Naloxon und Drogenabhängige

Ein Nasenspray könnte Leben retten – könnte

06:52 Minuten
Eine Hand hält in den Räumen des Drogenvereins Mannheim während einer Schulung zur Handhabung des Notfall-Medikaments Naloxon eine als Nasenspray einsetzbare Spritze.
Wenn in Notfällen wenige Minuten über Leben und Tod entscheiden, kann das Nasenspray Naloxon bei einer Drogenüberdosis schnell helfen. © picture alliance / dpa / Uwe Anspach
Von Horst Gross |
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In den USA wird ein Medikament beworben, das eine tödliche Überdosis bei Drogenkonsumenten verhindern soll: Naloxon. Ersthelfer sprühen es in die Nase der Betroffenen. Es wirkt in Sekunden. In Deutschland stößt das Mittel bisher auf wenig Interesse.
"Naloxone saves lives more and more people are dying from an overdose ..."
Vom Naloxon-Werbespot im US-amerikanischen Fernsehen zum Berliner Drogenhilfsdienst Fixpunkt.
„Das ist jetzt eine Packung, die man aus der Apotheke kriegt, auf Rezept, was man sozusagen einfach nur an die Nase ansetzt, einmal drückt und dann kommt die komplette Dosis in die Nase rein und dann ist es erledigt.“

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Astrid Leicht demonstriert die einfache Handhabung von Naloxon. Dieses Drogengegenmittel könnte jährlich Hunderte Menschenleben in Deutschland retten. Aber das Mittel setzt sich hierzulande nicht durch.
„Der Hauptvorbehalt ist, dass die Menschen, die das einsetzen, dann davon absehen könnten, den Rettungsdienst zu holen. Man unterstellt auch Drogenabhängigen, dass sie gar nicht in der Lage wären, vernünftig zu handeln. Es hat so ein bisschen ... so ein Menschenbild steckt dahinter, was auch nicht mit der Realität übereinstimmt.“

Studie hat bereits Erkenntnisse geliefert

Drogengebrauch erfolgt aber oft in der Gruppe. Da liegt die Idee nahe, einfach alle Konsumenten prophylaktisch mit Naloxon auszustatten und ihnen zu erklären, wie einfach sie im Fall einer Überdosis ihrem Mitkonsumenten helfen können. Aber würden die das auch tun? Dieser zentralen Frage ging eine Studie des Bayrischen Gesundheitsministeriums nach, die jüngst publiziert wurde.
„Nachdem in Bayern ein deutlicher Anstieg der Zahl der Drogentoten zu verzeichnen war, gab es dann die Möglichkeit, in Bayern dieses Modellprojekt zu machen.“
Der Regensburger Suchtmediziner Norbert Wodarz hat das Projekt wissenschaftlich geleitet.
„Wir haben insgesamt im Modellprojekt 550 Opioidabhängige geschult und mit dem Naloxon ausgestattet. Und in dem Beobachtungszeitraum gab es dann 102 Überdosierübungsnotfälle, wo das Naloxon zum Einsatz kam. Und von den 102 Notfällen waren in einem … kam die Hilfe leider zu spät. Es gab einen Todesfall und alle anderen 101 Notfälle haben überlebt, ihre Überdosierung. Was eine sehr hohe Quote ist. Weil, normalerweise geht man davon aus, dass jede fünfte bis zehnte Überdosis tödlich verläuft.“

