Nationalpark Kellerwald-Edersee

Wie der Klimawandel den Welterbe-Buchen zu schaffen macht

15:21 Minuten
Alte Hutebuche (Fagus sylvatica) im Naturpark Kellerwald-Edersee in Hessen.
Bis zu 300 Jahre sind die Buchen alt, die im hessischen Nationalpark Kellerwald-Edersee stehen. Doch wie lange noch? © imago / imagebroker / J.Pfeiffer
Von Ludger Fittkau |
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Bei seiner Errichtung war der Nationalpark Kellerwald-Edersee in Nordhessen sehr umstritten. Heute gehört er teilweise zum Unesco-Welterbe, es kommen viele Touristen. Doch steigende Temperaturen und zunehmende Trockenheit setzen Bäumen und Tieren zu.
Hessen ist eins der Bundesländer in Deutschland mit dem höchsten Waldanteil und hat deshalb einen Nationalpark: den Nationalpark Kellerwald-Edersee, der rund 6.000 Hektar groß ist. Sein Buchenwaldgebiet gehört seit 2011 zum Unesco-Weltkulturerbe. Doch der Klimawandel macht den Buchen sehr zu schaffen, deshalb kann es sein, dass in Zukunft vor allem Eichen das Bild im Kellerwald prägen werden.
Markus Daume ist seit 18 Jahren "Ranger" im nordhessischen Nationalpark Kellerwald. Er bringt Wandergruppen zu den Brunftplätzen der Hirsche oder nimmt sie mit zur Pilzbestimmung. Kinder animiert er gerne dazu, im Wald eine Geräuschekarte zu malen. Damit sollen sie lernen, die einzelnen Tierrufe und andere Töne im hessischen Urwald genau zu unterscheiden.
Auf einer Fläche von rund 11.000 Fußballfeldern wird hier die Natur sich selbst überlassen, der Mensch greift nicht mehr ein, die Wege sind längst wieder zugewachsen. Das Kerngebiet des Nationalparks dürfe nur noch für Forschungszwecke betreten werden, betont Daume.
Der Landschaftsökologe Manuel Schweiger ist seit Anfang September der neue Leiter des Nationalparks Kellerwald. "Was wirklich besonders beeindruckend ist hier im Nationalpark, sind diese alten Wälder. Weil, das ist wirklich etwas, was es so in Deutschland oder Europa noch ganz selten gibt", schildert Schweiger die ersten Eindrücke, die er im Urwald mit 300 Jahre alten Buchen und mit bis zu 1000-jährigen Eichen nur ein paar Kilometer südlich der Edertalsperre gewonnen hat. Auch die echten Urwälder an den Hängen seien "wirklich einmalig". Aber das gehe auch mit einer sehr, sehr großen Verantwortung einher, "diese ganz besonderen Wälder zu erhalten".
Ranger Markus Daume (links) und Manuel Schweiger, der Leiter des Nationalparks Kellerwald-Edersee
Ranger Markus Daume (links) und Manuel Schweiger, der Leiter des Nationalparks Kellerwald-Edersee© Deutschlandradio / Ludger Fittkau
Während die Eichen mit dem Klimawandel bisher vergleichsweise gut zurechtkommen, geht es für die Jahrhunderte alten Buchen wohl zu schnell mit dem Temperaturanstieg in der Atmosphäre und mit der Trockenheit in den Böden. Das Unesco-Weltnaturerbe am Edersee ist bedroht, auch wenn es dem Mischwald im Nationalpark aktuell noch vergleichsweise besser geht als vor allem den Fichtenplantagen in den benachbarten Mittelgebirgswäldern des Sauerlandes oder des Weserberglandes. Mit dem Klimawandel sterben vor allem außerhalb des Schutzgebietes bereits viele Tier- und Pflanzenarten, so Nationalparkchef Manuel Schweiger. Im Schutzgebiet sei das Artenspektrum noch relativ intakt.
"Aber die Ausbreitung, wenn sich das Klima ändert, in andere Lebensräume, ist halt dadurch deutlich erschwert, dass es weniger passende Lebensräume außerhalb eines solchen Schutzgebietes gibt." Das globale Artensterben sei noch viel dramatischer als der Klimawandel an sich. Sie hätten die verantwortungsvolle Aufgabe, "wenigstens diesen Artenschatz, den wir hier im Schutzgebiet haben, wirklich auch zu bewahren".

