"Deutscher ist, wer einen deutschen Pass hat"
Wann ist man eigentlich deutsch? Das wurde in einer neuen Studie untersucht. Bei den meisten sei als Kriterium die deutsche Sprache und die Staatsangehörigkeit genannt worden, sagt Naika Foroutan vom Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung.
Nicole Dittmer: Es geht ums Deutsche. Was ist für dich typisch deutsch?
Julius Stucke: Ist jetzt nicht positiv, aber Pünktlichkeit, Bürokratie und Humorlosigkeit.
Dittmer: Und genau das ist der Grund, warum ich im Ausland immer so glücklich war, wenn irgendein Einheimischer zu mir gesagt hat: Du bist überhaupt nicht typisch deutsch! Wir haben nämlich auch noch den Ruf, überhaupt nicht viel zu reden, bisweilen sehr distanziert zu sein und überhaupt nicht gerne zu lachen!
Stucke: Gut, aber dauerlachend und distanzlos und Plaudertasche, das wäre als Gegenstück ja auch nicht unbedingt ein positives Bild.
Dittmer: Die Wahrheit liegt bekanntlich irgendwo in der Mitte!
Stucke: Das Bild der anderen von uns ist nach meiner Erfahrung jedenfalls ziemlich fest verankert, aber Fremd- und Selbstwahrnehmung sind ja auch meist so zwei Paar Schuhe. Wie wir uns selbst definieren, das zeigt die Studie "Deutschland postmigrantisch" vom Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung, die heute vorgestellt wurde. Und da geht es vor allem darum, wie Deutsche ihre eigene nationale Identität definieren.
Stucke: Und darüber sprechen wir mit der stellvertretenden Direktorin des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung Naika Foroutan. Schönen guten Tag!
Naika Foroutan: Schönen guten Tag!
Stucke: Was ist denn für Sie typisch deutsch?
Foroutan: Oh, das können Sie mich jetzt nicht fragen, nachdem ich eineinhalb Jahre lang geforscht habe, wie das Selbstbild der Nation ist, glaube ich, habe ich dafür die Distanz verloren und würde sehr ähnlich zu allen anderen antworten. Wir haben die Menschen nach ihren Narrationen des Deutschseins – so haben wir es genannt – befragt und haben dort historische Ereignisse, emotionale Verbundenheit, aber auch Normen, Werte oder Eigenschaften gefragt. Und Pünktlichkeit wurde tatsächlich relativ oft genannt, haben Sie eben schon gut angeschnitten!
Stucke: Vielleicht können Sie es trotzdem noch ein bisschen konkreter machen, weil, "die Narration des Deutschseins", da wüsste ich jetzt nicht, was ich antworten sollte. Wie konkret haben Sie gefragt?
Mauerfall als verbindendes Ereigns
Foroutan: Wir haben zum Beispiel gefragt, welches historische Ereignis für den Befragten am Telefon Deutschland am besten beschreiben würde, und haben dabei festgestellt, dass über 50 Prozent die Wiedervereinigung oder die Wende oder den Mauerfall nennen, also ein Ereignis rund um diesen wichtigen historischen Zusammenhang.
Und ich muss dazu sagen, wir haben befragt bis April 2014, das heißt vor dem 25-jährigen Bestehen, es war also nicht so, dass die Wahrnehmung der Bevölkerung schon von diesem ganzen 25-jährigen Mauerfall gerahmt war. Insofern war dieses eindeutige Bekenntnis zum Mauerfall als dem Kernkriterium, was man historisch mit Deutschland verbindet, für uns tatsächlich überraschend.
Wir haben nur 15 Prozent der Befragten gehabt, die ein Ereignis rund um den Nationalsozialismus oder den Zweiten Weltkrieg genannt haben, obwohl wir seit Langem immer wieder darüber nachdenken, dass Deutschland keine positive Identität definieren würde, weil es doch sehr stark in einem negativen Selbstbild verfangen sei. Das können wir empirisch jetzt so nicht aufrechterhalten.
Dittmer: Aber kommen wir noch mal auf die eigentlichen Eigenschaften! Also, was gehört für die Menschen zum Deutschsein unbedingt dazu?
"Sehr offene Kriterien für ein modernes Staatsbürgerschaftsrecht"
Foroutan: Die Überraschung war, nachdem doch sehr offen dazu Bezug genommen wurde auf die Frage "Deutscher ist, wer ... ", wurde zu einem sehr, sehr hohen Bestandteil, also fast zu 100 Prozent, knapp 98 Prozent haben geantwortet, wer die deutsche Sprache spricht, und knapp 80 Prozent haben gesagt, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Also sehr offene Kriterien für ein modernes Staatsbürgerschaftsrecht. Das wurde am häufigsten genannt.
