Putin bringt das Bündnis auf Trab
Die Nato-Staaten kehren bei ihrem Gipfeltreffen in Warschau zum Gründungsgedanken der Allianz zurück: kollektive Selbstverteidigung. Bei der Abschreckung Russlands an ihrer Ostflanke schaltet die Nato in den nächsthöheren Gang, kommentiert Annette Riedel.
Kaum etwas belebt eine Gruppe wirksamer als eine gemeinsame Aufgabe – besser noch: eine gemeinsame Bedrohung. In diesem Sinne ist die Nato seit ihrem letzten Gipfel vor zwei Jahren in Wales wieder zunehmend "alive and kicking", also springlebendig. Dafür, dass es ihr an gemeinsamen Aufgaben und Bedrohungsszenarien nicht gebricht, dafür sorgt Waldimir Putin. Der starke Mann im Kreml hat mit seinem am Bewahren bzw. Rückgewinnen von Einflusssphären orientierten Verhalten die Nato auf Trab gebracht. Und vor allem zurück zu ihrem Gründungsgedanken, dem der kollektiven Selbstverteidigung.
Wie groß die Bedrohung durch Russland für die Nato-Länder real auch immer sein mag – die Weichen zu mehr Abschreckung an der Ostflanke wurden schon vor zwei Jahren beim Nato-Gipfel in Wales gestellt. Auf dieser Schiene fährt man nach Warschau im nächsthöheren Gang weiter. Aber die Konfrontation mit Russland geht nicht in den Vollgas-Modus. Glücklicherweise. Ob die von der Stärke her eher symbolische Präsenz in Nato-Ländern, die ehemals dem Warschauer Pakt unter Führung der Sowjetunion angehörten, den Kreml, wäre er zu Übergriffen entschlossen, abhalten würden? Wohl kaum. Ob sie den Kreml ärgert? Natürlich.
Säbelrasseln und Soft Power
Wenn überhaupt, macht das Ganze nur Sinn, wenn sich das Reiz-Reaktions-Schema nicht so weit hochschraubt, dass am Ende die Handbremse in Sachen Säbelrasseln gelöst wird – von welcher Seite auch immer. Es gilt deshalb, der in Warschau inflationär bemühten Ankündigung tunlichst Taten folgen zu lassen, und mit Moskau gleichzeitig wieder stärker ins Gespräch zu kommen, im Sinne der Doppelstrategie von Abschreckung einerseits und Dialog andererseits.
In Warschau wurde zudem eine weitere Weiche offiziell gestellt: die vertiefte Kooperation zwischen der Nato und der EU. Jahrzehntelang, wie EU-Ratspräsident Tusk treffend sagte, zwar in einer Stadt, Brüssel, sitzend, aber auf zwei verschiedenen Planeten lebend. Die Zusammenarbeit zwischen Verteidigungsallianz und Friedensnobelpreisträger macht dann Sinn, wenn sich beide Partner auf das konzentrieren, was sie können: Militärisches hier – Soft Power dort. Weder auf das Eine noch auf das Andere kann man verzichten, wenn an einige der Ursachen für Flüchtlingsbewegungen und Terrorismus zu gehen ist. Größere Sicherheit in Herkunftsländern zu schaffen, lässt sich nur erreichen, wenn militärische Mittel entwicklungspolitische und jene zur Entwicklung von Zivilgesellschaften, sowie zu guter Regierungsführung einander ergänzen.
Was der Brexit für die Nato ändert
Die EU-Nato-Zusammenarbeit hat aber vor dem Hintergrund des Brexit noch einen anderen, ursprünglich nicht geplanten Aspekt. Der EU werden nach einem Austritt der Briten in ihren Reihen spürbar militärische Kompetenz, Mittel, Einsatzfähigkeit fehlen. Über die Zusammenarbeit zwischen EU und Nato im Mittelmeer, etwa künftig auch bei der Operation "Sophia" vor der libyschen Küste, könnte Nato-Land Großbritannien das einbringen, was das Nicht-Mehr-EU-Land Großbritannien der europäischen Sicherheits- und Verteidigungsfähigkeit entzieht.
Nach dem Brexit könnte zudem der europäische Pfeiler in der Nato eine deutliche Stärkung erfahren. Jene 22 EU-Länder, oder dann 21 Länder, die gleichzeitig Nato-Partner sind, könnten dafür stärker zusammenrücken. Denn es waren schon länger nicht mehr die USA sondern die Briten, die einem engeren sicherheits- und verteidigungspolitischen Zusammenrücken der EU-Länder skeptisch gegenüberstanden. US-Präsident Obama hat in Warschau laut und deutlich davon gesprochen, wie sehr ihm an einem einigen, starken Europa gelegen ist.
Jetzt gilt für die Nato aber erst mal, die Verabredungen von Warschau mit Leben zu erfüllen. Neue Kooperationen sind zu schmieden, auch im Kampf gegen den internationalen Terror. Alte Kooperationen, beispielsweise die mit Russland, dürfen darüber nicht unwiderruflich aufgegeben werden.
Ob das alles so gelingt? Beim nächsten Nato-Gipfel, 2017 in Brüssel, wissen wir mehr.