"Natürlich ist es schöner ohne Safer Sex"

Judy Winter im Gespräch mit Leonie March |
Die Schauspielerin Judy Winter gibt den Medien eine Mitschuld an den wieder zunehmenden Aids-Infektionen in Deutschland. Die Krankheit werde durch die Medien verharmlost, sagte das Kuratoriumsmitglied der Berliner Aids-Hilfe.
Leonie March: Alle zwölf Sekunden infiziert sich ein Mensch mit dem HI-Virus, das die Immunschwächekrankheit Aids auslöst. 33 Millionen sind laut Weltgesundheitsorganisation betroffen, darunter rund 60.000 Deutsche. Wie die Aufklärung und der Zugang zu Medikamenten verbessert werden können, darüber haben Politiker, Wissenschaftler und Nichtregierungsorganisationen seit Montag auf der Welt-Aids-Konferenz in Mexico-Stadt beraten.

In Deutschland engagiert sich die Schauspielerin Judy Winter seit Jahren für Infizierte und Kranke. Als Kuratorin ist sie mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden. Ich habe sie gefragt, welche Bilanz der Welt-Aids-Konferenz sie zieht.

Judy Winter: Eine erschreckende. Also, natürlich hofft man und man denkt immer, mein Gott, da ist was Neues, oder da gibt es was Neues, oder, und es ist einfach, es ist so frustrierend oft, muss man sagen, dass man so viel tut und so viel möchte und so viel Kraft, und immer hört man nur immer von Neuinfektionen.

March: Nun war das ja die inzwischen 17. Welt-Aids-Konferenz. Welche Bedeutung haben diese Tagungen denn für den Kampf gegen die Krankheit überhaupt?

Winter: Ich glaube einfach, der Austausch zwischen den wirklichen Fachleuten. Und die tauschen ja wirklich aus ohne Konkurrenzgedanken. Also da will nicht einer besser sein als der andere, oder der will das, also das ist schon sehr fachbezogen und fantastisch, glaube ich.

March: Über 90 Prozent der HIV-Positiven lebt ja in den Entwicklungsländern, zwei Drittel auf dem afrikanischen Kontinent, doch auch hier in Deutschland ist die Infektionsrate ja im letzten Jahr wieder gestiegen. Liegt das daran, dass viele hierzulande HIV/Aids als Problem der Armen sehen?

Winter: Ich glaube mehr, dass es daran liegt, dass es durch die Medien verharmlost wird. Man sagt mal, ja, da gibt es eben Tabletten und das ist ähnlich wie bei Diabetikern, also die können ohne Insulin nicht leben, und das nimmt man dann eben per Tablette zu sich, oder bei Diabetes per Spritze, wenn es Jugenddiabetes ist, und dann kann man ein ganz normales Leben führen. Und das ist nicht ganz so der Fall.

March: Wird das denn jetzt nur von den Medien verharmlost, oder muss es da auch großangelegte Aufklärungskampagnen geben wie zum Beispiel in den 80ern und zu Beginn der 90er Jahre?

Winter: Ich würde sagen. Denn, ich meine, man denkt ja immer, das ist ja das Menschliche, auf der anderen Seite ist es ja auch gut. Kein Raucher wird sich vorstellen, dass es also ihn trifft mit dem Lungenkrebs oder so, oder mit dem was auch immer. Und ich habe selber vier Packungen geraucht am Tag und über Jahrzehnte, und ich habe mir das auch nicht vorgestellt. Also ich meine, man denkt ja immer, es betrifft alle anderen, nur einen selber nicht. Und genauso ist es dann auch mit dem Aids und mit dem Problem. Ich meine, es ist natürlich, lieber Gott, natürlich ist es schöner ohne Safer Sex, das ist keine Frage, aber es ist die einzige wirkliche Möglichkeit, sich gegen Aids zu schützen, ist ein Kondom. Und das muss man wissen. Und wenn man das dann verharmlost und sagt "Mein Gott, das ist doch alles nicht so schlimm" und "Dann nimmt man eben mal ein paar Pillen, morgens drei, mittags so oder so, oder alle elf auf einmal". Das ist dann schon wirklich nicht schön, und das ist dann auch wirklich kriminell.

March: Das heißt, in der Präventionsarbeit muss besonders betont werden, dass Aids trotz verfügbarer Medikamente noch immer nicht heilbar ist.

