Wald im Nationalpark Harz

Totes Holz als Politikum

09:15 Minuten
Das Foto zeigt große Flächen abgestorbenen Waldes im Harz bei Schierke in Sachsen-Anhalt.
Rund 20.000 Hektar Fichtenwald sind im Landkreis Harz – hier bei Schierke – abgestorben. Befördert das Totholz Brände? © picture alliance / imageBROKER / Siegfried Kuttig
Von Niklas Ottersback |
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War der Harz einmal bedeckt mit grünem Wald, sind heute im Nationalpark im Schnitt vier von fünf Bäumen tot. Die Hauptursachen: Klimawandel, Trockenheit und der Borkenkäfer. Um das Totholz gibt es Streit: Ist es gefährlich, es liegen zu lassen?
Im Sommer sind jedes Jahr Hunderttausende im Harz unterwegs – so auch in diesem Jahr. Viele wollen auf den Brocken – unberührte Natur genießen. Aber dort hat man derzeit eher ein apokalyptisches Bild vor Augen: Der ehemals kühle Fichtenwald ist heute eine weitgehend abgestorbene Monokultur, braun und kahl. Im Schnitt sind im Nationalpark Harz vier von fünf Bäumen tot.
Stürme, Trockenheit und die Borkenkäfer: Der Wald im Harz hat in den letzten Jahren gleich mehrere Katastrophen erlebt. Außerdem gab es Brände. Die Folge: Rund 20.000 Hektar Fichtenwald sind im Landkreis Harz abgestorben – ein Großteil davon im Nationalpark Harz, der sich über die Bundesländer Niedersachsen und Sachsen-Anhalt erstreckt.
Die Brockenbahn zieht ihre Kreise den 1100 Meter hohen Berg hoch. Angezogen von einer 700 PS starken Dampflok. Früher habe man sie am Berg kaum sehen können, weil der dunkle Fichtenwald die Sicht versperrt habe. Die Zeiten sind vorbei, sagt Ranger Tino Schober. Er bietet mit seinen Kolleginnen und Kollegen Totholz-Wanderungen im Nationalpark an.

Nicht vorbereitet auf den Klimawandel

„Der dunkle Fichtenwald hatte natürlich auch ein ganz anderes Waldinnenklima“, erklärt der 60-Jährige auf einem Wanderweg oberhalb von Schierke. „Das Waldinnenklima war sehr kalt hier am Brocken.“ Das habe sich „durch diese Temperaturerhöhung, die wir ja alle spüren“, verändert. Das sei für den Borkenkäfer „ein gefundenes Fressen“.
Die Fichtenmonokultur im Harz ist menschengemacht und nicht gut vorbereitet auf den Klimawandel. Nadelhölzer wachsen schnell – eine gute Sache für die Holzwirtschaft. Aber die Fichte braucht viel Wasser und kühle Temperaturen.
Doch Ranger Tino Schober sagt, es wachse neuer Wald heran. Man müsse nur genau hinschauen. Und tatsächlich: Auf dem toten, moosbewachsenen Stamm einer Fichte wächst ein zartes Bäumchen – eine junge Fichte. Wenn neuer Wald auf altem Holz wächst, nenne man das „Kaderverjüngung“, erklärt Schober. Die Fichte wachse aber nun im Mischbestand statt in Monokultur. So sind etwa Birken, früher als Unkraut des Waldes gesehen, eine Baumart, die nach dem Fichtensterben den Wald neubegründet.

CDU fordert: Raus mit dem Totholz!

