Naturfilm-Festival

"Das größte Artensterben seit den Dinosauriern"

Eine Szene mit einem Käfer aus dem Film "Winzige Wunder - Gottes Lieblinge", der auf dem Green Screen Naturfilmfestival in Eckernförde zu sehen ist.
Eine Szene mit einem Käfer aus dem Film "Winzige Wunder - Gottes Lieblinge", der auf dem Green Screen Naturfilmfestival in Eckernförde zu sehen ist. © Hilmar Rathjen, Lothar Frenz / Green Screen Naturfilmfestival
Moderation: Ute Welty  · 12.09.2018
In Eckernförde findet das Naturfilm-Festival "Green Screen" statt. "Man sieht, wie wichtig Natur den Menschen ist", sagt Festivalchef Dirk Steffens. Er beklagt die Übernutzung und Vermüllung der Umwelt − das habe katastrophale Folgen für die Artenvielfalt.
Nacktmulle, Grizzlys oder auch Weinbergschnecken sind die "Stars" in den Filmen, die bei "Green Screen" in Eckernförde gezeigt werden. Bei dem Festival, das heute beginnt, sind rund 200 Filmemacher aus aller Welt zu Gast. An ihren aufwändigen Produktionen arbeiten sie Monate, oft Jahre, erzählt Festivalleiter Dirk Steffens, der auch als TV-Moderator bekannt ist, im Deutschlandfunk Kultur.
Um so begeisterter sei er, dass es in diesem Jahr auch Einreichungen aus Uganda, Afghanistan oder dem Iran gebe, so Steffens. "Man sieht, wie wichtig Natur den Menschen ist, wie es sie berührt und was sie in Kauf nehmen, um Naturfilme machen zu können." Die meisten Filmemacher seien nicht besonders wohlhabend und auch sehr anspruchslos: "Man entscheidet sich für ein Leben als Naturfilmer."
Der Journalist und Moderator Dirk Steffens
Der Journalist und Moderator Dirk Steffens© picture alliance/Geisler-Fotopress
Steffens betonte die Bedeutung des Themas Artenvielfalt: "Es ist komplizierter als beim Klimawandel, wo man das weitgehend auf eine Ursache, nämlich Kohlendioxid zurückführen kann. Beim Artensterben sind die Ursachen einfach vielfältig. Das ist Flächenvernichtung, das ist Übernutzung, also so etwas wie Überfischung, das ist Vergiftung, die Vermüllung der Umwelt." Steffens: "Wir erleben gerade das größte Artensterben seit dem Verschwinden der Dinosaurier und wenn wir dagegen nichts machen, wird es für uns Menschen schon in Jahrzehnten problematisch."

Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Es ist das größte europäische Naturfilmfestival – "Green Screen" findet in Eckernförde an der Ostsee statt, und für den Wettbewerb wurden 309 Filme aus 71 Ländern eingereicht, was einen neuen Rekord bedeutet. Festivalleiter ist Dirk Steffens, der sonntagabends immer wieder bei Ihnen vorbeischaut – er moderiert "Terra X" im ZDF. Guten Morgen, Herr Steffens!
Dirk Steffens: Wunderschönen guten Morgen!
Welty: Das Leitthema, das Sie gewählt haben für den Festivaljahrgang 2018, das ist Artenvielfalt, und so kommen Weinbergschnecken vor, Nacktmulle und auch Grizzlybären. Der Eröffnungsfilm aber beschäftigt sich mit Polarwölfen. Was hat diesen Film ausgemacht, dass er eben an einem so besonderen Platz läuft?
Steffens: Der Eröffnungsfilm läuft ja tatsächlich während der Eröffnungsfeier, also wenn Hunderte Leute ganz feierlich die Eröffnung da begehen. Dieser Film ist erstens unter ganz besonderen Umständen entstanden. Oliver Götz und Ivo Nörenberg, das sind zwei der bekanntesten oder erfolgreichsten Naturfilmer Deutschlands, die auch viel für die BBC und andere internationale Sender arbeiten, haben Monate in kleinen Zelten wirklich in der Eiswüste verbracht, um diese Tiere zu filmen, die normalerweise sehr scheu sind. Und ich habe mit den beiden gesprochen und mir auch die Making-of-Bilder angeschaut. Es ist erstaunlich, wie nahe Tierfilmer und ihre Objekte sich manchmal kommen, und es ist herzerwärmend. Und diese Tiere sind natürlich vom Aussterben bedroht, wie so viele Tiere auf unserer Welt, wie so viele Tierarten. Und es ist wirklich bezaubernd, diesen Film zu sehen.

