Naturschutz

Gerangel um dritten Nationalpark in Bayern

Blick aus dem Schachenhausgebiet auf das Ammergebirge in Bayern.
Kandidat Nummer 1 für einen dritten bayerischen Nationalpark: Blick auf das Ammergebirge. © imago/blickwinkel
Von Susanne Lettenbauer · 02.06.2017
Seit Bayerns Ministerpräsident vor einem Jahr urplötzlich die Idee eines dritten Nationalparks für Bayern aus dem Hut zauberte, sind die Regierungsbezirke alarmiert: Gleich fünf Kandidaten konkurrieren um die Anerkennung.
"Das ist hier ein Ahorn in seiner Endphase, da hängt der Bart schon runter, Flechten und Moose und schau: Da sind Löcher vom Specht..."
Hubert Endhart hebt vorsichtig ein Stück Holz vom Waldboden auf. Halbverfaulte Baumstämme, aus denen Pilze wachsen und Käfer krabbeln, lassen sein Herz höher schlagen. Der Gründer vom Förderverein Nationalpark Ammergebirge führt regelmäßig Gäste über die schmalen Wege zwischen Farnen, Moosen und Bergwald. Er zeigt ihnen abgestorbene Baumgerippe:
"Also hier hätten wir eine Situation, wie wir sie im Kerngebiet eines Nationalparks flächendeckend hätten: Wir sehen Totholz, das sich zum Biotopholz entwickelt hat und dieser Baum und seine Ableger hier haben die volle Lebensphase eines Baumes durchlaufen. Im Wirtschaftswald endet die in der Regel bei 80 Jahren und hier hört sie mit 400 Jahren noch nicht auf."

"Damit wir hier wieder Urwaldarten vorfinden können"

Von Füssen bis zur Zuspitze, Ende der Grenze zu Österreich erstreckt sich das Ammergebirge, Kandidat Nummer 1 für einen dritten bayerischen Nationalpark. Rund 230.000 Quadratkilometer Fläche, fast alles Staatswald. Ginge es nach Hubert Endhardt, dann wäre hier schon längst ein Nationalpark. 2011 gründete er den Förderverein:
"Und zwar weil ich der Überzeugung bin, die kleinen Trittsteinbiotope, die wir im Moment haben im Ammergebirge, reichen nicht aus. Damit wir hier wieder Urwaldarten vorfinden können, brauchen wir eine großflächige, stillgelegte Fläche und dafür würde ich einfach gern sagen, wir nehmen den Staatsforsten die Motorsägen weg."
Seit Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer dem Freistaat gewissermaßen über Nacht einen dritten Nationalpark verordnet hat, hofft Endhardt, dass das Ammergebirge doch noch in den engsten Kreis der derzeit vier offiziellen Kandidaten kommt. Die politischen Chancen stehen jedoch nicht gut. Die natürlichen Voraussetzungen hingegen schon, meint der Naturschützer optimistisch: Zwischen Eib- und Forggensee wächst hier der größte zusammenhängende Karbonat-Bergmischwald Deutschlands.

"Ich sehe da keinen Vorteil"

