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Das Ende der Welt sucht Anschluss
22:04 Minuten
Lange Zeit verband nur ein Postschiff St. Helena mit dem Rest der Welt. Nun hat die Insel – als Napoleons Verbannungsort berühmt geworden – einen Flughafen. Die Inselbewohner hoffen auf Touristen und schnelles Internet.
Das mächtige Horn der "RMS St. Helena" kündigte das stets sehnsüchtig erwartete, letzte königlich-britische Postschiff an. Was auch immer in den letzten 28 Jahren auf der Insel ankam – Familienangehörige, Touristen, Autos, Baumaterial, Milch – es kam auf der RMS. Bis hin zur kleinsten Schraube. Fünf Tage dauerte die Passage aus dem südafrikanischen Kapstadt. Die RMS war die "Lifeline", die Verbindung der Insel zur Außenwelt. Und von den Insulanern, den "Saints", heiß und innig geliebt.
"Ich bin 26, 27-mal mit der RMS gereist. Sie war unsere Lebensader für Versorgung, für medizinische Fälle, für Urlaub, hat Familienmitglieder weg- und zurückgebracht. Viele werden sehr traurig sein, dass sie nun für immer wegfährt. Ein weiteres Kapitel wird geschlossen."
Die Postschiff-Ära ist zu Ende. St. Helena ist in der Luftfahrt-Epoche angekommen. Heute klingt die Ankunft auf der Insel anders.
Neuer Flughafen, neues Zeitalter
Die 100-sitzige Maschine vom Typ Embraer 190 setzt spektakulär mit rauchenden Reifen auf der noch fast jungfräulichen Betonpiste auf. Dann rollt die Maschine, die vor einigen Stunden in Johannesburg gestartet ist, zum kleinen, aber schmucken Terminal des St. Helena Airport.
Mit dem Anschluss an das weltweite Flugnetz beginnt auf St. Helena ein neues Zeitalter. Einer der entlegensten Orte der Welt wird leichter erreichbar. Manch Insulaner fürchtet, dass sich auf der Insel zu viel verändern wird, dass es mit der gemütlichen, gemeinschaftlich orientierten Lebensweise bald vorbei sein könnte. So schnell wird dieser Wandel aber nicht eintreten. Schließlich landet hier auf absehbare Zeit nur ein Flugzeug pro Woche. St. Helena bleibt also noch eine Weile ein exotisch-abgehängter Platz in der Weite des Atlantischen Ozeans.
2000 Kilometer bis zur Küste Angolas, 3000 Kilometer bis zu den Stränden Brasiliens. Es gibt wohl kaum einen abgeschiedeneren Ort als St. Helena. Ein winziger Punkt im Südatlantik – gerade mal 15 Kilometer lang und 11 Kilometer breit. Von der Fläche her ein wenig größer als Sylt, aber mit nur etwa viereinhalbtausend Einwohnern. Sie leben vor allem vom Fischfang, der Holzwirtschaft und dem Kaffeeanbau. Der Kaffee gilt als einer der exklusivsten und damit teuersten Sorten auf der Welt.
Entdeckt von portugiesischen Seeleuten
Entdeckt wurde St. Helena um 1515 von portugiesischen Seeleuten, die ihr auch ihren Namen gaben. Die Portugiesen nutzten die Insel, um ihre aus Indien heimkehrenden Handelsschiffe mit Wasser und Proviant zu versorgen. Sie besiedelten St. Helena aber nicht.
Die Besiedlung begann erst 1659 mit der Ankunft einer britischen Flotte unter dem Kommando von Captain John Dutton, dem ersten Gouverneur der Insel. Mit ihm kamen die ersten Siedler und einige Sklaven auf die Insel. In den nächsten knapp 200 Jahren wurde die Insel von der britischen Ostindien-Kompanie verwaltet.
Alle Schiffe, die die Handelsroute von Indien ins britische Königreich segelten, mussten hier in der Bucht vor Anker gehen, um Proviant und Wasser zu bunkern. Es waren bis zu tausend Schiffe pro Jahr.
Von 1815 an beherbergte die Insel einen besonderen Gefangenen: Napoleon Bonaparte, erster Kaiser der Franzosen, darbte hier in der Verbannung bis zu seinem Tod am 5. Mai 1821.
