Xavier Naidoo steigt aus
Xavier Naidoo: nach eigener Auskunft ehemals "geblendet" und in einer "Blase" gefangen. © picture alliance / dpa / Peter Kneffel
Dieser Weg wird kein leichter sein
08:51 Minuten
Kann man Xavier Naidoo glauben, dass er die Szene der Verschwörungsgläubigen verlassen will? Der Soziologe Niklas Vögeding weiß, wie schwierig ein solcher Ausstieg ist. Er sieht bei dem Sänger aber auch Anzeichen dafür, dass er es ernst meinen könnte.
Xavier Naidoo hat einen echten Coup gelandet. Deutschlands wohl umstrittenster Popstar, der viele Jahre eher als kruder Verschwörungstheoretiker mit rassistischem Einschlag denn als Sänger und Musiker aufgefallen war, hat sich in einem dreiminütigen Video von der verschwörerischen Szene losgesagt. Nun wird gerätselt, wie ernst er es gemeint haben kann, wie nachhaltig sein Bekenntnis ist.
Aus eigener Kraft aus dem Verschwörungsglauben auszusteigen sei schwierig, sagt der Soziologe Niklas Vögeding, der bei Veritas Angehörige von Verschwörungstheoretikern berät. Wenn tatsächlich Reflexionsprozesse bei diesen angestoßen würden, geschehe das in der Regel auf der Basis emotionaler Erfahrungen, berichtet er: "Das funktioniert selten in der Auseinandersetzung mit Statistiken."
Indiz für eine glaubhafte Distanzierung
Naidoo hat seine Umkehr unter anderem mit dem Krieg in der Ukraine begründet: "Die Welt scheint wie auf den Kopf gestellt und ich habe mich gefragt, wie es so weit kommen konnte", sagt er in dem Video. Naidoos Frau stammt aus dem angegriffenen Land.
Für Vögeding ist das ein glaubhaftes Indiz dafür, dass der Musiker tatsächlich versucht, sich zu distanzieren. "Das heißt aber nicht, dass er jetzt mit einem dreiminütigen Video grundsätzlich wieder Vertrauen genießen darf und auf jede Bühne gehört." Das kurze Bekenntnis könne nur ein Anfang sein.
Auch andere Experten sind skeptisch. Wer ernsthaft aus der rechten Ecke aussteigen wolle, vollziehe diesen Prozess erfahrungsgemäß in kleinen Schritten, reflektiert und das über mehrere Jahre, betont der Rechtsextremismusexperte Jan Riebe: "Ein Ausstiegsprozess aus antisemitischen Weltvorstellungen ist lang."
Naidoo ist in der Vergangenheit immer wieder mit rassistischen und anderen radikalen Äußerungen aufgefallen. Er trat mit sogenannten Reichsbürgern auf, verbreitete Theorien der QAnon-Bewegung, äußerte sich antisemitisch und schmähte die Corona-Impfung als „Gift“.
Nun sagt er: „Ich stehe für Toleranz, Vielfalt und ein friedliches Miteinander. Nationalismus, Rassismus, Homophobie und Antisemitismus sind mit meinen Werten nicht vereinbar. Und ich verurteile diese aufs Schärfste.“
Naidoo fühlt sich "geblendet"
Er sei von Verschwörungserzählungen „geblendet“ gewesen, habe diese nicht genug hinterfragt, sich „zum Teil instrumentalisieren“ lassen und in einer „Blase“ befunden, so Naidoo. Vögeding verweist darauf, dass sich der Sänger an dieser Stelle im Video selbst zum Opfer macht.
Ein echter Ausstieg müsse auf zwei Ebenen geschehen, sagt der Soziologe: der sozialen und der ideologischen. Naidoo könne sich jetzt explizit gegen Verschwörungsglauben und die entsprechenden Agitatoren engagieren, beispielsweise durch Spenden oder Aufklärung. Es sei aber nicht sinnvoll, sich in jede Talkshow zu setzen.
Vögeding rät dem Sänger, sich aus dem Milieu herauszubewegen, die entsprechenden Telegram-Gruppen zu verlassen, sowie zu einer "ernsthaften und aufrichtigen" Reflexion, weshalb er welchen Ideen aufgesessen sei. „Das ist oftmals ein sehr großer Schritt“, sagt Vögeding. Aus der Antisemitismusforschung wisse man: „Das größte Hindernis für den Antisemiten ist, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen.“
Zahlreiche Alben landeten auf Platz eins
Gegen Kritik, er stehe rechtsextremen Verschwörungserzählungen nahe, hatte sich Naidoo in der Vergangenheit öfter gewehrt. Im Dezember 2021 urteilte das Verfassungsgericht in Karlsruhe aber, dass er als Antisemit bezeichnet werden darf.
Bekannt wurde der Soulsänger in den späten 90er-Jahren. Zahlreiche seiner Alben erreichten Platz eins der Charts. Auch mit der Gruppe Söhne Mannheims gelangen ihm Erfolge. Naidoo gewann viele Preise, darunter mehrere Echos. Während der Fußballweltmeisterschaft 2006 spielte die deutsche Nationalmannschaft sein Lied „Dieser Weg“ in der Kabine.
Als Coach in der Castingshow „The Voice of Germany“ (ProSieben und Sat.1) und in der Vox-Sendung „Sing meinen Song - Das Tauschkonzert“ wurde Naidoo auch zum TV-Star. Doch zunehmend kam es zu Kontroversen um ihn. Der NDR wollte ihn als deutschen Kandidaten für den Eurovision Song Contest (ESC) setzen, sah aber im Herbst 2015 nach Protesten davon ab.
2020 nahm RTL Naidoo aus der Jury der Sendung „Deutschland sucht den Superstar“ (DSDS). Es war ein Video aufgetaucht, in dem Naidoo ein rassistisches Lied singt. Bei Facebook schrieb er, seine Aussagen seien falsch interpretiert worden. Seine Erklärungen reichten RTL jedoch nicht.
Verhaltene Reaktionen auf das Video
Auch die Reaktionen auf das neue Video sind eher verhalten. Der Politikwissenschaftler Josef Holnburger schreibt auf Twitter: „Wenn er sich jetzt tatsächlich distanzieren will, braucht es mehr als ein vages Distanzieren von unbenannten Gruppen und Sichtweisen." Und: "Der von ihm verbreitete Antisemitismus ist nicht mit einem Videostatement weg.“
Einen Kontrapunkt setzt hingegen der Publizist Max Czollek auf Twitter: „Am Ende ist es mir egal, ob #XavierNaidoo durch Geldmangel, öffentlichen Druck oder echte Einsicht zur Erkenntnis gekommen ist, dass sein menschenverachtendes Verschwörungszeug Unsinn ist. Die Szene hat ihre prominenteste Stimme verloren. Und das ist ein Grund zum Feiern.“
(ahe/dpa)