Natasha Stagg: "Erhebungen"
Aus dem amerikanischen Englisch von Georg Felix Harsch
Edition Nautilus, Hamburg 2018
19,90 Euro
Einsamkeit in Zeiten von Instagram
Die amerikanische Autorin Natasha Stagg erzählt vom Aufstieg ihrer Heldin Colleen. Und dieser Aufstieg misst sich an ihrer Beliebtheit in den Social-Media-Charts. Doch nach ein paar exzessiven Influencer-Partys bleibt die Frage: Was bedeutet Einsamkeit in dieser WhatsApp-Welt?
Um Influencer dreht sich auf der Frankfurter Buchmesse in diesem Jahr so viel wie kaum zuvor: Community Editions, ein Verlag, in dem nur Social-Media-Stars veröffentlichen, ist mit einem Stand präsent. HarperCollins sponsort eine Blogger-WG, die Influencer Booknight wird gefeiert und der Buchblog-Preis 2018 vergeben. Zeit für ein Buch, das uns erklärt, wie es sich anfühlt, in Zeiten von Social Media berühmt zu werden.
Als Einblick in die Welt der Influencer wird der Debütroman "Erhebungen" der New Yorker Journalistin Natasha Stagg gerade von der amerikanischen Presse gefeiert. Das Buch der 32-Jährigen beginnt ganz unglamourös in einem Einkaufszentrum in der Provinzstadt Tucson in Arizona. Dort ist sowohl die Autorin aufgewachsen als auch ihr Alter Ego, die Ich-Erzählerin Colleen. Sie ist Anfang 20 und gelangweilt von ihrem Job in einem Marktforschungsbüro, wo sie die wenigen Passanten in der Mall zu Britney Spears' neuestem Parfum befragen muss. Wie alle ihre Kollegen fälscht die Ich-Erzählerin die Erhebungen so, dass sie der Zentrale des Marktforschungsinstituts gefallen.
Von der Shopping Mall in die Social-Media-Charts
Dass das gängige Praxis ist, hat Natasha Stagg selbst erlebt. Man merkt dem starken ersten Drittel des Buches an, dass sie aus eigener Erfahrung von diesem frustrierenden Job erzählt: Die Beschreibungen der Probanden – allesamt arme Schlucker, die zwei, drei Dollar pro Umfrage bekommen – sind bedrückend und lebensnah, die Tristesse der Mall, in der kaum noch jemand einkauft, wird greifbar. Es ist ein öder Mikrokosmos, dem die Ich-Erzählerin entfliehen will. Online lernt sie Jim kennen - einen aufstrebenden, semi-prominenten Typen, der in Los Angeles lebt. Die beiden beginnen eine virtuelle Love Story, die in den sozialen Medien immer mehr Menschen mitverfolgen.
An dieser Stelle beginnt im Buch unvermittelt eine neue Geschichte, die mit der Mall in Tucson nur die Ich-Erzählerin und die kühle, distanzierte Erzählhaltung gemeinsam hat. Colleen lässt alles hinter sich, zieht zu Jim nach L.A. und beginnt mit ihm ein neues Leben. Das Promi-Paar schläft jede Nacht in einem anderen Hotel, wird dafür bezahlt, sich auf Partys blicken zu lassen und vervielfacht mit immer neuen Posts seine Follower: "Manchmal, wenn es richtig gut lief, hatte ich das Gefühl, ich würde das Internet bespielen wie ein DJ die Party", erzählt Colleen.
Niemand ist weiter entfernt als eine einzige Whatsapp-Nachricht
Wie ihr Online-Ruhm begann, womit die Ich-Erzählerin berühmt wurde – das lässt Natasha Stagg in ihrem Roman offen. Die Lücken füllen sich beim Lesen mit der Vermutung, dass sie Selfies macht, über ihr Partyleben und ihre Outfits bloggt, zur Influencerin wird. Doch obwohl das Internet eine zentrale Rolle in diesem Roman spielt, kommen Online-Inhalte nicht vor: Natasha Stagg gibt weder Colleens Chatverläufe wieder, noch erfahren wir, was ihre Ich-Erzählerin eigentlich postet.
Im Fokus stehen Colleens Gefühle: zum Beispiel ihre Sehnsucht nach einer Einsamkeit, wie sie die Figuren in ihren Lieblingsbüchern aus den 50er-Jahren erlebt haben. Was bedeutet Alleinsein heute noch, wenn die Menschen, von denen man sich entfernen will, nie weiter weg sind als eine Whatsapp-Nachricht oder einen Klick auf ihre Social-Media-Profile? Wie funktionieren die Mechanismen der Eifersucht, wenn man sich mit der Rivalin anhand von Followerzahlen messen kann? Natasha Stagg wertet dabei nicht: Sie beschreibt weder die exzessiven Partys, noch das Wetteifern um mehr Likes als etwas Negatives. Ob Colleen ihr Glück darin finden kann – diese Einschätzung überlässt die Autorin ihren Lesern.