Bis Mitte des 19. Jahrhunderts beherrschte die britische Ostindien-Kompanie St. Helena. Dann zog sie sich zurück, und die englische Krone übernahm die Verwaltung. Seitdem sei es mit der strategischen Bedeutung St. Helenas vorbei, so Insel-Urgestein Basil George:
"Die englische Regierung wollte nicht so viel Geld in die Insel stecken. St. Helena verarmte zusehends. Viele Insulaner sind ausgewandert. Seit den 70er Jahren arbeiten viele Bewohner eine gewisse Zeit im Ausland."
"Die englische Regierung wollte nicht so viel Geld in die Insel stecken. St. Helena verarmte zusehends. Viele Insulaner sind ausgewandert. Seit den 70er Jahren arbeiten viele Bewohner eine gewisse Zeit im Ausland."
Chinesen und Sklaven im Stammbaum
Heute lebt die Insel vor allem von ihrem Ruf als Napoleons Verbannungsinsel. Der neue Flughafen, so die Hoffnung, soll St. Helena als Touristendestination populärer machen und die vorwiegend ärmliche Insel zu neuem Wohlstand führen. Bislang liegt das monatliche Durchschnittseinkommen der Saints bei gerade mal etwa 700 Euro. Eigentlich deutlich zu wenig, um sich das Leben auf der fast vollständig auf Importe angewiesenen Insel zu leisten.
Basil George hat – mit Ausnahme von ein paar Monaten – sein ganzes Leben auf der Insel verbracht. Der kleine, drahtige 82-Jährige mit den listigen, eisblauen Augen und der wettergegerbten Haut ist eine Legende auf St. Helena. Er hat praktisch jeden Job gemacht: Bürohilfe, Bauarbeiter, Touristenführer, Polizist, Lehrer, Schuldirektor, Bildungschef der Inselverwaltung – und Hobby-Poet. Es gibt wohl niemanden, der St. Helena besser kennt als Basil. Er schwärmt von der Widerstandsfähigkeit und dem Zusammenhalt der "Saints".
"Ich mag unseren Gemeinschaftssinn. Ich mag es, dass Rasse und Herkunft hier keine Rolle spielen. Die Briten, die St. Helena besiedelt haben, brachten Seeleute mit, Siedler, Soldaten und Sklaven. Nach dem Ende der Sklaverei – um 1810 – kamen chinesische Gastarbeiter auf die Insel. In meinem Stammbaum finden sich viele Chinesen und Sklaven."
Die Inselhauptstadt hat 600 Einwohner
Jamestown liegt in einem länglichen Tal, eingezwängt zwischen zwei steilen, etwa 300 Meter hohen vulkanischen Felswänden. Im Grunde besteht die Insel-Hauptstadt mit ihren gut 600 Einwohnern nur aus einer Hauptstraße und ein paar Nebenstraßen, der Meerespromenade und dem Hafen an der James-Bucht. Direkt am Meer steht "The Castle", ein weißer Festungsbau, in dem heute die Inselverwaltung ihren Sitz hat. Die hübschen, symmetrischen Häuser mit ihren Ornamenten und Zierbögen entlang der Market-Street gelten als "eines der besten Beispiele unberührter georgianischer Architektur weltweit" – schreibt zumindest die Inselregierung stolz auf ihrer Webseite.
Eine der Attraktionen Jamestowns ist die Jakobs-Leiter: 699 Stufen führen hoch auf Ladder Hill – und bei Ungeübten zu einer heftig brennenden Lunge. Von oben aus hat man einen wunderbaren Blick über Jamestown und die Bucht.
In Jamestown hat es niemand eilig. Soll doch die Welt da draußen sich in ihrem Laufrad immer schneller drehen – auf St. Helena gibt es keine Hetze, keinen Stress. Man fühlt sich wie einer Zeitmaschine entsprungen: Die Autos sind vornehmlich aus den späten 90ern, frühen 2000ern, kaum jemand starrt beim Laufen mit gesenktem Kopf auf sein Handy – dafür ist das Mobilfunknetz, das erst seit knapp zwei Jahren auf der Insel existiert, zu teuer. Das Internet ist ebenfalls teuer, aber dafür langsam und unzuverlässig. Die Insel ist ein herrlicher Anachronismus.
Anders als auf dem europäischen Festland, wo man im Supermarkt, im Kaufhaus oder zumindest im Internet alles innerhalb kürzester Zeit bekommen kann, müssen sich die Insulaner mit dem begnügen, was so da ist.
Keine Kartoffeln in den letzten zehn Wochen
Am deutlichsten sieht man das in den kleinen Supermärkten der Insel: In einer Gemüseabteilung prangt ein weißes Schild, auf dem mit rot-schwarzem Filzstift "frisches Gemüse zu verkaufen" steht. In den Regalen darunter liegen aber nur ein paar Mohrrüben und Kürbisse. Für Guesthaus-Betreiber wie Keith Yon eine echte Herausforderung.
