In der ARD läuft am 9. September um 21.50 Uhr die halbstündige Dokumentation "Armee der Heilsbringer" zum Thema, die auch in der ARD-Mediathek abrufbar ist. Ein Reporterteam hat unter Mitwirkung unseres Autors Philipp Reichert dafür monatelang recherchiert.
Dubioses Geschäft mit der Angst um die Gesundheit
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Für fast jedes gesundheitliche Problem gibt es - glaubt man der Werbung - das passende Nahrungsergänzungsmittel. Und teuer sind sie meist auch noch. Experten warten auf bessere gesetzliche Regelungen.
In Apotheken, in Drogerien und Supermärkten und im Internet – Nahrungsergänzungsmittel (NEM) begegnen einem beim Einkaufen überall. Der Markt boomt seit vielen Jahren. Oft wird damit geworben, dass diese Zusatzstoffe gut und wichtig für die Gesundheit seien. Manchmal werden ihnen sogar heilende Wirkungen zugeschrieben. Dabei ist es ein Riesengeschäft.
Im Küchenschrank stehen immer noch die vielen Nahrungsergänzungsmittel, die Sara LaPierre ihrer krebskranken Mutter gekauft hat. "Hochdosierte Pulvervitamincocktails bis hin zu Vitaminkapseln, verschiedene Öle und Säfte", sagt die Tochter. 4000 Euro hat sie für Nahrungsergänzungsmittel ausgegeben. Denn im Internet las sie Berichte über Produkte, die angeblich helfen, den Krebs zu besiegen – vergeblich. Vor vier Monaten ist ihre Mutter gestorben. "Alles, was ich meiner Mutter gegeben habe, hat rein gar nichts gebracht. Man verlässt sich auf diese Mittel, weil es so dargestellt wird, als ob sie einem helfen können. Da fühlt man sich schon sehr ausgenutzt."
Medizinisch oft unnötig
Dabei sind gesundheitsbezogene Aussagen verboten. Denn Nahrungsergänzungsmittel gelten als Lebensmittel und sind nicht dazu da, Krankheiten zu heilen. Sie sollen unsere Ernährung ergänzen – mehr nicht. Doch der Pharmakologe Martin Smollich von der Universitätsklinik in Lübeck sagt, fast immer sei das gar nicht nötig:
"Der größte Teil der NEM sind medizinisch gesehen tatsächlich überflüssig. Es gibt eine kleine Gruppe, die eine medizinische Berechtigung haben, wenn es um Veganer geht, um Schwangere, um ältere Menschen mit Vitamin-D-Mangel." Daneben gebe es auch eine Gruppe von NEM, die möglicherweise sogar schädlich oder gesundheitsgefährlich sein könnten.
Das Problem laut Smollich: Für Unternehmer sind die Hürden sehr gering, Nahrungsergänzungsmittel auf den Markt zu bringen. Anders als Arzneimittel müssen sie nicht zugelassen werden, kontrolliert werden sie nur stichprobenartig. Und auch sonst gibt es kaum Regelungen.
"In Deutschland gibt es kaum ein Feld, das so wenig reguliert ist wie das der Nahrungsergänzungsmittel", kritisiert Schmollich. "Wir haben in Deutschland für Vitamine und Mineralstoffe in Nahrungsergänzungsmitteln keine Höchstmengen. Die können sie beliebig hoch reinpacken." Für pflanzliche Bestandteile in Nahrungsergänzungsmitteln gebe es weder Höchstmengen noch irgendeine Positivliste, die festlege, was dort hinein dürfe.
Verzögerung bei der EU
Dabei wollte die EU schon vor 17 Jahren solche Höchstmengen für Vitamine und Mineralstoffe festlegen. Doch dazu kam es bisher nicht. Manche Länder haben deshalb nationale Regelungen eingeführt. Deutschland nicht. Ernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) teilt dazu schriftlich mit, ihr Ministerium setze sich dafür ein, die Arbeiten auf EU-Ebene wieder aufzunehmen.
Die Verbraucherschutz-Politikerin Renate Künast (Grüne/Bündnis 90) kritisiert, die Bundesregierung hätte längst aktiv werden müssen: "Ich habe den Eindruck, hier wird zurückgewichen vor den finanziellen Interessen einzelner Unternehmen, die da mittlerweile ein sehr gutes Geschäft machen. Jetzt muss man tatsächlich national handeln. Frankreich, Belgien, Dänemark, Italien haben es getan und das muss man hier auch erwarten."
LaPierre ist enttäuscht, dass es Firmen so leicht gemacht wird, kranken Menschen das Geld aus der Tasche zu ziehen: "Die Politik müsste sich ganz dringend (dafür) einsetzen, dass mit den Leuten nicht gespielt wird."