Winter: Ja natürlich. Und das, was ich auch immer sage, ich drücke das jetzt sehr, sehr naiv aus beziehungsweise so, also, dass es jeder begreift. Es gibt sechs, sieben verschiedene Aids-Viren. Und wenn jetzt ein Betroffener denkt, also er verliebt sich in einen anderen Betroffenen und sagt "Also, ich bin betroffen und der ist auch betroffen, brauchen wir keinen Safer Sex". Nein. Bitte, bitte, bitte nicht. Denn vielleicht hat der A und ich habe C und dann haben wir schon beide. Und wenn wir mit allen verfügbaren Viren befallen sind, ist es eine Frage von sechs bis acht Wochen.

March: In vielen Ländern ist HIV/Aids ja ein Tabuthema. Die Infizierten und Kranken werden stigmatisiert. Auch das war jetzt ein Thema auf der Welt-Aids-Konferenz. Kämpfen Sie denn auch in Deutschland nach wie vor gegen Diskriminierung?

Winter: Na ja, natürlich. Also, ich meine, es ist ja immer noch so, dass man sagt, "Ja, kann man sich denn, ich meine bei Küssen, oder wenn ich jetzt aus derselben Tasse trinke oder aus dem Glas" oder so. Also, das ist schon, es wird immer und in jedem Land und nicht nur in Deutschland, es ist natürlich auch eine Intelligenzfrage, das ist klar, aber es wird in jedem Land erstmal verurteilt und dann sich informiert. Das ist nun mal so.

March: Diejenigen, die an Aids erkranken, brauchen ja intensive Pflege. Bekommen sie die in Deutschland auch?

Winter: Ja, ich glaube schon. Also, ich weiß es nicht. Ich hoffe, ich weiß nur, dass es jetzt in den Zentren, sprich Berlin oder auch Hannover, ich bin also auch Ehrenmitglied der Hannöverschen AIDS-Hilfe, die also sehr, sehr, sehr aktiv ist und sehr viel tut. Auf Tournee habe ich ja immer gesammelt für die jeweiligen, nach den Vorstellungen, für die jeweiligen Aids-Hilfen. Ob das Minden war oder Bremen, oder irgend so was. Die sind schon sehr aktiv. Aber natürlich traut sich ganz sicher einer, der auf dem Lande lebt, in Bayern oder was weiß ich, der traut sich dann schwer in die Münchner AIDS-Hilfe, nicht. Denn das, wenn das rauskommt, ist es ja schon grauenvoll.

March: Mit Blick auf die Änderungen in unserem Gesundheitssystem ist ja immer von einem Pflegenotstand zu lesen. Der betrifft die Aids-Kranken also nicht?

Winter: Ja natürlich. Selbstverständlich. Und natürlich gerade in den, also, mit der Gesundheitsreform werden gerade da auch Kürzungen vorgenommen. Vor allen Dingen in der Prävention, was natürlich auch fatale Folgen hat. Also, wir gehen ja auch in die Schulen, wir versuchen aufzuklären. Also, und wenn das alles gestrichen wird, dann kann man vieles, aber nur nicht helfen.

March: Das heißt, die Regierungen machen eindeutig zu wenig?

Winter: Vielleicht machen sie so viel, wie sie können. Ich kann das nicht beurteilen, ich bin da nicht, ich sitze nicht an der Kasse und bin alles andere als ein Mensch, der mit Geld umgehen kann, das habe ich noch nie gekonnt. Aber dann müsste man eben, wenn man solche Jobs hat, doch jemanden da sitzen haben, der ein bisschen mehr Überblick hat.

March: Nun sind Sie, Frau Winter, ja Schauspielerin. Sie haben die Gala "Künstler gegen Aids" gegründet. Wie wichtig ist denn das Engagement prominenter Personen?

Winter: Das, ja, wir haben, ich weiß nicht, ob ich es mit gegründet habe, aber ich bin auf jeden Fall seit vielen, vielen Jahren bin ich da Schirmherrin zusammen mit Klaus Wowereit. Ich glaube, dass es, also heute ist es, wenn wir diese Gala machen, es bewerben sich wirklich sehr, sehr viele. Und die machen mit und die möchten auch helfen und, also, da freuen wir uns jedes Jahr drüber, dass das Angebot also wirklich an auch namhaften Künstlern sehr, sehr groß ist, das muss ich sagen.

March: Die Schauspielerin Judy Winter war das. Sie engagiert sich seit Jahren für HIV-Positive und Aids-Kranke. Herzlichen Dank für das Gespräch.

Winter: Ich danke Ihnen.