"Wir haben seit acht bis zehn Wochen keine Kartoffeln mehr bekommen. Eier sind schon ewig ein Problem. In den Läden sind viele Lebensmittel ständig ausverkauft. Joghurt und frische Früchte sind immer knapp. Sobald Joghurt in die Geschäfte geliefert wird, dauert es keine drei Stunden, bis er weg ist. Und dann hast Du für die nächsten vier Wochen keinen Joghurt mehr."
Dennoch sind die Menschen entspannt und von einer Herzlichkeit, die man wohl nur entwickeln kann, wenn man in der Isolation miteinander auskommen muss. Ein besonderer Menschenschlag seien die Insulaner, schwärmt Basil George.
"Wir sind Menschen, die mit ihren Händen denken: sehr erfinderisch und widerstandsfähig. Es ist fantastisch, wie wir uns trotz dieser so unterschiedlichen Herkunft integriert haben, wie wir die große Armut überstanden haben."
Abschied vom geliebten Postschiff
In ihrer schmucken Ausgehuniform marschiert die Besatzung der "RMS St. Helena" durch das Insel-Hauptstädtchen Jamestown Richtung Hafen, begleitet von Schulkindern und Pfadfindern. Die Bürgersteige sind voll mit schaulustigen "Saints". Ein letztes Mal wollen die Insulaner der Crew "ihrer" RMS zuwinken.
"Das Schiff hat einen Platz in unserem Herzen. Es ist Teil der Insel, Teil von uns. Etwas Außergewöhnliches. Wir haben wirklich eine besondere Beziehung zur RMS."
Kapitän Adam Williams steht in seiner blütenweißen Uniform auf der Brücke des Postschiffs. Der 36-Jährige weiß noch gar nicht so recht, wie es um seine Gefühle steht. Adam stammt von St. Helena. Vor 20 Jahren hat er auf dem Schiff als Matrose angefangen und sich dann hochgearbeitet. Jetzt begleitet Adam die RMS auf ihrer letzten Reise.
"Mir wurde in den vergangenen Tagen schmerzlich bewusst, dass ich der letzte Kapitän des letzten königlich britischen Postschiffs bin. Das ist das Ende von über 150 Jahren Schifffahrtsgeschichte. Das ist wirklich Respekt einflößend!"
Am Nachmittag lichtet die "RMS St. Helena" zum letzten Mal die Anker in der James-Bucht. Einige hundert Menschen stehen an der Hafenpromenade und winken. Und ein letztes Mal erklingt das mächtige Horn, bevor das geliebte Postschiff für immer hinter dem Horizont verschwindet.
"Ich bin sehr, sehr traurig, es ist so schade, sie abfahren zu sehen. Meine Enkelin und mein Cousin sind an Bord. Das macht es noch trauriger. Wir werden das Schiff sehr vermissen."
Flughafen-Bau mit Hindernissen
Ob die Saints ihren Flughafen mal ebenso lieb gewinnen wie "das" Schiff? Noch zumindest fristet der St. Helena Airport ein eher einsames Dasein. Werktags ist auf dem Flughafen-Gelände kaum jemand zu sehen. Das Terminal-Gebäude ist abgeschlossen. Nur Flughafen-Managerin Gwyneth Howell hält die Stellung:
Im Abflugbereich dudelt Musik aus den Deckenlautsprechern - obwohl niemand da ist. Bei ihrem ersten Besuch sei es so ruhig gewesen, da habe sie gesagt, "das geht so nicht, wir müssen Musik laufen lassen", sagt Gwyneth grinsend.
Gwyneth ist sozusagen Gastarbeiterin. Die Südafrikanerin ist aus Johannesburg nach St. Helena gezogen, um das Flughafen-Projekt aus der Krise zu führen. Zwar ist der Airport nicht mit dem Berliner Pleiten-Pech-und Pannen-Flughafen BER zu vergleichen, aber auch seine Entstehungsgeschichte ist ziemlich problematisch.
Vor zehn Jahren beschloss der Inselrat, einen Flughafen zu bauen. Er sollte die RMS St. Helena ablösen, wenn diese altersbedingt ausgemustert werden muss. Die Regierung in London übernahm die Baukosten von fast 300 Millionen Euro. Um eine zwei Kilometer lange Beton-Landebahn zu bauen, musste ein ganzes Tal mit Geröll aufgeschüttet werden. Dann stellte sich heraus, dass die Planer die tückischen Scherwinde auf der Insel unterschätzt hatten. Die geplante Eröffnung 2016 musste abgesagt werden.