Naturzerstörung an den entlegendsten Plätzen der Welt

Welty: Warum liegt Ihnen das Thema Artenvielfalt so besonders am Herzen? Sie sind ja auch UN-Botschafter für Biodiversität.
Steffens: Eigentlich gegen meinen Willen bin ich da zum Artenschützer geworden. Ich mach den Job als Tierfilmer ja seit einem Vierteljahrhundert. Am Anfang, wenn ich ganz ehrlich bin, einfach, weil es ein unglaublich toller Job ist und mir das Spaß gemacht hat. Aber wenn man sehr oft an Orte zurückkommt nach Jahren, und jedes Mal ein Stück Naturzerstörung sieht und diese Erfahrung nicht nur hier zu Hause in Deutschland macht, sondern in allen Ecken der Welt, selbst an den entlegensten Plätzen, dann wird man ja irgendwann nachdenklich.
Dann hat man als Naturfilmer die Möglichkeit, entweder weiter nur aussageschwache Hochglanzbilder zu zeigen, die natürlich technisch sehr interessant sind und im positiven Sinne das Herz berühren. Aber man muss dann irgendwann sich entscheiden, will ich eigentlich auch die ganze Geschichte erzählen? Und die ganze Geschichte ist, wir erleben gerade das größte Artensterben seit dem Verschwinden der Dinosaurier, und wenn wir dagegen nichts machen, wird es für uns Menschen schon in Jahrzehnten problematisch.
Welty: Wie kann man sonst noch als mit guten Filmen das Bewusstsein für Artenvielfalt stärken?
Steffens: Darüber könnten wir jetzt leider Stunden reden, denn das Problem ist –
Welty: Ach, ein bisschen Zeit haben wir noch.
Steffens: – es ist komplizierter als beim Klimawandel, wo man es weitgehend auf eine Ursache, nämlich Kohlendioxid, zurückführen kann. Beim Artensterben sind die Ursachen einfach vielfältig. Das ist Flächenvernichtung, das ist Übernutzung, also so was wie Überfischung. Es ist die Vergiftung und Vermüllung der Umwelt. Das ist natürlich vor allem die Zerstörung von Lebensraum. Da denkt man immer an die Abholzung von Regenwäldern, das stimmt auch, aber es geht auch darum, dass wir in Deutschland immer mehr von unseren Landschaften mit Straßen und Parkplätzen und Häusern zubetonieren.
Die Ursachen sind so vielfältig, dass man nicht sagen kann, das ist das Problem und das müssen wir jetzt lösen, sondern wir müssen tatsächlich mal begreifen, es gibt ein grundsätzliches Problem von Naturzerstörung, und bei allem, was wir tun, müssen wir immer mehr berücksichtigen, wie können wir eigentlich so wirtschaften, leben, arbeiten, in Urlaub fahren, unser Privatleben genießen, dass es nachhaltiger ist und wir nicht jedes Mal was zerstören. Weil die Erde ja endlich ist, und wenn diese Ressourcen mal aufgebraucht sind, dann ist nichts mehr da zum Verteilen.

Naturfilme aus Afrika oder Asien sind emotionaler

Welty: Die Einreichungen stammen aus 71 Ländern. Das bedeutet aber auch, es gab keine Einreichungen aus 123 Ländern der Erde. Ist Naturfilm also etwas, was man sich als Land auch leisten können muss?
Steffens: Vor allen Dingen als Filmemacher oder Filmemacherin leisten muss. Es ist unheimlich aufwendig und teuer, international wettbewerbsfähige Filme zu erstellen. Das sind ja Projekte, die anders als ein Nachrichtenfilm im Fernsehen nicht an einem Tag oder in einer Woche gemacht werden, sondern das dauert Monate, bei vielen Projekten auch Jahre. Und in diesen Jahren muss man ja seinen Lebensunterhalt irgendwie verdienen können. Die meisten Naturfilmer sind nicht besonders wohlhabende Menschen, sind auch sehr anspruchslos. Aber deshalb bin ich umso begeisterter davon, dass wir Einreichungen aus Uganda haben, aus Afghanistan. Es ist heute angekommen, wir holen den nachher vom Flughafen ab, ein Naturfilmer aus dem Iran, der unter persönlichen Entbehrungen einen ganz tollen Film gemacht hat.
Und das finde ich wirklich berührend. Man sieht, wie wichtig Natur Menschen ist, wie es sie berührt und was sie in Kauf nehmen, um Naturfilme machen zu können und dann auch sehen zu können. Wir bekommen ja hier schließlich auch im Lauf des Jahres 30.000 und in diesen wenigen Festivaltagen ungefähr 20.000 Gäste in der Kleinstadt Eckernförde. Wir schaffen es wahrscheinlich bald, dass es mehr Besucher als Einwohner in dieser Stadt gibt.
Welty: Haben afrikanische oder asiatische Filmemacher eine andere Erzählweise, was den Naturfilm angeht?
Steffens: Ja – oder ich muss mit einem entschiedenen Jein antworten. Es gibt erst mal den Hauptgrund, dass vor allen Dingen afrikanische Filmemacher weniger Mittel zur Verfügung haben als europäische oder amerikanische, und das sieht man. Tierfilm war immer schon sehr technisch, sehr teuer, sehr aufwendig. Wir reden bei vielen Tierfilmbudgets über Budgets, mit denen man auch Fiction, Kinofilme drehen könnte. Und auch technisch ist der Tierfilm immer der Trigger gewesen. Ganz viele moderne Technologien, ob es Drohneneinsätze sind oder so was, kommen aus dem Tierfilm.
Und da können viele afrikanische oder asiatische Kolleginnen und Kollegen einfach nicht mithalten, weil sie nicht so viel Geld haben. Aber was sie natürlich anders erzählen, ist sozusagen 'embedded nature-feature-Film'. Das sind oft Menschen, die wissen über die Naturlandschaft, über die sie filmen, nicht nur das, was man in Büchern nachlesen kann, was man lernen kann, sondern die sind dort zuhause und erleben es und haben deshalb auch eine viel emotionalere, nicht so hochglanzmäßig einfach zu konsumierende, aber emotionalere Erzählweise.

