"Rutherford Falls": 2 Staffeln mit insgesamt 18 Folgen.
Staffel 2 seit 27. Juni 2022 in der Mediathek von Wow (Sky).
Sitcom "Rutherford Falls"
Die Sitcom "Rutherford Falls" macht Lust auf mehr, sagt unser Kritiker. In Los Angeles feierten die Schauspieler die Premiere der zweiten Staffel. © Getty Images / Unique Nicole
Den weißen Mann vom Sockel stoßen
06:38 Minuten
"Rutherford Falls" ist eine gefällige, schwungvolle, optimistische Mainstream-Sitcom voll geistreicher, aber oft enttäuschend unpolitischer Figuren, sagt unser Kritiker. Dennoch wirke sie entspannt und einladend, weil offener Rassismus kaum vorkomme.
Sierra Teller Ornelas schreibt und produziert Comedy-Serien für das US-Mainstream-Publikum: "Happy Endings", "Superstore", "Brooklyn Nine-Nine". Doch erst jetzt, nach zehn Jahren in der Branche, ist sie nicht mehr die einzige indigene Stimme im "Writer's Room", dem Team, das für eine Serie gemeinsam Figuren und Drehbücher erarbeitet. Als Produzentin der Sitcom "Rutherford Falls" stellte sie einen Writer's Room zusammen, in dem "Native Americans" (US-amerikanische Ureinwohner) in der Überzahl sind.
Nur die eigenen Vorfahren im Blick
Leider dreht sich trotzdem lange alles um jene Sorte kindisch-ignoranten weißen Mann, dem bereits 50 frühere Sitcoms Platz, Bühne, Redezeit boten: Nathan Rutherford ist um die 40 Jahre alt und leitet das Rutherford-Museum in der Kleinstadt Rutherford Falls.
Wie seine Vorfahren vor fast 400 Jahren eine Siedlung gründeten, scheint dem jovialen, kinder- und fast freundeslosen Bastler, Spießer und Historien-Onkel das Imposanteste und Wichtigste auf der Welt. Nathans Schulfreundin Reagan wuchs im Reservat nebenan auf und führt heute das "Kulturzentrum" im Casino, einen freudlosen Raum, für den niemand Geld und Interesse hat.
Bronze-Statue "Big Larry" soll versetzt werden
Die Bronze-Statue "Big Larry" markiert die Stelle, an der Laurence Rutherford im Jahr 1638 Land kaufte, bei einem (wohl keinesfalls fairen) Handel mit den indigenen Minishonka. Oft rammen Autos versehentlich Big Larrys Sockel, die Statue soll versetzt werden.
Terry Thomas, Casinobesitzer und pragmatischer indigener Politiker, sieht ein gefundenes Fressen in Nathan, dem freundlichen, gefallsüchtigen und privilegierten Lokalpatrioten. Die Minishonka drängen auf Wiedergutmachung und Reparationen. "Big Larry" Rutherford, Nathan Rutherford und ein großer Konzern entfernterer Verwandter namens "Rutherford Inc." sollen fallen.
Indigene Figuren ganz anders feiern
"Eine ganze Serie bauen rund um den 'Anständigen Weißen Mann' im Zentrum, der einfach nur die Geschichte seiner Vorfahren liebt, und dann erwarten, dass ein indigenes Publikum voll mitgeht und besonders wichtig nimmt, auf welcher Route dieser Mann versteht, was schlimm ist an Kolonisierung, Kapitalismus und an rassistischen 'Blood Quantum'-Gesetzen? Das untergräbt fast wieder die Idee eines mehrheitlich indigenen Drehbuch-Teams", erklärt Kritiker Nick Martin.
Er glaubt, die Serie könnte indigene Figuren wie Reagan und Terry ganz anders feiern und als Mittelpunkt setzen, wäre Nathan Rutherfords verletzter Stolz nicht so langweilig zentral. Doch Nathans Darsteller Ed Helms ("The Office") ist der bekannteste Name im Team und der Ko-Produzent.
Dritter und einflussreichster Produzent der Serie ist Michael Schur, Schöpfer von Serien wie "Parks and Recreation" und "The Good Place". Die Idee, statt zwei gleich ungefähr zehn indigene Figuren zu zeigen, stammte dann erst von Sierra Teller Orneras, die zuletzt ins Boot geholt wurde.
Gefällige Mainstream-Sitcom
"Rutherford Falls" ist eine gefällige, schwungvolle, optimistische Mainstream-Sitcom voll geistreicher, aber oft enttäuschend unpolitischer Figuren. Die schwarze Bürgermeisterin spricht nicht über mögliche Reparationen nach der Sklaverei. Bobbie Yang, eine tolle nichtbinäre Figur, könnte viel radikaler, kämpferischer sein.
Nathan macht zwar Spaß als Onkel, der weiße Fragilität verstehen und eigentlich nur jedem gefallen will, doch er wirkt wie ein absurder, verlogen realitätsferner Sonderfall: Bei realen US-Debatten um historisch belastete Denkmäler wollen wohl selten freundliche, weiße Bastler und "People Pleaser" (Einschleimer) vor allem dazulernen.
Die Sitcom wirkt entspannt und einladend, weil offener Rassismus kaum vorkommt. Keine Figur steht für aggressivste "White Supremacy" (weiße Vorherrschaft). So lange sich US-TV mehr Mühe mit klingonischer Kultur gibt als mit indigener Kultur, ist "Rutherford Falls" nötig. Vor allem aber macht es Lust auf mehr. Auf Tieferes!