Englische Medien spotteten schon vom "nutzlosesten Flughafen" der Welt. Aber Gwyneth Howell ließ sich nicht abschrecken. Heute fliegt eine südafrikanische Airline wöchentlich mit kleineren Maschinen. Bislang ohne Zwischenfälle. Gut 70 Maschinen sind seit Oktober gelandet – Linienflüge und Privatjets. Jetzt wünscht sich Gwyneth Howell, die resolute Managerin, endlich mehr:
Babyöl gegen Korrosion
"Natürlich ist es frustrierend, wenn ein paar Tage lang kein Flugzeug landet. Aber es ist immer was zu tun: Fortbildungen, Instandhaltung. Wir müssen z.B. viel warten, um das Material gegen Korrosion zu schützen. Wenn der feine Sand sich mit Meerwasser vermengt und vom Wind hierher geweht wird, dann wirkt das wie Säure. Aber wir haben Tricks dagegen – einen davon habe ich von der RMS gelernt: Wenn Du Edelstahl nach der Reinigung mit Babyöl einreibst, dann rostet er nicht. Ich habe literweise Babyöl bestellt – und es funktioniert!"
Der Flughafen hat schon mehrere Leben gerettet: Schwer kranke Patienten, denen im kleinen Inselkrankenhaus nicht ausreichend geholfen werden kann, mussten bislang auf die RMS warten und dann fünf Tage nach Kapstadt fahren. Schon deswegen hält Flughafen-Managerin Gwyneth Howell die Schlagzeile vom "nutzlosesten Flughafen der Welt" für ungebührlich.
"Es ist der sinnvollste Flughafen der Welt! Der Tourismus wird dank ihm zunehmen und wird ihn profitabel machen. Allein wegen der Rettungsflüge hat er sich schon gelohnt."
Zwischen dem Flughafen und Jamestown liegt ein schönes Anwesen mit einem akkurat gepflegten, parkähnlich angelegten Garten. Vor der grünen Veranda weht die Trikolore, die französische Flagge: Longwood House. Hier hat St. Helenas wohl berühmtester Bewohner gelebt: der französische Kaiser Napoleon Bonaparte. Nach seiner Niederlage bei der Schlacht von Waterloo 1815 ist er hierher verbannt worden.
Aber der schöne Eindruck von heute trügt, erzählt Michel Dancoisne-Martineau, französischer Honorarkonsul und oberste Verwalter des napoleonischen Erbes auf St. Helena.
Napoleons Haus war voller Ratten
"Napoleon ist vielleicht ordentlich behandelt worden, aber nicht würdig. Das war das wohl am schlechtesten gelegene Haus auf der Insel. Hier auf der ungeschützten Hochebene war er dem schlimmsten Klima St. Helenas ausgesetzt. Kaum eine Woche, in der man im Haus nicht Dielen ersetzen musste, weil sie verschimmelt waren. Darunter sammelte sich Wasser, alles war voller Ratten. Die Tapete fiel von den feuchten Wänden. Das Haus gammelte buchstäblich vor sich hin."
Das Eiland im Nirgendwo war in den Augen der Briten der perfekte Ort für die Verbannung des so ungeliebten wie gefürchteten Feindes. Eine Flucht von der schwer gesicherten Insel, wie sie Napoleon einige Jahre zuvor von Elba gelungen war, war praktisch unmöglich. Auch vermeintliche Befreiungskomplotte waren zum Scheitern verurteilt.
"Das wäre völlig verrückt gewesen. Napoleon hat sich über solche Ideen lustig gemacht. Das hat ihn nicht daran gehindert, die theoretische Möglichkeit den Briten gegenüber als Provokation zu nutzen. Er hatte nie vor, von hier zu fliehen. Aber er wollte den Briten, so gut er konnte, auf die Nerven gehen."
Sechs Jahre lebte Napoleon Bonaparte auf St. Helena. Zu Beginn zeigte er sich noch konziliant. Als aber beschlossen wurde, dass er auf ewig auf der Insel bleiben sollte, hat er sich zurückgezogen. Napoleon musste niemandem mehr etwas vorgaukeln, empfing keinen britischen Besuch mehr und hat sich fast ausschließlich um seinen herrschaftlichen Garten gekümmert. Verbittert, gebrochen und einsam starb Napoleon am 5. Mai 1821.