Breite Ablehnung der Öffentlichkeit

Ortswechsel. Ein Dorf am Rande des Urwalds. Sie nennt sich die "Nationalparkgemeinde" – die Gemeinde Edertal in Nordhessen, 6.200 Einwohner, 13 Ortsteile. Das Gemeindehaus, in dem der parteilose Bürgermeister Klaus Gier sein Büro hat, steht in Giflitz. Das Dorf liegt nur rund zehn Kilometer unterhalb der Sperrmauer der Edertalsperre. Andere Ortsteile von Edertal liegen direkt am Ufer des Edersees, des flächenmäßig zweitgrößten deutschen Stausees.
Klaus Gier lebt schon seit seiner Kindheit in der Region. Er kann sich gut daran erinnern, dass die Idee, den ausgedehnten "Kellerwald" südlich des Ederstausees zum ersten hessischen Nationalpark zu erklären, vor rund drei Jahrzehnten noch sehr umstritten war.
"Es gab eine breite Ablehnung der Öffentlichkeit, besonders in der Gemeinde Edertal, die große Flächen des Nationalparks ausmachen." Letztendlich habe sich dann damals die hessische Landesregierung entschlossen, den Nationalpark auszuweisen. "Es hat sich viel getan. Es gab immer auch wieder mal Versammlungen. Es gab natürlich Ängste, gerade was Wegenutzung angeht, die Nutzung des Waldes."
Vor allem private Waldbesitzer und die Jagdgenossenschaften äußerten Vorbehalte – manchmal gibt es auch bis heute Meinungsverschiedenheiten, etwa wenn es um die Jagd am Rande des Urwaldes geht.

Sorge vor größeren Verkehrsproblemen

Auch Diplom-Biologe Achim Frede erinnert sich: "Ja, das war eine ziemlich heiße Zeit. Nationalpark gab es ja im Hessen noch keinen. Und grundsätzlich fühlen sich Menschen dann, wenn Wildnis kommen soll, eingeschränkt in ihrer Nutzungsfähigkeit und Landwirtschaft, Forstwirtschaft, sonstiges."
Frede gehörte zu den sieben jungen Naturschützenden, die sich erstmals im Wendejahr 1989 trafen, um zu überlegen, wie man die alten Buchenwälder am Edersee schützen und erhalten könne. Die Buchen befanden sich damals im sogenannten "Gatter", einst ein Jagdrevier der Grafen und Fürsten zu Waldeck. Seit 1946 befindet sich das Areal im Staatsbesitz. Achim Frede erinnert sich an den politischen Gegenwind, den es damals in der Region gab, als sie ihre Urwald-Pläne veröffentlichten:
"Und in der Region hier war das auch etwas ganz Neues. Der Streit ging heftig durch die Familien, durch die Region, durch die Parteien. Also: Es war eine ziemlich revolutionäre Idee, die wir ja erstreiten mussten."
Alte Buchen im Naturpark Kellerwald-Edersee
Alte Buchen im Naturpark Kellerwald-Edersee© picture alliance / Chromorange / Dieter Moebus
Doch anders als in den Anfängen vor drei Jahrzehnten sei der Nationalpark Kellerwald-Edersee heute in der Region breit akzeptiert, versichert Klaus Gier, der Bürgermeister von Edertal. Auch wenn die Sorgen nicht ganz verschwunden sind, der Park könnte neben den Edersee-Touristen vor allem viele Wanderer in die Region locken – und damit die ohnehin vorhandenen Verkehrsprobleme der Gemeinden an der Eder noch vergrößern:
"Dass es viele Touristen gibt, die kommen, das ist nicht abwegig. Aber letztendlich sind wir immer schon gut bestückt, was Urlauber am Edersee angeht. Also das kann, glaube ich, nicht unbedingt angeführt werden", so Gier.

Bahnanschluss gewünscht

Was sich sowohl die Nationalpark-Leute als auch der Bürgermeister der Gemeinde Edertal wünschen: der nordhessische Urwald sollte noch besser mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sein als bisher. Immerhin: Auf der Südwest-Seite des Kellerwaldes ist vor einigen Jahren die lange still gelegte Bahnstrecke von Korbach nicht weit von der Grenze zu Nordrhein-Westfalen Richtung Frankenberg und Marburg in Mittelhessen wieder in Betrieb genommen worden. Damit ist der Nationalpark zumindest auf einer Seite wieder mit der Bahn zu erreichen. Doch gerade in der Nationalparkgemeinde Edertal fehlt die Bahnverbindung, obwohl das Gemeindehaus an der Bahnhofsstraße liegt.
Bürgermeister Klaus Gier erklärt: "Den Bahnhof selber gibt es nicht mehr. Der ist leider auch schon vor einigen Jahren stillgelegt worden. Wir haben ja diese Strecke von der Kreisstadt Korbach in Richtung Fritzlar gehabt. Die ist stillgelegt worden, zum Teil ist daraus jetzt eine Radstrecke geworden. Es ist auch sehr genutzt, sehr beliebt. Wir sind gerade dabei zu prüfen, ob es da Möglichkeiten gibt, Teilstrecken zu reaktivieren. Es gibt auch einen Antrag sogar in Richtung Sperrmauer."
Klaus Gier meint die Sperrmauer der Edertalsperre. Ein Bahnanschluss könnte gerade an sonnigen Wochenenden den enormen Autoverkehr Richtung Stausee reduzieren helfen, der sich dann auch mitten durch einige Ortsteile von Edertal schiebt:
"Ob das realistisch und machbar ist, das wird sich zeigen, aber man wird in jede Richtung denken müssen. Bei Klimaschutz aber auch Beeinträchtigungen der Anwohner – das sind schon Themen, die wir bespielen müssen."