Meinhard Süss, Oberammergauer Forstbetriebsleiter, interessiert das wenig. Die Bayerischen Staatsforsten holen bis zu 30.000 Kubikmeter Holz jährlich aus dem Gebiet. Ohne die Staatsforsten und ihre Baumfällarbeiten würde der Borkenkäfer, Schädling Nummer 1 in Bayerns Wäldern, überhand nehmen, sagt er:
"Über allem schwebt ja die Frage: Können wir, wollen wir auf die Nutzung des nachwachsenden Rohstoffs Holz verzichten? Das kann man natürlich machen, aber da braucht man gute Gründe. Im Gebirgswald ist der Artenschutz kein besonders guter Grund, denn die Wälder wurden von Alters her extensiv bewirtschaftet. Wir haben jetzt den Königsweg gefunden, wir können sowohl nützen als auch schützen auf der gleichen Fläche."
Ähnlich argumentieren die Landräte der angrenzenden Kommunen. Für einen Nationalpark Ammergebirge sehen sie keine Notwendigkeit. Fast die Hälfte der 230.000 Quadratkilometer würden zu einer Nationalpark-Kernzone umgewandelt, in der keinerlei Eingriffe in die Natur mehr vorgenommen werden dürften. Man müsse diesen Unsinn mit aller Macht verhindern.
Das schönste Holz im Wald verfaulen zu lassen, wäre ein Hohn. Wir müssen da ein Zeichen setzen. Dass der Herr Seehofer aus einer gewissen Bierlaune heraus einen dritten Nationalpark gefordert habe, das sei nicht derer Weg.
Anwohner sehen das Projekt ebenfalls skeptisch:
"Das kommt ja von auswärts hierher, da kommen paar Allgäuer drauf, dass man das braucht, bei uns haben sich schon alle dagegen ausgesprochen. Die gründen da so einen Verein und meinen, das ist für uns gut. Ich sehe da keinen Vorteil."
"So was, wie die Frage Nationalpark ja oder nein, das betrifft Generationen, das geht über 100 Jahre und deshalb müssen wir die Chancen und die Risiken genau abwägen und genau auch alle Argumente bewerten."

"Die Chancen sind sehr positiv bewertet"

Landkreis Rhön-Grabfeld in Nordbayern. Landrat Thomas Habermann reagierte abwartend als seine Region als Kandidat Nummer 2 - Nationalpark Rhön ins Gespräch kam. Nicht ohne Grund: 1991 wurde die Rhön länderübergreifend von der Unesco als Biosphärenreservat anerkannt. Der thüringische Teil wurde im Rahmen des Nationalparkprogramms der DDR vorab zum 1. Oktober 1990 ausgewiesen.
Bayerns Umweltministerin Ulrike Scharf, vom Ministerpräsidenten Seehofer mit der Suche nach einem geeigneten Standort beauftragt, fährt seit Wochen über Land und stellte sich diese Woche zum dritten Mal der Kritik der Rhöner Bürger:
"Es hat sich bestätigt heute bei der Exkursion, dass es eine ganz besondere Region ist, die sich absolut eignet für eine Nationalpark. Hinzu kommt die gute Stimmung und viele positive Meldungen, dass man die Chancen für diese Region als sehr hoch einschätzt. Natürlich Fragen beantwortet werden müssen, Ängste, die ernst genommen werden müssen, aber die Chancen, und das nehme ich heute mit, sind sehr positiv bewertet."
Während die Rhön zumindest für die Umweltministerin viele positive Aspekte hinsichtlich der vorhandenen Natur zeigt, reißt aber auch hier der Protest von Anwohnern gegen den Nationalpark nicht ab:
"Eine Maßnahme, die für Generationen angelegt wird, kann man nicht in einem Jahr schneller bearbeiten als die Investition für eine Schule."
"Ganz ehrlich, wenn die Frau Scharf unbedingt einen Nationalpark will, dann soll sie es in Erding machen vor der eigenen Haustür."
"Die Bürger wollen diesen Nationalpark nicht. Von uns Bürgern seid ihr gewählt worden, da müsst ihr uns Bürger fragen."
"Ich sehe da keinen Vorteil, bringt uns nix außer Scherereien."

"Keine Fokussierung auf eine bestimmte Region"

