Naomi Klein: "Doppelgänger"
© Verlag S. Fischer
Von Namensvettern und "bösen Zwillingen"
07:23 Minuten
Naomi Klein
Übersetzt von Peter Robert, Rita Seuß
Doppelgänger. Eine Analyse unserer gestörten GegenwartS. Fischer, Frankfurt am Main 2024496 Seiten
29,00 Euro
Die Autorin Naomi Klein wurde jahrelang mit der rechtsradikalen Feministin Naomi Wolf verwechselt. In ihrem neuen Buch setzt sie sich nun mit ihrer Namensvetterin auseinander und spürt dem Doppelgänger-Phänomen in Kunst, Literatur und Politik nach.
Als die linksliberale Journalistin und Aktivistin Naomi Klein feststellt, dass sie in den sozialen Medien immer öfter mit der rechtsradikalen Naomi Wolf verwechselt wird, reagiert sie erst ärgerlich - und dann mit Neugier. Reichen der gleiche Vorname, eine ähnliche Frisur und der geteilte jüdische Hintergrund aus, um das befremdliche Phänomen zu erklären?
In ihrem neuen Buch „Doppelgänger“ befasst sich Naomi Klein zunächst mit dem Lebensweg ihrer Namensvetterin Naomi Wolf, die als aufrechte Feministin begann, dann jedoch wegen gravierender Recherchefehler in einem Buch rapide an öffentlichem Ansehen verlor. Also suchte Naomi Wolf sich ein neues Publikum und fand es in rechten Blogs und TV-Kanälen. In der Coronazeit wurde sie zu einem Star der Querdenker-Bewegung.
Rechts-esoterische Unsinnswelten
Stundenlang hat sich Naomi Klein die Talkshow-Auftritte ihrer Namensvetterin im Netz angeschaut. Um anschließend in einer anregenden Mischung aus Stringenz und Assoziationsreichtum zu untersuchen, wie das Abgleiten breiter Bevölkerungsschichten in krude Welterklärungsmodelle funktioniert.
Die politische Rechte verstehe sich perfekt darauf, so analysiert sie, Themen aufzugreifen, die Demokratinnen und Demokraten nicht ernsthaft genug angingen: soziale Ungerechtigkeiten, Abstiegsängste, den Mangel an gesellschaftlichen Mitwirkungsmöglichkeiten, aber auch die Vernachlässigung der Kinder und Jugendlichen in der Coronazeit.
All diese Themen landeten dann – daher auch die Verwechslung der beiden Naomis – in einer Art „Spiegelwelt“, wo sie auf seltsam verschobene und verzerrte Weise diskutiert würden. Die Empörungsgefühle seien berechtigt, unterstreicht Naomi Klein – die Analysen jedoch irrlichterten in rechts-esoterischen Unsinnswelten.
Zerrbilder eilen der jüdischen Autorin voraus
Ausgehend von dem titelgebenden Doppelgänger befasst sich Naomi Klein in ihrem Buch mit einer Fülle an Aspekten, spürt Doppelgänger-Motiven in Literatur, Kino und bildender Kunst nach, denkt über die Zerrbilder nach, die ihr als Jüdin als Projektion stets vorauseilen. Ebenso ergehe es Flüchtlingen, die noch auf einem Boot im Meer trieben, während Vorurteile über sie das andere Ufer schon längst erreicht hätten.
Spannend denkt die Autorin auch über den „bösen Zwilling“ nach, den wir als Konsumentinnen und Konsumenten kaum abschütteln können: Während wir nichts weiter tun möchten, als uns harmlos eine neue Jacke oder für unsere Familie das Abendessen zu kaufen, mutet unser böser Zwilling Menschen in der Dritten Welt Zwölf-Stunden-Schichten in Sweatshops zu und hilft, die Welt mit Pestiziden zu verheeren.
Von hier aus macht die Autorin sich Gedanken über die Entgleisung des Klimas, die wachsende Schere zwischen Reich und Arm, den Vertrauensverlust der Demokratie, wachsendem Rassismus und Antisemitismus und spart auch das Leiden von Millionen palästinensischen Zivilistinnen und Zivilisten im derzeitigen Krieg nicht aus – wie Bild und Spiegelbild sei das Schicksal von Juden und Arabern in Palästina miteinander verkettet.
Die kleinlichen Diskurse der Linken
So erschütternd ihre Analysen auch oft ausfallen – politische Depressionen möchte die Autorin dennoch nicht gelten lassen. Die politische Linke habe sich einen kleinlichen identitätspolitischen Diskurs zugelegt, mahnt Noemi Klein am Ende ihres Buches. Dabei gehe es darum, die Ängste der anderen nicht Verschwörungsflüsterern zu überlassen, sondern sich solidarisch zu zeigen und echte Verbesserungen für alle zu erwirken – und so findet sie passenderweise am Ende sogar für ihre Namensvetterin ein Wort des Danks.