Bei einem Notfall kann Naloxon Leben retten

Schon der vage Verdacht, dass bei einem Bewusstlosen Drogen im Spiel sind, rechtfertigt den Einsatz von Naloxon. Denn wer bei einem Drogennotfall nur auf den Rettungsdienst wartet, vergeudet die entscheidenden Minuten, weiß Harald Dormann. Notfallmediziner am Klinikum Fürth.
„Entscheidend ist aber, dass die Applikation vorher durch Laien zum Beispiel verabreicht wird, weil bis der Rettungsdienst vor Ort ist, können ja durchaus bis zu zehn Minuten vergehen und das ist dann die lebensbedrohliche Zeitspanne, die man durch diese frühzeitige nasale Applikation deutlich verkürzen kann. Und damit kann man definitiv Leben retten.“
Im Rahmen des bayerischen Modellprojekts haben Harald Dormann und sein Team erste klinische Erfahrungen mit dem Naloxoneinsatz durch Laien gesammelt.
„Da hatten wir tatsächlich auch Patienten versorgt, die bereits dort durch eben andere, die mit beteiligt waren, nasal appliziert hatten. Und diese Patienten konnten dann letztendlich von uns auch weiter erfolgreich behandelt werden. Also ja, es gibt einschlägige Erfahrung, die auch tatsächlich dazu geführt haben, dass ein früher Atemstillstand durch eine Überdosierung von bestimmten Drogen unterbunden worden ist.“

Medikament wird nur selten eingesetzt. Warum?

Woran liegt es aber, dass sich das Medikament, trotz positiver wissenschaftlicher Belege, in der Praxis nicht durchsetzt? Die Drogenexpertin Astrid Leicht sieht hier die Mediziner in der Pflicht, die Drogenabhängige im Rahmen einer Substitutionstherapie betreuen.
„Unser Anliegen ist es, dass die niedergelassenen Ärzte, die eine ärztliche Substitutionsversorgung machen, also jeden Tag die Drogenabhängigen auch sehen, in ihrer Praxis, auch behandeln, dass die zusätzlich zu dem Substitutionsmittel auch einmal im Jahr ein Naloxon verschreiben. Ich glaube, wir haben so um die 5000 Patienten in Berlin, also ungefähr die Hälfte der Opiatabhängigen in Berlin ist in Behandlung. Man hätte eigentlich schon jeden zweiten Abhängigen über die niedergelassenen Ärzte abgedeckt“, sagt Astrid Leicht.
Doch bisher kommt bei diesen Substitutionsärzten kein rechtes Interesse auf, das Mittel zu verschreiben. Und das hat Medizin-bürokratische Gründe.
„Meine Vermutung ist, dass es eine Budgetfrage ist. Dass es nicht viel Geld einbringt, es zu verschreiben, also zu verordnen und auch die Aufklärung dazu zu machen und dann eben auch das Rezept dafür auszustellen. Es muss aus dem Budget der Ärzte bezahlt werden und damit ist die Verfügbarkeit limitiert“, so Astrid Leicht.

Vorurteile und Fehleinschätzung

Wer zu viele Medikamente verschreibt, überschreitet schnell das für Kassenärzte festgelegte Budget. Diese Mehrkosten zahlt der Arzt dann aus der eigenen Tasche. Hinzu kommt vielleicht auch das sich hartnäckig haltende Vorurteil, dass Drogenabhängige ohnehin verloren sind. Mit und ohne Naloxon, irgendwann komme die tödliche Überdosis. Eine fatale Fehleinschätzung, meint Suchtmediziner Norbert Wodarz.
„Tatsächlich gibt es in der Zwischenzeit einen nicht unerheblichen Anteil von Drogenabhängigen, denen es gelingt, ein ziemlich gut sozial integriertes Leben zu führen. Also zum Beispiel bei uns in der Substitutionsambulanz sind fast zwei Drittel der Patienten ... arbeiten ganz normal auf dem regulären Arbeitsmarkt, die vorher alle Drogen abhängig waren auf der Szene und immer wieder schwere Überdosierungen hatten. Und das Überleben zu sichern, das ist einfach die Basis dafür, dass es im Leben dieser Menschen dann auch weitergehen kann.“
Neue, künstliche Opioide sind auf dem Vormarsch. Auch bei uns. Experten warnen vor Verhältnissen wie in den USA, wo Millionen Menschen an suchtmachenden Schmerzmitteln verstorben sind. Höchste Zeit also für ein Umdenken in der Drogenpolitik und den kostenlosen Einsatz von Notfallmedikamenten.

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