Zurschaustellung menschlicher Exoten
Im Auftrag von Kaiser Franz Josef I. schufen die Architekten Gottfried Semper und Karl von Hasenauer einen regelrechten Tempel der Wissenschaft: das Naturhistorische Museum in Wien. Vor 125 Jahren wurde es eröffnet.
"Ein imperiales Gesamtkunstwerk, eine Kathedrale der Wissenschaftsgläubigkeit des 19. Jahrhunderts. Wir haben heute eine Sammlung von etwa 25 Millionen registrierten Objekten in fünf Geschossen über der Erde und vier Geschossen unter der Erde, des Tier- und Pflanzenreiches, der Mineralien, der Meteoriten, aber auch der Prähistorie."
Bernd Lötsch war von 1994 bis 2009 Generaldirektor des Naturhistorischen Museums in Wien. Unter seiner Leitung wurde das Haus saniert, aber so, dass der "imperiale Gestus" des Wiener Kaiserreichs erhalten blieb.
"Dem Reiche der Natur und seiner Erforschung."
Tempelbau der Wissenschaft
Diese Widmung von Kaiser Franz Josef I., der das damals sogenannte "K.K. Naturhistorische Hofmuseum" am 10. August 1889 feierlich eröffnete, prangt noch heute in goldenen Lettern an der Fassade des riesigen Gebäudes – direkt unter der 60 Meter hohen Kuppel, mit der die Architekten Gottfried Semper und Karl von Hasenauer dem Museum ein fast sakrales Antlitz verliehen. Der Historiker Günther Hamann sprach von einem "Tempelbau zur Verherrlichung des forschenden menschlichen Geistes":
"Man empfand wissenschaftliche Forschung – auch wenn man sie im Einzelnen gar nicht verstand – fast als eine Art heiliger Handlung, hielt deren Träger in rührender Naivität für Beauftragte einer jenseits aller Vorurteile stehenden höheren Weltvernunft."
Die Geschichte des Wiener Naturhistorischen Museums reicht bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts zurück. 1748 kaufte Kaiser Franz Stephan von Lothringen, der selber ein leidenschaftlicher Gärtner war, von dem Florentiner Universalgelehrten Johann von Baillou die damals größte Naturaliensammlung der Welt. Sie umfasste rund 30.000 Objekte, vor allem Mineralien und versteinerte Korallen, Muscheln, Schnecken und Krebse.
Bei Kaiserin Maria Theresia paarte sich die Liebe zur Natur mit der Einsicht in die Bedeutung der Mineralogie und Geologie für die Erschließung österreichischer Bodenschätze. 1797 schuf Kaiser Franz I. das erste "Tierkabinett", in dem vor allem heimische Säugetiere, Vögel und Insekten, anfangs aber auch menschliche Exoten zu sehen waren.
Ausgestopfter Mensch auf einem Kamel
"Seit 1801 ritt der Mulatte Pietro Michaele Angiola, ein ehemaliger Tierwärter in der Menagerie zu Schönbrunn, als ein nunmehr ausgestopftes menschliches Schaustück auf einem Kamel des Afrika-Dioramas – mit rotem Wollschurz und weißem Turban bekleidet."
Österreich organisierte, ähnlich wie andere Länder, Expeditionen in die ganze Welt. Bald wusste man kaum noch, wohin mit den Massen von herangeschafften Tieren, Pflanzen, Hölzern, Früchten, Mineralien, Gesteinen und ethnografischen Objekten.
Umso größer war die Freude, als Franz Josef I. 1857 den Abriss der alten Befestigungsanlagen befahl, weil Wien inzwischen aus allen Nähten platzte. An der neuen "Ringstraße" sollten unter anderem ein Opernhaus, ein kunsthistorisches und ein naturhistorisches Museum entstehen. 1871 wurde mit dem Bau begonnen, 1884 war er abgeschlossen. Weitere fünf Jahre dauerte der Umzug in die neuen, prunkvoll ausgestatteten Räume. Zu den Publikumsmagneten des Museums zählen heute die weltweit älteste und größte Meteoriten-Sammlung, der Saurier-Saal und die fast 25.000 Jahre alte "Venus von Willendorf", das bedeutendste frühe Kunstobjekt der Menschheit. Die große Masse lagert, sorgfältig katalogisiert und konserviert, in den Magazinen, die Forschern aus aller Welt offen stehen.
"Sie müssen sich vorstellen: Wenn heute irgendjemand auf der Welt den Anspruch erhebt, eine neue Tierart beschrieben zu haben, dann muss er zu den größten wissenschaftlichen Museen der Welt, also auch zu unserem gehen. Und muss überprüfen, ob es nicht das Viech schon längst wo gibt. Da gibt es einen Tauschverkehr mit Typus-Exemplaren, an dem die Art erstmals beschrieben wurde. Und dieses Exemplar muss als Urmeter dieser Art für alle Zeiten wissenschaftlich zugänglich gehalten werden."