaffnung der Hamas durchzusetzen, ein UNO-Mandat zu deren Überwachung und der Verwaltung Gazas. Wir können die Verfolgung von Kriegsverbrechern vor dem internationalen Strafgerichtshof fordern. 
Der große Vorteil, den Deutschland mitbringt: Wir sind auf beiden Seiten anerkannt - als Mediatoren. In einer Berliner Konferenz könnten Experten und Vertreter der Konfliktparteien und der EU erarbeiten, wie der Weg zum Frieden wieder aufgenommen werden kann. So ähnlich startete damals übrigens auch der Osloer Friedensprozess. 

Ölfelder vor der Küste des Gazastreifens

Wirtschaftlich muss die Zeit nach Hamas vorbereitet werden. Gaza war nicht immer ein großes Freilichtgefängnis, sondern Brücke zwischen Afrika, dem Mittleren Osten und Asien. Auch wenn man es sich heute vielleicht noch nicht vorstellen kann, wenn man die Bilder der Zerstörung sieht: Gaza könnte das Dubai der Levante werden. Vor der Küste liegen große Öl- und Gasfelder. Die Gazawis sind gut ausgebildet. 
Deutschland muss handeln, auch aus Eigeninteresse, denn der israelisch-palästinensische Konflikt ist in die Mitte unserer Gesellschaft vorgedrungen. Erst durch dauerhaften Frieden im Nahen Osten können wir einen weiteren Teil unserer so großen Mitschuld tilgen.

Asiem El Difraoui ist ein deutsch-ägyptischer Politologe und Wirtschaftswissenschaftler, Dokumentarfilmer und Buchautor. Zuletzt erschien von ihm "Die Hydra des Dschihadismus" (2021). Er ist Senior Fellow am Institut für Medien- und Kommunikationspolitik Berlin und Mitgründer der Candid Foundation, einem Thinktank für Fragen des Nahen Ostens, Afrikas, Asiens und des Mittelmeerraumes.

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