Er wurde auf St. Helena begraben, sein Leichnam später exhumiert und nach Frankreich gebracht. Heute sorgt Michel Dancoisne-Martineau dafür, dass das Erbe des französischen Kaisers für Besucher attraktiv bleibt und ist darüber zum "Saint" geworden: Vor 32 Jahren ist für einen Ferienjob nach St. Helena gekommen – und geblieben. Weil er die Ruhe und Einsamkeit so schätzt und das fast schon sozialistische Gemeinschaftsgefühl, wie er sagt.
Das älteste Landtier der Welt kriecht auf St. Helena herum
Wenn es jemanden gibt, der Napoleon in Sachen Bekanntheit auf der Insel Konkurrenz machen kann, dann ist es Jonathan. Jonathan ist eine Riesenschildkröte – und mindestens 186 Jahre alt. Und damit das älteste Landtier der Welt.
Entspannt kriecht er über die saftig grüne Wiese, zupft hier an einem Grashalm, kaut dort gemächlich an einer Blume. Doch mit der Ruhe ist es schnell vorbei: Ein Gruppe Touristen kommt auf den Rasen geeilt, um Fotos mit der greisen Riesenschildkröte zu machen.
Aber Jonathan lässt sich nicht stören – im Gegenteil! Vorwitzig reckt er den schuppigen Hals nach oben und schaut seine Besucher freundlich aus dunklen Augen an.
Mit 186 Jahren ist der alte Herr von ein paar aufgeregten Touristen nicht aus der Ruhe zu bringen. Mit den anderen Riesenschildkröten David, Fred und Emma lebt Jonathan auf der Wiese vor dem Plantation House, dem herrschaftlichen Gouverneurs-Sitz auf St. Helena. Viele Gouverneure hat Jonathan über die Jahrzehnte kommen und gehen sehen. Lisa Philipps, die erste Gouverneurin der Inselgeschichte, ist seit zwei Jahren Jonathans direkte Nachbarin.
Neugierig und gesellig, aber schwerhörig
"Er ist ein liebenswerter alter Bursche. Und sehr neugierig. Er sieht und riecht nicht mehr so gut. Aber er kann gut hören. Und er erkennt meine Stimme. Wenn ich rübergehe und ihn rufe, streckt er seinen Kopf hervor und schaut nach mir. Er ist sehr gesellig!"
Vor 136 Jahren ist Jonathan nach St. Helena gebracht worden, als Geschenk der Seychellen an den damaligen Gouverneur. Weil er damals schon ausgewachsen, also mindestens 50 Jahre alt war, wird sein Alter heute auf 186 Jahre geschätzt. Mindestens! Doch trotz seines hohen Alters ist Jonathan noch erstaunlich aktiv, sagt seine Nachbarin Lisa Philipps.
"Jeden Sonntag kann ich gewisse Dinge aus dem Gehege hören. Er ist ziemlich laut dabei. Da scheint noch einiges Leben in dem alten Herren zu sein."
Lisa Philipps sitzt im Blümchenkleid in ihrem überdimensionalen Büro im "Castle" unter einem großen Portrait von Queen Elizabeth der Zweiten. Ihre Fahrerin hat sie standesgemäß in einer englischen Luxus-Limousine zur Arbeit gebracht. Auf dem gelben Kennzeichen prangt nichts weiter als eine silberne Krone. Der Job der Gouverneurin ist es nicht nur, Touristen und neugierige Journalisten mit Informationen zur greisen Schildkröte Jonathan zu versorgen, sondern sie hat die schwere Aufgabe, mit überschaubaren Ressourcen eine abgelegene Insel am Leben zu halten.
Schnelles Internet, Solarenergie und Touristen
In wenigen Jahren will sich St. Helena komplett mit Solarenergie und Windkraft von Energieimporten unabhängig machen. Außerdem soll ein Untersee-Glasfaserkabel endlich schnelleres und günstigeres Internet auf die Insel bringen. Und ein zweiter Linienflug soll mehr Besucher befördern.
"Wir wollen abenteuerlustige Touristen anlocken, die genug Budget für eine Reise hierher haben und die eine ungewöhnliche Destination suchen. Natürlich können und wollen wir keine Besuchermassen. Schließlich sind wir eine winzige Insel und wollen das bewahren, was die Touristen anzieht."
St. Helena: Eine kleine Insel im Nirgendwo des Südatlantiks rückt ein Stückchen näher an den Rest der Welt. Zwar nun mit Flughafen, aber ohne das geliebte königlich-britische Postschiff "RMS St. Helena".