Die Nationalparkdiskussion in Bayern hat mächtig Fahrt aufgenommen, nicht unbedingt zum Positiven. Geht man nach der Lautstärke der Kritiker, dann hat sich die Idee eines dritten Nationalparks längst erledigt.
Karl Friedrich Sinner, ehemaliger Leiter vom Nationalpark Bayrischer Wald, kennt die Argumente der Kritiker zur Genüge. Auch in Niederbayern beäugte man Anfang der 1970er-Jahre kritisch das Ende der Forstwirtschaft im Bayerischen Wald, Deutschlands ältester Nationalpark. Wo immer in Deutschland über einen neuen Nationalpark diskutiert wird, zuletzt im Hunsrück, kommen ähnliche Vorbehalte:
"Die Situation ist eigentlich hier, wie ich sie erwartet habe, nach den Diskussionen, die ich bei der Ausweisung des Nationalparks Schwarzwald, der Erweiterung des Nationalparks Bayerischer Wald und bei der letzten Nationalparkgründung im Hunsrück erhalten habe. Es ist immer zuerst eine riesige Aufregung, um Gottes Willen, was passiert mit unserer Heimat, verändert sich das, können wir nicht mehr in den Wald, dürfen wir keine Pilze mehr sammeln, dürfen wir keine Waldbeeen mehr sammeln. Es sind immer die identischen Fragen und man muss sagen, nichts davon trifft zu, niemand wird ausgesperrt."
"Wir wollen diese Standortmöglichkeiten untersuchen, mit Beteiligten vor Ort, insbesondere mit den Kommunen, deshalb gibt es keine Fokussierung auf eine bestimmte Region, sondern nur auf Bayern."
Hatte sich Ministerpräsident Horst Seehofer bei der Verkündung eines dritten Nationalparks eine faire Diskussion zwischen den Regionen und Kommunen erhofft, so lag er gründlich daneben. Wie ein schwarzer Peter wird ein möglicher Nationalpark im Freistaat hin und hergeschoben. Der Grund: Genau der Top-Favorit von Naturschützern, BUND, Vogelschutzbund, WWF und Greenpeace darf es laut Seehofer nicht werden:
"Ein Gebiet kann ich ausnehmen, weil wir in meiner Anwesenheit in der bayerischen Staatskanzlei eine Vereinbarung mit drei Landräten unterzeichnet haben, das ist der Steigerwald, der käme nicht in Frage."
Doch genau die Umwandlung des Steigerwald – zwischen Würzburg und Nürnberg gelegen und seit 1988 bereits Naturpark – wird seit zehn Jahren diskutiert. Eine Studie des Bundesamts für Naturschutz listet große Teile des Steigerwaldes auf Grund dort vorkommender sehr seltener Rotbuchen-Urwaldbestände und des immensen Artenreichtums als besonders schützenswert. Stattdessen hat der Freistaat den Spessart etwas weiter westlich als 3. Kandidat ins Gespräch gebracht. Doch dort ist der Widerstand massiv. Vor allem eine Gruppe um den Landtagsabgeordneter Peter Winter aus Waldaschaff :
"Es geht ja um eine Kernzone, die zum Beispiel wie im Bayerischen Wald zum Großteil des Jahres nicht betreten werden darf, im Spessart geht es vor allem um unsere Holzrechte, im Spessart geht es um die Seele des Spessart, um die Eiche. All das wollen wir nicht missen. Denn jede Gemeinde hat die Eiche in ihren Wappen und das soll auch für die Zukunft gelten."
"Ja, man soll doch den schönen Spessartwald nicht kaputt machen, sondern man soll ihn erhalten. Es gibt andere Möglichkeiten, so einen Park entstehen zu lassen, zum Beispiel bei den früheren Truppenübungsplätzen Grafenwöhr, Wildflecken. Warum bastelt man nicht dort einen Urwald? Da kann er wachsen und gedeihen."
"Die grundsätzliche Eignung ist für mich erkannt."
Erklärte vor einigen Tagen zur Überraschung aller der CSU-Landtagsabgeordnete Jürgen Baumgärtner aus dem oberfränkischen Kronach. Gemeint war der Frankenwald.

Ein Nationalpark über die Grenzen Bayerns nach Thüringen?

