"Fiktiv, aber realistisch"
Personalabbau, Kürzungen, Auslandseinsätze: Ist die Nato überhaupt noch verteidigungsfähig? Ab dem 25. Oktober kann sie das zwei Wochen lang testen. Beim Nato-Großmanöver "Trident Juncture 18" in Norwegen, der größten Übung des Bündnisses seit dem Kalten Krieg.
45.000 Soldaten aus 31 Mitglieds- und Partnerländern, 150 Flugzeuge, 60 Schiffe, mehr als 10.000 Militärfahrzeuge – "Big is beautiful" mögen sich die Militärs der Nato beim Planen gedacht haben.
Aber die Dimension dieses Manövers sei nicht so ungewöhnlich, meint Deutschlandfunk-Kultur-Korrespondentin in Brüssel Bettina Klein, die mit nach Norwegen reist. Die Nato hat beschlossen, große Übungen alle drei Jahre abzuhalten, das letzte fand 2015 in Spanien, Italien und Portugal statt. Damals waren es bereits 35.000 Teilnehmer. Man wolle die Verteidigungsfähigkeit in größerem Maßstab trainieren, auch vor dem Hintergrund der Entwicklung in Russland.
Trotzdem sei die Tatsache, dass sich die Großmanöver der Militärbündnisse in diesem Herbst häufen – Russlands Großmanöver "Wostok" fand im September mit 300.000 Soldaten statt – nicht eine unmittelbare Reaktion auf eine angespannte internationale Lage wie etwa die Annexion der Krim durch Russland, so die Nato-Expertin. Die Planungen für dieses Nato-Manöver in Norwegen hätten einen viel längeren Vorlauf. Doch natürlich stehen sie jetzt – militärisch wie politisch – in dem aktuellen Sicherheitskontext und bewegen sich nicht in einem luftleeren Raum.
Ist die Nato noch verteidigungsfähig?
"Wäre die Nato überhaupt noch in der Lage, das Bündnis zu verteidigen?" – Das ist die Frage, die die Vertreter des Atlantischen Bündnisses in Brüssel bewegt. Denn man hat – auch vor dem Hintergrund der sich entspannenden internationalen Lage nach dem Kalten Krieg – viel Personal abgebaut, Kommandostrukturen verkleinert, hat teilweise nicht mehr in die Verteidigung eingezahlt und sich auf Auslandseinsätze konzentriert, Beispiel Afghanistan. Dazu kommt: Die Nato hat eine Osterweiterung vollzogen, die erhebliche – auch logistische – Probleme mit sich bringt.
"Fiktiv, aber realistisch" nennt Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg das Großmanöver "Trident Juncture 18". Kein Widerspruch, glaubt unsere Korrespondentin: Auf der einen Seite gebe es dabei zwar kein konkretes Angriffsszenario, das durchgespielt werde. Auf der anderen Seite müsse die Übung – um effektiv zu sein – realistischen Anforderungen entsprechen.
Auch ein Cyberangriff kann jetzt den Bündnisfall auslösen
In den zwei Wochen in Norwegen soll – anders als bei vorherigen Übungen – der Bündnisfall trainiert werden, das "Artikel 5 Szenario": also der Angriff auf ein Mitgliedsland, der als ein Angriff auf alle angesehen wird. Das gab es zum ersten Mal nach den Terroranschlägen des 11. September 2001. Neu dabei ist, dass heute auch ein Cyberangriff Artikel 5 auslösen kann.
Bei dem Trainieren des Bündnisfalls geht es vor allem um die Bedenken der baltischen Staaten und von Polen, die nach der russischen Krim-Annexion und dem Ukraine-Krieg Ähnliches befürchten und – im Unterschied zur Ukraine – durch den Beistand des Nato-Bündnisses geschützt sind.
Russland ist eingeladen, zu dem Manöver Beobachter zu schicken, und wird dies voraussichtlich auch tun.