Immer mehr kritisch-investigative Naturreportagen

Welty: Sie haben sich sicherlich schon einen Überblick verschaffen können über die Filme im diesjährigen Wettbewerb. Gibt es da, wie bei anderen Filmfestivals auch, so etwas wie Trends und Schwerpunkte?
Steffens: Ja, es gibt immer – also wir beobachten zwei Trends gleichzeitig seit einigen Jahren. Das eine ist, der Markt teilt sich sozusagen in zwei Hälften. Es gibt die große Masse von normalen Tierfilmen in Anführungszeichen, und es gibt diese absoluten High-End-Produkte. Davon haben wir auch wieder eins im Programm, nämlich den "Blue Planet" von der BBC, der in Deutschland ja auch schon teilweise im Fernsehen zu sehen war. Unglaublich aufwendige Produktion, die viele Millionen Euro kostet. Das ist ein Trend, dass es also immer aufwendigere Hochglanzproduktionen gibt.
Und der andere Trend ist, dass kritisch-investigative Naturreportagen in ihrer Zahl zunehmen und auch bei uns auf dem Festival immer häufiger Preise abräumen. Letztes Jahr "Ivory Game" zum Beispiel, eine Netflix-Produktion, die sehr investigativ sich mit dem Elfenbeinschmuggel und der Wilderei beschäftigt hat, oft unter lebensgefährlichem Einsatz der Filmemacher. Solche Filme werden immer populärer, und das ist natürlich Ausdruck davon, dass die Natur immer bedrohter wird und deshalb auch Journalistinnen und Journalisten immer neue Methoden suchen und in Kauf nehmen, um davon zu erzählen.
Welty: Wo Sie die Preise ansprechen – das Festival geht am Samstag mit Preisen in gleich 16 Kategorien zu Ende. Wie wichtig sind Preise für das Genre Naturfilm?
Steffens: Für Naturfilmer sind sie wichtig. Ich habe ja einen Beruf, da kann man nicht eine Bewerbung schreiben an die BBC oder an ZDF oder ARD und sagen, ich möchte jetzt für Sie Naturfilme machen, sondern man entscheidet sich sozusagen für das Leben als Naturfilmerin oder Naturfilmer. Und da man da keine formalen Bildungsabschlüsse erwerben kann, mit denen man sich dann bewirbt, braucht man eine Film-Vita, eine Filmografie. Und Filmpreise, die man gewinnt, sind sozusagen eine Werbung für die eigene Person dann.
Also wenn ich beim ZDF zum Beispiel ein großes Filmprojekt, einen Naturfilm machen möchte und kann dann sagen, ich hab aber schon die "Wild Screen" in England gewonnen und den Grimme-Preis und sonst noch was, dann habe ich viel größere Chancen, einen guten Film machen zu dürfen und dafür auch ein Budget zu bekommen. Also, Filmpreise sind für die Filmemacher wichtig, weil sie die zukünftige Arbeit erleichtern.
Welty: ZDF-Moderator Dirk Steffens leitet "Green Screen" – das Festival für Naturfilme beginnt heute in Eckernförde an der Ostsee, und dorthin geht man. Danke für dieses "Studio 9"-Gespräch.
Steffens: Danke schön, schönen Tag!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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