Naturraum

Der mit den Lämmern zieht

Schäfer bewahren Tier- und Pflanzenarten und drohen bald selbst auf die "Rote Liste" der aussterbenden Berufe zu geraten
Schäfer Bernd Bodmann hat vor vier Jahren seine Meisterprüfung abgelegt © Deutschlandradio / Sören Brinkmann
Von Sören Brinkmann |
Früher trennte der "Todesstreifen" Deutschland in zwei Hälften. Jetzt ist daraus ein "grünes Band" entstanden, ein einzigartiger Naturraum, der von Menschen wie dem Schäfer Bernd Bodmann geschützt wird.
Bis zum Horizont zeichnen sich die geschwungenen Hügel ab im südlichen Harzvorland - wie Wellen, die in der Ferne immer weiter ansteigen. Äcker und Wiesen erstrecken sich, dazwischen große Waldstücke. Auf einer der Wiesen - auf einer Fläche, die etwas größer ist als ein Fußballfeld - verweilt eine Schafherde.
Schäfer Bernd Bodmann steht auf einer kleinen Anhöhe, um einen guten Blick auf seine Tiere zu haben. Seine Gummistiefel reichen bis knapp unter die Knie. Dazu trägt er einen langen Mantel und Filzhut. Bodmann ist hauptberuflich Schäfer. Vor vier Jahren hat der Mittvierziger seine Meisterprüfung abgelegt.
"Wir haben einen Betrieb, den mache ich zusammen mit meinem Bruder. Wir haben insgesamt 950 Mutterschafe mit den dazugehörigen Lämmern."
Den Hof haben sie von ihrem Vater übernommen, der selbst auch Schäfer war. Der Vater kommt heutzutage nur noch selten mit auf Feld. Die Söhne teilen sich die Arbeit auf: Jeder von ihnen zieht mit einer eigenen Herde umher.
Weiden auf dem Mauerstreifen
Der Landstrich, in dem Bernd Bodmann mit seinen Schafen und deren Lämmern unterwegs ist, erstreckt sich von Göttingen bis nach Thüringen und zum Harz.
Schon mit 14 Jahren hat Bernd Bodmann seine ersten Schafe bekommen und selbst geführt: Eine Herde bestehend aus einem Dutzend Tieren.
Doch ganz gradlinig führte sein Weg dann nicht zur Schäferei. Zuerst hat Bernd Bodmann eine Tischlerausbildung gemacht und anschließend viele Jahre in einem Handwerksbetrieb gearbeitet. Vor 15 Jahren entschied er sich dann doch, die Familientradition als Schäfer fortzusetzen. Heute lebt er alleinstehend in direkter Nähe des Hofes.
Viele Stunden am Tag ist Bernd Bodmann in der Natur, an fast jedem Tag im Jahr. Nur wenn es im Winter schneit und in der Lammzeit bleiben die Schafe im Stall. Sonst sind sie immer unterwegs.
"Man kommt mit vielen Leuten zusammen, die man unterwegs trifft. Man sieht jeden Tag etwas anderes. Kein Tag ist wie der andere. Immer zieht man ein bisschen weiter. Dieser Abwechslungsreichtum dabei, der macht das interessant. Ich bin froh, in so einer Vielfalt leben zu dürfen."
Dazu gehört auch, dass Bernd Bodmann unmittelbar den Lauf der Jahreszeiten erlebt.
"Man muss mit der Natur leben. Im Frühjahr kommt die Vegetation in Gang, alles wird schön grün und bunt. Im Sommer wird es dann mal heiß. Manchmal regnet es auch. Im Winter ist es auch mal kalt. Man nimmt von jeder Jahreszeit was mit."
Ohne Bürokratie geht auch kein Schafehüten
Der ganze Tagesablauf findet auf dem Feld statt. Für die Verpflegung ist der Rucksack gepackt mit einer Thermoskanne voll Tee sowie Tupperdosen mit Broten und Obst. Um kurz nach neun kommt Bernd Bodmann normalerweise raus zu seinen Schafen. Doch dann liegt schon ein guter Teil seines Arbeitstages hinter ihm.
"Morgens früh macht man erst Hofarbeit, versorgt da die anderen Tiere, und dann geht es aufs Feld."