Gleichzeitig haben wir aber auch festgestellt, dass bei 40 Prozent der Gesellschaft – und das ist keine geringe Zahl, also, wenn man es ein bisschen weiter überinterpretiert, könnte man auch noch sagen, knapp bei jedem Zweiten – ist es präsent, diese Antwort auf das Deutschsein noch sehr stark mit Vorfahren zu verbinden. Also, Deutscher ist, wer deutsche Vorfahren hat. Interessant ist auch, Deutscher ist nur, wer akzentfrei Deutsch spricht.
Und was für uns, für die Weiterforschung sehr wichtig war: Personen, die ein Kopftuch haben, wurden als nicht deutsch wahrgenommen. 37 Prozent sagten, wer ein Kopftuch trage, könne nicht deutsch sein. Das heißt, damit geht auch noch mal eine starke Exklusion einher.
Stucke: Das klingt jetzt aber, finde ich zumindest, nach dem, was mir am Anfang auch eingefallen ist, nämlich nach Bürokratie. Also, es geht um Staatsangehörigkeit, es geht um Pass und es geht um so Äußerlichkeiten wie: "Trägt jemand ein Kopftuch oder nicht?". Sind wir also doch irgendwie relativ eingeschränkt in unserer Beschreibung, wer ist deutsch und wer gehört dazu?
Foroutan: Also, die Fragestellung, wie sie eigentlich von Rechts wegen beantwortet ist – Deutscher ist, wer einen deutschen Pass hat –, ist etwas, was in modernen Demokratien die Offenheit zeigen soll für Einwanderungsnationen, die sich wandeln. Und wir wollten wissen, ob dieses Bewusstsein auch kognitiv präsent ist, ob die Menschen wissen, dass das eigentlich das Kernkriterium ist. Und das wurde eindeutig positiv belegt.
Wie gesagt, auf der einen Seite ist dieses kognitive Bekenntnis dazu: Ja, Deutscher ist, wer die deutsche Staatsangehörigkeit hat. Auf der anderen Seite eben doch diese hohen 40 Prozent Zustimmung zu: Eigentlich müsste man doch noch deutsche Vorfahren haben.
Aber wir haben auch nach Eigenschaften gefragt und dabei haben wir festgestellt, dass – für uns überraschend, auch das haben wir nicht erwartet –, wir waren nach den ersten Positivbezügen auf sehr viel mehr Fantasie eingestellt und haben dort doch immer noch sehr stark Sekundärtugenden gehört, Pünktlichkeit, Fleiß, Ordnungsliebe, aber auch immer wieder Argumente rund um Demokratie, soziale Nähe, Toleranz. Das heißt, es gibt eine Ambivalenz im Deutschland-Bild.
Dittmer: Welche Schlüsse ziehen Sie denn nun aus diesen Ergebnissen mit Blick auf die deutsche Integrationspolitik?
Ähnliche Aussagen bei Deutschen mit Migrationshintergrund
Foroutan: Wir haben festgestellt – und das war auch eine Erkenntnis, die wir nach draußen unbedingt kommunizieren wollten –, dass Deutsche mit Migrationshintergrund zu ähnlich hohen Aussagen kommen in ihren Deutschland-Bezügen. Das heißt, auch sie sagen zu 80 Prozent, ich liebe Deutschland, und zu knapp 70 Prozent, dass es für sie wichtig ist, sich als Deutsche fühlen zu können.
Und das, was auch wichtig ist: Auch in dieser Gruppe ist ungefähr 50 Prozent der Bevölkerung, egal ob mit oder ohne Migrationshintergrund, die sagen, es ist für mich nicht wichtig, als Deutscher gesehen zu werden. Das heißt, da ist immer noch dieser Bruch.
Wir sagen, es gibt starke nationale Bezugspunkte und es wird offener verhandelt, 50 Prozent sagen, es ist mir nicht so wichtig, ob ich als solcher gesehen werde, wichtiger sind demokratische Grundwerte; die anderen 50 Prozent, für die der nationale Bezugspunkt stärker ist, haben wir vertiefend untersucht und haben festgestellt, dass es dort sehr viel stärkere Exklusionsmomente und Bereitschaften gibt, Minderheiten abzuwerten, und zwar speziell Muslime in Deutschland als die größte religiöse Minderheit, über die wir sehr oft sprechen.
Stucke: Sagt die stellvertretende Direktorin des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung Dr. Naika Foroutan über ihre Studie "Deutschland postmigrantisch". Vielen Dank für das Gespräch!
Foroutan: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.