Natürliche Antibiotika

Niemand will ungefragt Antibiotika in seinem Essen – nicht mal der Schweinemäster. Nun aber kommt es ganz dicke: Es wurde noch ein weitere Quelle für Antibiotika entdeckt, eine, mit der kaum einer gerechnet hatte. Unser Lebensmittelchemiker Pollmer hat sich die Analysen mal angesehen.
"Schockschwerenot" würde eine bekannte Comicfigur aus Entenhausen wohl ausrufen, käme ihr diese Forschungsarbeit in die Finger. Da hat doch glatt ein holländischer Analytiker einen zentralen Glaubenssatz des modernen Verbraucherschutzes entzaubert: Der Glaube, Rückstände verbotener Arzneimittel seien Folge ihres Einsatzes. Anlass zur Untersuchung gaben Importe aus Asien, die regelmäßig Spuren von Chloramphenicol enthielten. Dieses Antibiotikum ist auf Grund seiner zwar seltenen aber schweren Nebenwirkungen in der EU strikt reglementiert.

Zunächst war niemand über die Funde erstaunt. Wer weiß, vielleicht wurde da früher mit dem Zeugs in den Ställen rumgesaut – dann gelangte es in die Gülle und von dort in die Böden, von da in die Pflanzen. Und über‘s Futter bis ins Fleisch. Das stimmt im Prinzip – aber in diesem Falle war es falsch. Die Erzeuger hatten nicht geschummelt und es waren auch keine Altlasten in den Böden. Detaillierte Analysen ließen einen völlig anderen Belastungspfad erkennen: Das Bodenleben. Bakterien, genauer gesagt die sogenannten Streptomyceten, produzieren ebenfalls Chloramphenicol. Die Pflanzen nehmen diese Chlorverbindung über ihre Wurzeln auf und die Tiere fressen davon. Und schon finden sich mit moderner Analytik Spuren in Fleisch, Eiern oder Milch.

Das ist beileibe kein Einzelfall: Auch bei Shrimps gab es eine solche Überraschung: Hier ging es um regelmäßige Funde eines typischen Abbauproduktes von Nitrofuran. Nitrofurane sind antibiotische Arzneimittel, die in der Tierhaltung weitgehend verboten sind. Diesmal fanden die Analytiker, dass Shrimps und Krebse den Stoff in geringer Menge offenbar selbst produzieren. Wie das funktioniert, ist bisher unbekannt, womöglich stammt er von Mikroben im Darm der Tiere.

Antibiotikarückstände können also auch natürlichen Ursprungs sein. Wirklich neu ist die Erkenntnis übrigens nicht. Schon vor Jahrtausenden machten sich die Menschen diesen Umstand zunutze. Bei Ausgrabungen in der Nähe des Assuanstaudammes wunderten sich die Forscher darüber, dass die Knochen der vor langer Zeit verblichenen Nubier unter UV-Licht so hübsch fluoreszierten. Die Untersuchung der Skelette bestätigte dann den Verdacht: Sie waren voller Tetracycline. Die Konzentrationen waren so hoch, dass es sich nicht um eine natürliche Verunreinigung handeln konnte.

Um sich Tag für Tag ihre wirksame Antibiotikadosis zu sichern, haben die Nubier ein spezielles Brauverfahren entwickelt. Die Forscher fanden in den Krügen, in denen das Hirsebier gelagert worden war, den Beweis – Tetracycline, produziert von Actinomyceten. Die leben überall im Boden. Dieses Bier war nach heutigen Maßstäben ein echtes Functional Food. Die Nubier haben es offenbar neben der Muttermilch bereits den Kleinsten verabfolgt, - in Hinblick auf die Kindersterblichkeit keine schlechte Idee. Noch heute werden diese Antibiotika eingesetzt – vor allem in der Schweinemast. Doch die Rückstandgehalte im Lebensmittel sind für den Menschen therapeutisch wirkungslos. Und ich frage mich, wie oft mag die Spurenanalytik zu falschen Verdächtigungen geführt haben?

Was in der Natur verfügbar ist, wird natürlich auch von Tieren genutzt – namentlich von Insekten. Bienenwölfe halten sich ihre Antibiotikalieferanten in spezialisierten Drüsen. Sie platzieren das Bakterienpaket neben ihrer Brut im Boden. Die Larven nehmen nach dem Schlüpfen die Bakterien auf, das schützt sie vor Krankheiten. Auch diesmal handelt es sich wieder um Streptomyceten. Sie sorgen ansonsten vor allem für den typischen Geruch des Waldbodens. Die nahe verwandten Actinomyceten stehen bei der Tierwelt ebenfalls hoch im Kurs – allerdings nicht zum Bierbrauen sondern als Bestandteil der Darmflora. Mit diesem Kleinvieh im Körper halten sich viele Insekten fit. Die Natur ist eben eine begnadete Chemikerin, und alle Lebewesen nutzen ihre Chance, sie nutzen konsequent auch die ihnen verfügbare Chemie. Mahlzeit!


Literatur:

Van Pouke C et al: Investigation into the possible natiural occurence of semicarbazide in Macrobrachium rosenbergii prawns. Journal of Agricultural and Food Chemistry 2011; 59: 2107-2112

Berendsen B et al: Evidence of natural occurence oft he banned antibiotic chloramphenicol in herbs and grass. Analytical and Bioanalytical Chemistry 2010; 397: 1955-1963

Kaltenpoth M: Bakterien schützen Wespen-Nachwuchs vor Pilzbefall. Naturwissenschaftliche Rund-schau 2003; 58: 329-330

Keith M, Armelagos GJ: Naturally Occurring Antibiotics and Human Health. In: Romanucci-Ross L et al: The Anthropology of Medicine. Preager Press, New York 1983

Nelson ML et al: Brief communication: mass spectroscopic characterization of tetracycline in the skeletal remains of an ancient population from Sudanese Nubia 350-550 CE. American Journal of Physical Anthropology 2010; 143: 151-154

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Kaltenpoth M: Actinobacteria as mutualists: general healthcare for insects? Trends in Microbiology 2009; 17: 529-535
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