Vorschlag Nummer vier. Baumgärtner weiter:
"Wir haben ein Waldgebiet, das wenig zerschnitten ist, es ist störungsarm und wir haben eine unmittelbare Nähe zum Grünen Band. Ich könnte mir also einen Nationalpark über die Grenzen Bayerns hinaus nach Thüringen gut vorstellen. Ich bin mir sicher, dass man das in der Region als Chance wahrnehmen wird. Es ist mir aber auch wichtig zu formulieren, wir etablieren keinen Nationalpark, wenn die Menschen das nicht wollen."
Der Dialog zwischen den einzelnen Partnern starte noch diese Woche gemeinsam mit der Umweltministerin, freut sich Baumgärtner. Ergebnisoffen natürlich und diskussionsfreudig. Dass er erst vor kurzem beim Bauerntag des Bayerischen Bauernverbandes (BBV), Kreisverband Kronach für seine Idee ausgepfiffen wurde, verschweigt er lieber. Der Nationalpark würde die Freiheit einengen, das Thema würde die Gesellschaft in der Region spalten, niemand wolle ein totes Land – wird ihm entgegengehalten.
Florian Weiß betreibt ein Sägewerk:
"Wenn wir einen Nationalpark bekommen haben wir das Problem, dass wir das Holz nicht mehr vor der Haustür haben, sondern dass wir es von weiter weg holen müssen. Das ist mit Transportkosten verbunden und es heißt dann nicht mehr Holz der kurzen Wege, sondern es ist dann das Holz weiter weg, wo wir das holen müssen."
"Vor einem Vierteljahr haben wir die Auszeichnung bekommen 'Waldgebiet des Jahres 2017', unser Frankenwald. Wir haben eine hervorragende Bewirtschaftung betrieben, wo Umweltschutz in Form von gewissen FFH-Gebieten, Naturschutzgebieten, Naturschutzreservaten und im Einklang mit dem Tourismus eigentlich gut funktioniert hat."
Versucht sich Ralf Kremer vom benachbarten Holzbetrieb an seiner Kritik. Ein Nationalpark im Frankenwald – nein danke.
Seitdem ist Baumgärtner vorsichtig geworden. Man müsse jetzt erstmal natürlich mit dem benachbarten Bundesland Thüringen sprechen:
"Ich persönlich glaube auch, dass die Gespräche mit Thüringen der Ministerpräsident selbst führen muss, er hat ja auch angekündigt, dass er es gern machen will Ich bin ganz postiv gestimmt und gehe ganz optimistisch in diesen Dialog. Wenn am Ende die Nachteile überwiegen, dann machen wir es nicht, aber möglicherweise hat ein Nationalpark Frankenwald für die Gesamtregion, für die nächsten Generationen mehr Vorteile als wir die vielleicht gerade erkennen."

Vor der Sommerpause will sich das Kabinett entscheiden

Das Umweltministerium hat bereits signalisiert, dass der Frankenwald als typischer Wirtschaftswald wohl nicht in Frage kommt. Eine Entscheidung steht im Juli an. Vor der Sommerpause will sich das Kabinett entscheiden, danach werden die Satzungen ausgearbeitet. Frühestens 2019 könnten die ersten Schilder, wo auch immer im Freistaat mit der Aufschrift Nationalpark stehen. Vielleicht ja an den Donau-Auen zwischen Freising und Deggendorf. Dies ist der vorerst letzte Kandidat im Rennen um den Schutzstatus und rund zehn Millionen Euro plus 200 angestellte Ranger. Christian Magerl, Grünen-Abgeordneter im Bayerischen Landtag:
"Also der Punkt ist der, es stehen Teile davon unter Naturschutz, an der Isarmündung, Bei Freising und Landshut gibt es einige, aber kleiner Flächen, aber ein Nationalpark hat ja den Zweck, das ich große Flächen aus der Nutzung nehme, also 75 Prozent sollen der Natur überlassen werden. Und auch die Mittelausstattung, das zeigen die bestehenden zwei Nationalparke, deutlich besser. Man könnte also mehr Umweltbildung machen, man könnte wirklich was voranbringen."
Ammergebirge, Rhön, Spessart, Frankenwald und Donau-Auen. Unterschiedlicher könnten die Kandidaten nicht sein. Die Entscheidung dürfte der Umweltministerin nicht leicht fallen. Eine richtige Lösung wird es nicht geben. Bei so viel Potential könnte der Freistaat ja gleich einen vierten Nationalpark ausloben, scherzt der Grünen-Politiker Magerl. Aber im Ernst:
"Wir fordern jetzt nur, alle fünf zu untersuchen und danach abzuwägen, welchen wir als Dritten nehmen. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass wir einen vierten oder fünften auch noch nehmen. Wir haben zwei Nationalparks, die machen 0,64 Prozent der Landesfläche aus. Das ist im internationalen Vergleich ein niedriger Wert, also man sollte hier weiterdenken als nur bis drei, sondern auch bis vier oder fünf."
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