Narrationsforscher über politische Kommunikation

"Wenn ich etwas verstehen will, brauche ich eine Story"

08:13 Minuten
US-Eliteuniversität Harvard verleiht Angela Merkel die Ehrendoktorwürde: Zuschauer applaudieren Merkel vor ihrer Rede im Terecententary Theatre auf de mCampus.
Die Anti-Trump: Angela Merkel bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Harvard. © imago / UPI Photo / Matthew Healey
Michael Müller im Gespräch mit Shanli Anwar |
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Eine Lichtgestalt für das liberale Amerika: So erschien Angela Merkel bei ihrem Besuch in Harvard. Dabei war wohl auch Projektion im Spiel - oder erfolgreiches Storytelling, ohne das Politik nicht funktioniere, erklärt Medienexperte Michael Müller.
Mindestlohn, Atomausstieg, Ehe für alle – Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde der US-Elite-Universität Harvard für politische Entscheidungen gefeiert, die sie eigentlich gar nicht treffen wollte, jedenfalls ursprünglich nicht.
Das ist nicht nur frustrierend für den Koalitionspartner SPD, der diese Punkte viel eher auf der Agenda hatte als die CDU-Kanzlerin, sondern auch erklärungsbedürftig: Wie kann es sein, dass die Welt Merkel für eine Politik feiert, die ihr im Grunde "passiert" ist?
Für Michael Müller, Professor für Medienanalyse und Medienkonzeption an der Hochschule der Medien Stuttgart, hat das damit zu tun, dass Politik immer über Narrative funktioniert:
"Wenn ich etwas verstehen will, brauche ich eine Story", sagt er. "Das heißt: Was für eine Vorstellung habe ich? In was für einer Geschichte bin ich drin? Welche Geschichte habe ich anzubieten für die Zukunft?"

Lichtgestalt für das liberale Amerika

Nicht immer seien diese Geschichten von den Politikern selbst gemacht, wie man an Merkels Beispiel sieht. Aber die Kanzlerin habe diese Politik erfolgreich in ihr Narrativ eingebaut beziehungsweise andere hätten das getan. "Offenbar wurde ja von Amerika aus die Politik als eine sehr viel erfolgreichere Geschichte wahrgenommen als von vielen Kreisen in unserem Land", so Müller etwa mit Blick auf den Video-Trailer der Harvard-Universität zum Merkel-Besuch, in dem die Politikerin gewissermaßen als "Hauptfigur eines großen Films" eingeführt werde.
Die SPD hingegen schaffe es derzeit offenbar nicht, "ihre Geschichten gut rüberzubringen, sondern lässt sie sich von anderen abnehmen". Was könnte die Partei besser machen? Mit oberflächlichem Storytelling, schnell eine Geschichte zusammenzubasteln und "manipulativ" hinauszuposaunen, sei es nicht getan, warnt Müller.
"Sondern es geht darum, in Resonanz zu treten mit gesellschaftlichen Diskursen und dann zu überlegen: Was ist eigentlich unser Zukunftsnarrativ? Was entwerfen wir für ein Bild, wie wir leben wollen? Und wie können wir das andocken an gesellschaftliche Strömungen?", so der Storytelling-Experte. "Und dann kann man eine Welle reiten, so wie es die Grünen im Moment machen." Diese seien derzeit offenbar die einzige Partei, der viele Wähler ein Narrativ zutrauten, das in die Zukunft trage.
"Die Grünen sind erfolgreich, weil sie natürlich eine Story besitzen, die zurzeit sehr stark gesellschaftlich diskutiert und erzählt wird. Aber sie können sie im Moment auch ganz gut erzählen, mit ihrem Spitzenpersonal."
(uko)
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