Markus Roth: "Ihr wisst, wollt es aber nicht wissen". Verfolgung, Terror und Widerstand im Dritten Reich. 296 Seiten, 16,95 Euro, auch als ebook
Tim Schanetzky: "Kanonen statt Butter". Wirtschaft und Konsum im Dritten Reich. 272 Seiten, 16,95 Euro, auch als ebook
Beide C.H. Beck Verlag, München, 10. März 2015
Das Vorspiel zu Krieg und Vernichtung
Zwei Schüler des Jenaer Professors Norbert Frei analysieren zentrale Aspekte der Nazi-Herrschaft: Markus Roth beschreibt den Terror gegen die Juden und Tim Schanetzky untersucht die Wirtschaftspolitik des Dritten Reiches.
Das Grauen des Dritten Reiches erzählt der Historiker Markus Roth neu, lässt es so für uns Heutige plastisch werden. Er wird damit zum einen dem eigenen Anspruch gerecht, und zum anderen auch der neuen Reihe des Beck-Verlages: Die Deutschen und der Nationalsozialismus.
Roths Teil der Aufgabe ist es, die Entstehung und den Ausbau des nationalsozialistischen Verfolgungsapparates zu beschreiben, der mit der Schaffung des Reichssicherheitshauptamtes als einem der zwölf Hauptämter der SS 1939 seinen Abschluss fand. Und er widmet auch scheinbar kleinen Themen des Verfolgungsalltags seine Aufmerksamkeit.
"Die gesetzgeberischen Maßnahmen, aber auch der Alltag der Kinder an den Schulen, vor allem die alltäglichen Drangsalierungen im Unterricht und in den Pausen, machten den Kindern ihre Schulzeit zu einer leidvollen Erfahrung. Sie konnten kaum verstehen, warum sie nun nicht mehr dazugehören sollten, warum die Freunde sich abwandten, warum sie in der Schule gegängelt und zunehmend isoliert wurden."
Etwa 80.000 jüdische Kinder im schulpflichtigen Alter gab es damals in Deutschland. Ihr öffentliches Leben glich zunehmend einem nie endenden Spießrutenlauf. Wie wir heute wissen, war das nur das Vorspiel zu Tod und Vernichtung.
Aus den Generationen, die all dies selbst erlebt haben, lebt inzwischen fast niemand mehr. Der Gießener Historiker zitiert in seinem Buch eine Vielzahl von zeitgenössischen Stimmen, wobei seine lebendige Darstellung ausdrücklich auch die Perspektive der Opfer einschließt. Das macht das Erzählte sehr anschaulich. Dafür fehlt es ihm manchmal an analytischer Klarheit.
Außerdem ist kritisch anzumerken, dass er zwar die Verfolgung der Juden ausführlich schildert, doch eher wenig erfahren wir über die anderen Gruppen, die Teil des nationalsozialistischen Feindbilds waren: über die Verfolgung von Sozialdemokraten und Kommunisten, von Homosexuellen, Bibelforschern, Behinderten und Zigeunern.
Beispiellose Aufrüstung für den Krieg
Markus Roth ist ein Schüler des Herausgebers Norbert Frei ebenso wie Tim Schanetzky. Dessen Monografie allerdings über Wirtschaft und Konsum im Dritten Reich fällt konziser aus. Dem Ziel der Aufrüstung nach 1933 wurde alles andere untergeordnet. Es gelang, die Arbeitslosigkeit drastisch zu reduzieren, aber der Lebensstandard blieb für die deutsche Arbeiterschaft sehr bescheiden.
Im Durchschnitt konnte eine Arbeiterfamilie monatlich nur 80 Pfennige für Ferienreisen und Ausflüge zurücklegen. Dagegen stiegen die Rüstungsausgaben von 1933 bis 1938 um das 23-fache. Der Militäretat verschlang in diesen Jahren 50 Prozent des nationalen Haushalts. Keine andere moderne Volkswirtschaft ist jemals in diesem Ausmaß und diesem Tempo für den Krieg gerüstet worden.
Der Jenaer Historiker behandelt knapp und auf neuestem Stand der Forschung alle wesentlichen Themenbereiche: Versorgungskrisen, Konsumgüterbewirtschaftung, Arisierung, ständische Organisation des Wirtschaftslebens, Bedeutung der von der Wehrmacht besetzten Territorien.
Die Deutschen trugen die Hauptlast des Krieges, aber der Außenbeitrag aus den eroberten Gebieten betrug, gemessen am Sozialprodukt, etwa ein Viertel. Besonders deutlich wird dies beim Thema Zwangsarbeit.
Durch den Militärdienst waren dem deutschen Arbeitsmarkt 18 Millionen Menschen entzogen. Umgekehrt arbeiteten gegen Ende des Krieges etwa zwölf Millionen Ausländer zwangsweise in Deutschland und stellten dort ein Viertel aller Beschäftigten.
Was weniger bekannt ist: Im Ausland wurden noch viel mehr Zwangsarbeiter verpflichtet, allein in den besetzten Ostgebieten 22 Millionen. Die meisten von ihnen schufteten für die deutsche Rüstungsindustrie, was ein klarer Verstoß gegen das Kriegsvölkerrecht war.
"Die Deutschen und der Nationalsozialismus" heißt die neue Reihe des C.H. Beck-Verlages. Das signalisiert, dass diese Zeit, auch wenn der Abstand wächst, für uns Deutsche nach wie vor von zentraler Bedeutung ist. In diesem Sinne ist beiden Bänden weite Verbreitung zu wünschen.