Der beeindruckende Ananias Shikongo
07:04 Minuten
Als Kind erblindete er, hatte teilweise nicht genug Geld für Essen oder Laufschuhe. Trotz aller Rückschläge wurde Ananias Shikongo zum schnellsten Sprinter Afrikas und holte 2016 in Rio Gold für Namibia. In Tokio will er die nächste Sensation.
"Sehr wichtig für mich sind meine Laufschuhe mit Spikes, dann mein Verbindungsband zu meinem Partner, mit dem ich laufe, und meine Augenbinde. Das sind die wichtigsten Sachen, die auf jeden Fall in der Tasche sein müssen."
Als Ananias Shikongo seine Sporttasche packt für die Abreise von Namibia nach Tokio, ist er voll konzentriert. Der Sprinter will erneut für eine Sensation sorgen – wie 2016: In Rio ist der damals 30-Jährige ein Außenseiter – gegen ihn treten die die starken Brasilianer Silva und Gomes an. Aber Shikongo wittert seine Chance. Er ist gerade Afrika-Meister geworden – über 100, 200 und 400 Meter. In der Kategorie T11 – hier laufen Menschen, die vollständig blind sind.
Zusammen mit seinem Laufpartner – verbunden über ein kurzes Gummiband – schiebt er sich auf der Geraden an die Spitze und siegt in 22,44 Sekunden. Gold! Und paralympischer Rekord!
Der Traum wird wahr, der vor ein paar Jahren noch nicht denkbar war, als er gerade die Schule in Namibias Hauptstadt Windhoek abgeschlossen hatte. "In der Zeit musste ich wirklich kämpfen. Ich brauchte jemanden, der mich unterstützt, mir Schuhe kauft und sogar Essen. Ich war damals sogar schon für Olympia in London qualifiziert, aber wir mussten wirklich kämpfen."
Ananias wird 1986 in einem Dorf im Norden von Namibia geboren. Durch einen Unfall im Alter von fünf Jahren erblindet ein Auge, mit sieben Jahren dann erneut ein Zwischenfall: Auch das zweite Auge verliert seine Sehkraft. Die Familie schickt den Jungen auf eine Spezialschule. Dort entdeckt ein Lehrer sein Lauftalent, hilft ihm einen Laufpartner zu finden. Ananias gewinnt erste Rennen, wechselt fürs bessere Training auf ein College in die Hauptstadt Windhoek.
Rettende Förderung von einer Stiftung
Die Qualifikation für Olympia in Peking 2008 misslingt noch, vier Jahre später in London klappt es, aber eine Verletzung sorgt für ein frühes Ausscheiden. In dieser schweren Phase – ohne große Förderung und Perspektive für den blinden Sprinter – kommt Frank in sein Leben.
"2015 traf ich Frank. Er unterstützte mich. Er kaufte Lebensmittel, gab mir Geld für Laufschuhe, damit ich mich vorbereiten konnte. Und 2015 holte ich dann bei den Afrika-Meisterschaften drei Gold- und bei der WM in Doha eine Silbermedaille. Nur wegen seiner Unterstützung."
Frank Gschwender arbeitet damals in Namibia für die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit. Beide treffen sich und als der Deutsche von Ananias Lebensgeschichte hört, von dessen Zielen und der mangelnden Unterstützung des Staates für Sportler, will er etwas tun.
"In Namibia sind die Verhältnisse für afrikanische Verhältnisse immer noch relativ gut, aber es gibt natürlich nur eine rudimentäre Unterstützung für den Behindertenbereich insgesamt und Behindertensport insbesondere. Er hat sich da parallel nach privater Unterstützung umgeschaut und ist dann auf uns gestoßen. Seine persönliche Geschichte war wirklich sowas von beeindruckend, dass man da nicht 'Nein' sagen konnte."
"In Namibia sind die Verhältnisse für afrikanische Verhältnisse immer noch relativ gut, aber es gibt natürlich nur eine rudimentäre Unterstützung für den Behindertenbereich insgesamt und Behindertensport insbesondere. Er hat sich da parallel nach privater Unterstützung umgeschaut und ist dann auf uns gestoßen. Seine persönliche Geschichte war wirklich sowas von beeindruckend, dass man da nicht 'Nein' sagen konnte."
Frank Gschwender gründet mit Freunden und Familie die Stiftung "Sport on the move" zur Unterstützung der drei Sportler: Ananias Shikongo, Johannes Nambala und Lahja Ishitile. Ein Jahr später gewinnt Shikongo Gold in Rio und schreibt damit Geschichte für sein Land. Nach Johanna Benson, die 2012 in London als erste Frau Gold für Namibia gewann, ist Shikongo der erste Mann, der bei olympischen oder paralympischen Wettkämpfen Gold holt.
Wegen Corona im Hinterhof trainiert
Inzwischen ist der Sprinter 35 Jahre alt. Die Paralympics 2020 in Tokio wären vermutlich sein letzter Karrierehöhepunkt gewesen – aber dann kam Corona. Wieder so ein Rückschlag.
"Sie sagten: 'Nein, Leute, es gibt keine Spiele in Tokio 2020.' Da waren wir natürlich sehr enttäuscht. Aber ich habe nicht aufgegeben, mir gesagt: Dann haben sie mir eben mehr Zeit zum Trainieren gegeben. So habe ich das gesehen."
Aber dann kommt der Lockdown in Namibia. Ananias hat keinen Zugang mehr zu den Sportstätten, zu seinen Laufpartnern und zur sonstigen Trainingsinfrastruktur. Also geht er in seinen staubigen Hinterhof und trainiert kurzerhand dort.
"Ja, das stimmt. Ich wollte nicht sitzen. Aber es war Lockdown, keiner durfte draußen rumlaufen. Auch kein Sportler. Weißt du, in unserem Land hat Sport keine große Bedeutung, und sie verstehen das einfach nicht. Die Polizei hätte mich angehalten und wenn ich gesagt hätte, ich bin Sportler, muss trainieren, hätten sie das nicht verstanden. Also habe ich mich entschieden, jemanden aus der Familie zu nehmen, der mir hilft im Hinterhof und mir zeigt, wo ich meine Übungen machen kann. Damit meine Fitness nicht so nachlässt."
Silber über 400 Meter in Tokio
Ananias hält seine Form, aber seine Paradestrecke – die 200 Meter für vollständig Erblindete – wurde aus dem paralympischen Programm gestrichen. Egal, er bleibt optimistisch und versucht es eben nur über die 100 und 400 Meter. Auf beiden Strecken holte er in Rio Bronze.
Und tatsächlich. Auch dieses Mal kämpft sich Shikongo ins 400-Meter-Finale. Shikongo liegt erst vorn, wird dann noch vom favorisierten Spanier Gerard
Descarrega Puigdevall überspurtet, holt Silber. Und im 100-Meter-Finale am nächsten Donnerstag will er noch einmal durchstarten, auch gegen einen Freund.
"Wir werden sehen, was passiert auf den 100 Metern. Ich weiß, dass David Brown aus den USA gut ist, er ist mein bester Freund, mein Konkurrent. Wir haben uns gegenseitig schon besiegt. Mal sehen, was passiert."
Descarrega Puigdevall überspurtet, holt Silber. Und im 100-Meter-Finale am nächsten Donnerstag will er noch einmal durchstarten, auch gegen einen Freund.
"Wir werden sehen, was passiert auf den 100 Metern. Ich weiß, dass David Brown aus den USA gut ist, er ist mein bester Freund, mein Konkurrent. Wir haben uns gegenseitig schon besiegt. Mal sehen, was passiert."