Narzisstische Chefs

Ohne jede Rücksicht auf Verluste

Eine Grafik: Links oben ist ein aggressiver Mann, er brüllt Beschäftigte an. Die sitzen an Computern unter ihm.
Narzissmus ist nicht therapierbar, sagt der Psychologe Sam Vaknin. Manchmal bleibt deswegen nur der Kontaktabbruch. © imago / Ikon Images / Gary Waters
Narzissten sitzen in der Arbeitswelt oft auf Führungspositionen. Für Mitarbeiter kann das eine Katastrophe sein: Was mit überschwänglichem Lob beginnt, endet mit Kontrolle, Manipulation und Wutausbrüchen. Manchmal gibt es dann nur eine Lösung.
Insgesamt fünf Prozent der Bevölkerung leiden nach Schätzungen an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung. In der Arbeitswelt sind Narzissten oft in gehobenen Positionen zu finden. Wer unter ihnen arbeiten muss, hat es alles andere als leicht.

Was ist Narzissmus?

Narzisstische Persönlichkeiten lassen sich anhand von bestimmten Merkmalen identifizieren. Diese Eigenschaften sind bei sehr vielen Menschen zu finden. Erst wenn sie in übersteigerter oder geballter Form auftreten, kann von einer narzisstischen Persönlichkeit oder einer Persönlichkeitsstörung gesprochen werden.

Merkmale für eine narzisstische Persönlichkeitsstörung:

  • grandioses Gefühl der eigenen Bedeutung
  • die Erwartung, von anderen übermäßig bewundert zu werden
  • Idealisierung der eigenen Person
  • stark von Fantasien grenzenlosen Erfolgs, Macht, Glanz oder Schönheit eingenommen
  • der Glaube, besonders und einzigartig zu sein und nur von anderen außergewöhnlichen oder angesehenen Menschen verstanden zu werden oder nur mit diesen verkehren zu können
  • offensives Anspruchsdenken
  • die Erwartung, bevorzugt behandelt zu werden
  • in Beziehungen verhalten sich Narzissten häufig ausbeuterisch und ziehen Nutzen aus anderen Menschen, um eigene Ziele zu erreichen
  • Mangel an Empathie
  • Narzissten sind häufig neidisch auf andere oder denken, andere beneiden sie
  •  Überheblichkeit

Bis zu fünf Prozent der Bevölkerung sollen an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung leiden – Männer ebenso wie Frauen. Betroffene betrachten sich dabei selbst nicht als gestört oder krank. Im Gegenteil: Sie glauben, besser, klüger, genialer und stärker zu sein als der Rest ihrer Mitmenschen.
Einer narzisstischen Störung liegt ein frühkindliches Trauma durch emotionale Vernachlässigung oder durch Überhöhung seitens der Eltern – meist selbst Narzissten – zugrunde. Auch genetische Faktoren scheinen eine Rolle zu spielen. Eine narzisstische Störung sei weder therapier- noch heilbar, erläutert der israelische Psychologe Sam Vaknin, Experte auf dem Gebiet des pathologischen Narzissmus.

Welche Auswirkungen hat es, wenn Chefs narzisstisch sind?

Die Schweizer Psychotherapeutin Delia Schreiber erklärt, was Narzissten – nicht nur im Arbeitsleben – gefährlich macht: „Die Grundmotivation des Narzissten ist Macht.“ Und Grundlage dieser Macht ist die Kontrolle über andere.
Der Psychologe und Coach Ramzi Fatfouta hat sich in seinem jüngsten Buch „Zwischen Egoismus und Exzellenz“ mit Narzissten in der Arbeitswelt auseinandergesetzt. „Es gibt bestimmte berufliche Kontexte, wo man diese Personen eher findet“, sagt er.

Um Aufmerksamkeit buhlen

Narzissten schaffen es in der Arbeitswelt besonders häufig auf gehobene Positionen - in Unternehmen, der Politik, aber auch im Kulturbetrieb oder im Gesundheitswesen. Weil sie immer die Besten sein wollen und um Aufmerksamkeit buhlen, sind sie oft erfolgreicher als andere.
Getrieben werden sie dabei laut Schreiber von drei vorherrschenden Gefühlen: Wut, Angst und Neid. „Im Vergleich zu ihren normalen Kollegen haben Narzissten keinerlei Empathie. Keine ethischen Standards. Es ist ein unmoralischer, zynischer, gefühlloser und konsequenter Missbrauch der eigenen Position“, warnt der israelische Psychologieprofessor Sam Vaknin.
Kollegen und Mitarbeiter werden dabei oft zu Opfern. Sie sind hin- und hergerissen zwischen Selbstzweifeln und dem ständigen Bemühen, es dem Narzissten recht machen zu wollen. Denn am Anfang standen oftmals viele Komplimente.

