"Nathan der Weise" in München

Aufklärung in Zeiten von Pegida

Regisseur Christian Stückl während einer Premierenfeier von "Jedermann" bei den Salzburger Festspielen in 2012.
Regisseur Christian Stückl © picture alliance / dpa / Barbara Gindl
Von Christoph Leibold |
Der Ton zwischen Moslems und Christen wird ruppiger. Ein Grund mehr für den Theatermacher Christian Stückl, Lessings "Nathan der Weise" wieder auf die Bühne zu bringen. In den letzten Wochen hat der Stoff eine besondere Brisanz bekommen.
Weisheit – das hört sich nach göttlicher Eingebung an. Aber tatsächlich ist Nathan der Weise schon bei Lessing die Stimme einer sehr irdischen aufgeklärten Vernunft. Einer, der jedweden Wunderglauben anzweifelt.
Dass Nathan in Christian Stückls Inszenierung nun gänzlich zum Atheisten geworden wäre, der Glauben überhaupt ablehnt, wäre zu viel gesagt. Wohl aber spielt August Zirner Lessings weisen Titelhelden als maximal nachdenklichen Skeptiker, dem religiöse Alleinvertretungsansprüche zutiefst fremd sind. Die Verwerfungen zwischen den Religionen: Stefan Hageneiers Bühne setzt sie als riesige Bodenwelle ins Bild. Doch auch auf diesem schwierigen Terrain bleibt August Zirners Nathan ein Musterbeispiel an Beherrschung. Aggression begegnet er unaufgeregt, mit nüchternen Argumenten. Glaubt dabei aber nicht, die Weisheit für sich gepachtet zu haben. Sein regelmäßiges Stirnrunzeln scheint auch der eigenen Person zu gelten. Den eigenen Überzeugungen, die er permanent mit zu hinterfragen scheint.
Wenn dieser Nathan Sultan Saladin die berühmte Ringparabel erzählt, die im Kern davon handelt, dass keine Religion die Wahrheit für sich gepachtet hat, dann hat das so rein gar nichts Triumphales. Obwohl sich das ja bei Lessing ein wenig so liest, als würde hier der Weisheit letzter Schluss verkündet. Doch Zirner tastet sich eher durch Nathans Rede, sucht nach Worten, lässt sich beim Denken zusehen und in den Gedanken die Unsicherheit ablesen, ob er der eigenen Haltung über den Weg trauen kann.
Vernunft gegen Vorurteil
Nathans Gegenüber, dem Sultan Saladin von Pascal Fligg, ist das angestrengte Nachdenken beim Zuhören ebenso ins Gesicht geschrieben. Als Nathan ausgeredet hat, sieht es so aus, als hätte bei Saladin die Vernunft über das Vorurteil gesiegt. "Sei mein Freund", sagt Saladin zu Nathan. So steht's schon bei Lessing. In Christian Stückls Inszenierung breitet Nathan daraufhin die Arme aus, doch dann wehrt Saladin ab. Es ist einer der stärksten Momente des Abends, weil er davon erzählt, wie schwer es Menschen fällt, über ihren Schatten zu springen, wenn die Fronten erst einmal verhärtet sind. Selbst gemäßigten Menschen, wie Saladin, dem Stückl nicht wie im Original eine Schwester, Sittah, zur Seite gestellt hat, sondern einen Bruder, Melek, der einen radikalisierten Islam verkörpert.
Während Melek die Christen hassgeifernd verdammt, mahnt Saladin zur Differenzierung: Die Tempelherren seien schuld an der Aggression zwischen den Religionen, nicht die Christen allgemein. Melek könne doch nicht ein paar Extremisten zum Maßstab nehmen. Das mit den "Extremisten" steht zwar so nicht bei Lessing, die Unterscheidung zwischen Tempelherren im Besondern und Christen im Allgemeinen indes schon. Saladins Argument ist also bereits im Original ganz genau so angelegt, und kommt uns Zuschauern heute vertraut vor - wenn auch unter komplett verkehrten Vorzeichen. So wie Saladin betont, dass man ein paar radikaler Kreuzritter wegen nicht die ganze Christenheit verurteilen dürfe, sehen wir uns heute genötigt, zwischen der großen Mehrheit friedlicher Muslime und einer gewaltbereiten fanatischen Minderheit zu unterscheiden.
Dass der abendländischen Kultur solcherlei Extremismus fremd ist, wird also mit Blick auf die Kreuzzüge keiner behaupten können. Wer das verdrängt oder vergessen hat, wird mit Lessing dran erinnert. Und man muss nicht einmal so weit in die Vergangenheit zurückblicken. Wenn der Patriarch von Jerusalem bei Lessing sein barbarisches "Der Jude wird verbrannt!" ausstößt, so denkt man als heutiger Zuschauer unweigerlich Auschwitz mit. Auch das steckt also drin im "Nathan".
Ein hochaktuelles Stück
Und dennoch kann man - allem was das Stück verhandelt und was uns darin derzeit wieder bewegt zum Trotz - die berechtige Frage stellen, ob man das Stück heute noch - oder wieder – spielen muss? Wer hat dieses Plädoyer für ein friedvolles Miteinander noch nötig? Rennt Stückl mit Lessings Toleranz-Ideal bei den allermeisten Theaterzuschauer nicht sperrangelweit offene Türen ein? Islamisten, die diese Common Sense nicht teilen, sitzen ja aller Wahrscheinlichkeit nicht im Publikum. Und auch keine Pegida-Anhänger. Andererseits: Pegida marschiert. Vielleicht ist gerade angesichts dieser Realität die Zeit gekommen, da das eigentlich Selbstverständliche wieder verstärkt betont werden muss; weil es eben doch eine wachsende Zahl von Menschen gibt, denen gesagt werden muss, dass zwischen dem Islam und Islamisten zu unterscheiden ist. Und weil es angesichts dessen angebracht scheint, dass sich die Mitte der Gesellschaft - auch im Theater - der Werte versichert, die an ihren Rändern ausgehöhlt werden.
Christian Stückl hat Lessings utopischen Schluss, da sich Juden, Christen und Muslime in die Arme fallen, gestrichen. Nathan steht bei ihm am Ende ganz alleine da. So lässt sich die Inszenierung auch als eine Art Mahnung begreifen, als ein "Wehret den Anfängen" - dass es nie soweit kommen möge, dass aus gesellschaftlichen Übereinkünften Minderheitenpositionen werden.
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