In der Forstwirtschaft bis auf 120 Jahre denken

Doch das wichtigste Thema, dem sich die Akteure am und im Nationalpark stellen müssen, ist der Klimawandel. Der Nationalpark könnte dabei auch zu einer Genressource für die umliegenden Wälder der Mittelgebirge werden, in denen die Fichtenplantagen absterben. Aber einzelne, offenbar besonders klimaresistente Fichtengruppen überleben im Urwald. Ihr Samen könnte auch für Wiederaufforstungsprojekte außerhalb des Parks interessant sein, so Ranger Markus Daume:
"Unser Baumarkt, der Holzmarkt verlangt Fichte. Nun ist der Fichtenwald in Deutschland, wenn man nicht gerade im Gebirge ist, schlecht. Was macht man als Ersatz für die Fichte? Da gibt es kaum technische Lösungen, um die Fichte zu ersetzen."

"Wir haben schon die Hälfte unserer Wälder verloren", sagt Greenpeace-Waldexperte Christoph Thies. Immer mehr Holz wird zur Energiegewinnung verbrannt, Wegwerfverpackungen aus Papier ersetzen solche aus Plastik: Für das Klima sei das nicht gut, warnt Thies. Er fordert, mehr Waldgebiete vor Holzeinschlag zu schützen.

Die Nationalpark-Leute wollen und können die Förster der Region nicht belehren, was sie mit den Flächen machen sollen, auf denen die Fichten vertrocknen:
"Das ist nicht so einfach. Seit 2018 im Sommer diskutiert die Forstwirtschaft: Was können wir jetzt für Bäume pflanzen? Da kommt dann so etwas wie türkische Hasel. Da kommen Douglasien ins Gespräch." Es sei natürlich anders als in der Landwirtschaft. "Dort kann man auf ein Jahr reagieren oder auf ein Dreivierteljahr mit Säen und Ernten." In der Forstwirtschaft müsse man auf 80 oder 120 Jahre bis zur Ernte denken. "Aber trotzdem sage ich jedem Förster, der zu uns kommt: Von unserem Wald können wir lernen. Es sterben Fichten, es werden auch die ersten Buchen krank und sterben ab."

Die heimischen Bäume studieren

Einen hoffnungsvollen Hinweis an die Förster haben der Ranger Markus Daume und der neue Nationalparkleiter Manuel Schweiger am Ende des Rundgangs im Nationalpark dann doch noch: Die Eiche scheint tatsächlich auch im Urwald einer der Bäume zu sein, der am besten mit dem Klimawandel klarkommt:
"Überall stehen immer wieder Eichen mit drinnen, und Eichen werden ja sehr alt. Wir haben hier Eichen, die können bis zu 1.000 Jahre alt werden. Und die werden auch so den einen oder anderen Klimawandel miterleben, sage ich mal. Und die alten Eichen, die hier schon stehen, haben schon das eine oder andere miterlebt in ihrer Lebensgeschichte."
Der Knorreichenstieg ist Teil des Wanderwegs Urwaldsteig Edersee im Nationalpark Kellerwald-Edersee in Hessen.
Der Knorreichenstieg ist Teil des Wanderwegs Urwaldsteig Edersee im Nationalpark Kellerwald-Edersee in Hessen.© picture alliance / dpa / Jochen Tack
Sein Begleiter ergänzt, das seien die ältesten Eichenwälder in Deutschland, 1.000 Jahre alt, vielleicht auch mehr. "Die haben schon Kalt- und Warmzeiten überlebt." Vor den beiden stünden die Bäume an einem fast senkrechten Südhang. "Ich schätze mal im Jahresdurchschnitt Temperaturunterschiede 60, 70 Grad, nur geschätzt jetzt von mir."
Die Empfehlung: Sich die heimischen Bäume anschauen, was die leisten könnten. Das sei in einem Nationalpark mitunter möglich. Aber die Förster seien die eigentlichen Experten für ihre Wälder.
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