Mit seinem weißen Bulli fährt er so nah wie möglich an seine Herde heran. In einem kleinen Anhänger warten drei Hütehunde auf ihren Einsatz. Zwei bewachen jeweils die Herde, so bekommt immer ein Hund eine Pause.
Nur nachts lässt Bernd Bodmann seine Schafe allein auf dem Feld. Dafür steckt er eine kleine Weide mit einem Elektrozaun ab.
Gegen finanzielle Kürzungen protestieren Brandenburger Schäfer am 29.04.2014 vor dem Landwirtschaftsministerium in Potsdam (Brandenburg). Rund 80 Berufsschäfer und rund 4000 Halter von Schafen gibt es in Brandenburg. Die Zahl der Tiere im Land ist in den vergangenen Jahren um knapp zehn Prozent zurückgegangen. Derzeit grasen etwa 72 000 Schafe in der Mark, davon 54 000 Muttertiere. 
Schäfer bewahren Tier- und Pflanzenarten und drohen bald selbst auf die "Rote Liste" der aussterbenden Berufe zu geraten© picture alliance / dpa / Ralf Hirschberger
"Ich muss nicht bei den Schafen schlafen, ich bin auch zuhause willkommen. Natürlich, man hat da ja auch noch andere Arbeit zu tun."
Vor allem die Büroarbeit ist dann an der Reihe - Schreibkram, auf den Bernd Bodmann eigentlich wenig Lust hat, wie er sagt. Ohne Bürokratie geht es aber auch in seinem scheinbar so ursprünglichen Beruf nicht.
Es gibt Weideverträge, an die sich Bernd Bodmann halten muss. Auftraggeber sind meist Naturschutzbehörden oder Umweltverbände. Mit denen wird genau vereinbart, wie die Vegetation von den Schafen gestaltet werden soll.
"Es soll ein gewisser Buschbestand vorhanden sein - gerade für das Braunkehlchen. Das braucht für die Brutzeit diesen Buschbestand."
Um die Landschaft so zu gestalten, muss Bernd Bodmann seine Schafe genau führen - damit sie nur dort weiden, wo das Gras kurz gehalten werden soll. Doch immer wieder ist auch Zeit zum Nachdenken.
Republikflucht - vorbei an Schafen
"Natürlich gibt es auch Momente, wo man einfach auch nur seinen Gedanken nachhängen kann. Da gibt es auch immer Momente, wo man eben neue Ideen formen kann."
Dann denkt er zum Beispiel darüber nach, was auf dem Hof noch zu tun ist, was in den kommenden Tagen ansteht - oder er ruft sich in Erinnerung, in was für einem besonderen Landstrich er unterwegs ist. Denn meistens zieht Bernd Bodmann durch das Naturschutzgebiet "Grünes Band". Fast 30 Jahre lang lag hier der massiv bewachte Grenzstreifen zwischen BRD und DDR.
"Lange Jahre sind da viele Menschen von betroffen gewesen. Natürlich setzt das schon Emotionen frei. Und dass sich das jetzt alles so offen gestalten und dass es für viele Menschen positiv nutzbar ist, das grüne Band, ist eigentlich ein großer Erfolg in der Geschichte der Menschheit."
"Republikflucht" verhindern, war das oberste Gebot auf der Ostseite. Und deshalb achteten die Grenztruppen besonders darauf, dass der Grenzstreifen nicht zuwucherte. So ist eine ganz besondere Landschaft entstanden, gerade weil der Mensch hier immer wieder eingegriffen hat.
"Lange Zeit konnte sich die Natur da ausbreiten; und jetzt geht es darum, dass wir die Natur erhalten, die Artenvielfalt als Biotopverbund."
Auf seinen langen Schäferstab stützt sich Bernd Bodmann, während er seine Tiere nicht aus dem Blick lässt. Er bemerkt eine zunehmende Unruhe.
"Die Schafe wollen auf die nächste Wiese ziehen. Die wollen nicht mehr so lange hier bleiben."
Kurze Zeit setzt sich die ganze Herde in Bewegung. Bernd Bodmann zieht auf die nächsten Weiden.
"Jetzt geht es weiter. Komm, Komm, Komm!"

Mehr zum Thema