Das Totholz ist im Harz inzwischen ein Politikum. Wo Totholz liegt, kommen Löschtrupps schwer voran. Im Harz ist mit seinen Steilhängen und verwinkelten Tälern jedes Feuer eine Herausforderung für die Feuerwehr. Und: In diesem Jahr gab es trockenheitsbedingt schon ungewöhnlich viele Waldbrände.
Zahlreiche abgestorbene Baumstämme ragen vor dem Betrachter in den blauen Himmel. Am Boden liegt totes Holz und es wächst eine Pflanze mit rosa Blüten.
Muss das tote Holz raus aus dem Nationalpark Harz – oder ist es besser, es liegen zu lassen? Dazu gehen die Meinungen auseinander.© Deutschlandradio / Niklas Ottersbach
Daher steht für die seit 20 Jahren in Sachsen-Anhalt regierende CDU fest: Die toten Bäume müssten großflächig aus dem Nationalpark verschwinden. Denn neben der Behinderung der Feuerwehr sei jeder Baumstamm auch Nahrung für das Feuer, so Olaf Feuerborn, forstpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion in Magdeburg.
Feuerborn macht neben dem Klimawandel auch die ehemalige grüne Landes-Forstministerin Dalbert für das viele Totholz im Nationalpark Harz verantwortlich. Sie und der damalige Nationalparkleiter hätten zu wenig gegengesteuert.

Forscher mahnt zur Besonnenheit

Forstwissenschaftler Michael Müller hält den Vorschlag, Totholz großflächig aus einem Nationalpark zu entfernen, für nicht machbar und auch nicht sinnvoll. Zumal die Brände im Harz insgesamt eher klein ausfallen. Der Professor für Waldschutz an der TU Dresden forscht seit zwei Jahren zur Frage, welche Rolle Totholz für Waldbrände spielt.
Seine Studie soll im Herbst fertig sein. Man wisse nicht, wo es das nächste Mal brennt, gibt er zu bedenken. „Man beräumt dann eben 99 Prozent der Fläche völlig umsonst, weil es da niemals brennen würde.“
Doch der politische Handlungsdruck nach dem letzten Waldbrand war groß. Der Kompromiss zwischen Landesregierung, Nationalpark und Feuerwehren: Das Totholz soll zwar nicht beräumt werden, aber es sollen Brandschneisen für die Löschtrupps geschlagen werden.

Beobachten und daraus lernen

Die einen wollen im Nationalpark eingreifen: Pflanzenschutzmittel gegen Borkenkäfer, Totholzberäumung, mehr Aufforstung. Michael Müller, der Forstwissenschaftler von der TU Dresden sagt: Wir sollten im Nationalpark die Finger davon lassen. Auch wenn das bedeute, dass aus der toten Fichtenmonokultur ein neuer Wald entsteht, der wieder von der Fichte geprägt sein wird.
Die Parole: Beobachten, was passiert. „Wir dürfen nicht beurteilen – ob uns das gefällt oder nicht. Wir haben entschlossen, es nicht zu beurteilen. Wir haben nur beschlossen, daraus zu lernen.“ Wenn man daraus lerne, dass man im Wirtschaftswald eingreifen muss, um einen Mischwald zu bekommen, weil das unter Naturbedingungen nicht von selbst passiert, dann sei das doch eine tolle Erkenntnis. „Dazu ist doch ein Nationalpark da aus meiner Sicht.“

Neuer Wald wächst schnell

Nationalpark-Ranger Tino Schober ist zuversichtlich, dass die Sicht im Harz schon bald wieder schlechter wird – und das sei ein gutes Zeichen. Er deutet auf die Brockenbahn und sagt: In vier Jahren sei der Zug nicht mehr zu sehen. „Das geht so schnell.“
Fichten, Birken und Ebereschen wachsen in 10 bis 15 Jahren an die fünf Meter hoch. Bei Rotbuchen kann es bis zu 40 Jahre dauern, bis sie so groß sind.
Nach knapp zwei Stunden Totholzwanderung im Nationalpark Harz blickt Besucherin Katrin aus Leipzig etwas hoffnungsvoller auf den Wald als zu Beginn der Tour: „Für mich war ein Aha-Erlebnis, dass das Totholz bewirkt, dass das Rotwild nicht an die neuen Bäume herankommt.“ Es sei gut, den Wandel, der sichtbar sei, abzuwarten und auszuhalten, sagt sie.

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