Wie erkenne ich, ob mein Chef narzisstisch ist?

Es ist ein immer wiederkehrendes und perfides Muster, dass Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung in der Partnerschaft oder im Job mit ihren Opfern durchspielen. Zuerst kommt die sogenannte „Love-Bombing-Phase“. Mit Komplimenten für gute Leistungen erschleicht sich der Narzisst oder die Narzisstin Vertrauen und Sympathie.

Entwertung und Missachtung

Anschließend folgt dann allerdings die Phase der Entwertung und Missachtung. Narzissten benutzen ihre Mitmenschen. Ist die gemeinsame Arbeit getan, das Projekt abgeschlossen, feiern sie den Erfolg als den ihren. Dabei gingen sie ohne Rücksicht auf Verluste vor, sagt der israelische Psychologieprofessor Sam Vaknin. Narzissten hielten sich für grandios, seien größenwahnsinnig und gefühlskalt, notorische Lügner und Manipulatoren.
Status und Macht: "Das ist etwas, was narzisstische Personen besonders stark motiviert“, hebt der Psychologe Ramzi Fatfouta hervor. Es gehe ihnen darum, über Ressourcen zu verfügen, Entscheidungsbefugnisse und Privilegien wie einen Dienstwagen zu haben.

Gestresst und in die Ecke gedrängt

Mitarbeiter von narzisstischen Chefs berichten häufig, dass sie sich in die Ecke gedrängt fühlen. Wenn sie nicht tun, was der Narzisst oder die Narzisstin verlangt, werden sie beschimpft. Oft fühlen sie sich physisch ausgebrannt und psychisch kaputt - und suchen die Schuld dafür nicht selten auch noch bei sich selbst.
Die Opfer fühlen sich gestresst, melden sich oft häufiger krank und versuchen, die narzisstische Person zu meiden. Das sei Zeitpunkt, an dem man darüber nachdenken sollte, ob und wie es weitergehen könne, betont der Psychologe Fatfouta.

Wie kann ich mich gegen einen narzisstischen Chef wehren?

Wer einen narzisstischen Chef hat, sollte sich zuerst mit sich selbst befassen, rät Ramzi Fatouta. Dabei gehe es darum, sich selbst zu analysieren und darauf zu achten, in welchen Situationen welche Reaktionen ausgelöst würden.
Dann könne man sein Gegenüber besser verstehen, betont der Psychologe. Es gebe bestimmte Triggerpunkte, „die auch mit der eigenen Historie, der eigenen Biografie und dem eigenen Selbst zu tun haben“. Wenn man das verstanden habe, könne man sich mit der narzisstischen Führungskraft auseinandersetzen und die typischen Verhaltensweisen wie Streben nach Anerkennung, Macht oder Kontrolle identifizieren.

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Der israelische Psychologieprofessor Sam Vaknin unterstreicht, dass es keinen Sinn mache, narzisstischen Kollegen oder Chefs mit Empathie, Rücksichtnahme, Wohlwollen, Verständnis oder Mitleid zu begegnen. Der Narzisst werde solche Gefühle als Schwäche betrachten und stets gnadenlos ausnutzen.

Kontaktabbruch als beste Strategie

„Die effektivste Strategie ist: kein Kontakt!", rät Vaknin: "Wenn Sie einen Narzissten enttarnt haben, gehen Sie!“ Sei dies im Job nicht möglich, sollte der Kontakt auf das Allernotwendigste beschränkt werden. Außerdem sollte man nach Möglichkeit keinerlei Gefühle ins Spiel bringen und nur auf der Sachebene bleiben. Dazu gehöre auch, freundlich aber bestimmt Grenzen aufzuzeigen.
Hilft dies alles nicht, bleibt als letzte Konsequenz nur noch die Kündigung. Den Job hinzuschmeißen könne vor allem dann angebracht sein, wenn die gesamte Kultur des Unternehmens oder der Firma "narzisstisch infiziert" sei, sagt Ramzi Fatouta.
Danach ist dann noch die "Selbstversöhnung" wichtig, unterstreicht die Psychotherapeutin Delia Schreiber. Sie rät dazu, den Kontakt zu dem Narzissten aufzuarbeiten. Denn wer mit einem Groll gegen den Missbraucher herumlaufe, verletze sich letztlich nur selbst.

rzr
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